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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Frauentag in Kassel

Schlagwörter in die Versammlung geworfen wurden, die sich mehr durch ihre
agitatorische Kraft als durch ihre innere Wahrheit auszeichneten, und die die
Gemüter erbittern, die Sache aber blutwenig fördern können. So bekamen
wir öfter von dem "Puppenheim" zu hören, in dem der Mann bisher die
Frau gehalten habe. Ich fragte mich, welche Frau. Die Hälfte unsrer Be¬
völkerung besteht aus Bauern, bei denen ist von einem Puppendasein wohl
nicht die Rede, der größte Teil der andern Hälfte besteht aus Arbeitern, bei
denen erst recht nicht, und ebenso wenig bei den Handwerkern und kleinern
Kaufleuten. Aber auch in den sogenannten gebildeten Klassen -- ich dachte
unwillkürlich an mein eignes Elternhaus, die Familien so vieler Verwandten
und Bekannten -- konnte ich nicht finden, daß die Frau in einem Puppen¬
heim lebte, sondern daß sie eine recht verantwortungsreiche Stellung hatte,
die sich allerdings nicht auf das politische oder Vereinsleben erstreckte und
deshalb nach außen nicht auffiel, worauf es aber doch wohl auch nicht an¬
kommt. Wenn das von Ibsen entlehnte Wort "Puppeuheim" überhaupt
Geltung hat, dann trifft es höchstens die obern Zehntausend, wo der Reichtum
die Frau von jeder Arbeit im Haushalt und in der Erziehung befreien kann;
kann, nicht muß. Denn auch dort kommt es sehr auf die Frau an. Oder
hat Gabriele von Bülow etwa auch nur ein Puppendasein geführt? Ich mochte
mancher Frauenrechtlerin wünschen, sie könnte am Schlüsse ihres Lebens mit
so gutem Gewissen wie diese sagen: Ich habe meine Pflicht gethan und nicht
umsonst gelebt.

Man fordere eine bessere Erziehung der Mädchen, denn die ist allerdings
nötig, und gerade über diese wichtige Frage hätte ich von einem Vortrage
über Frauenbildung genauere, sachliche Vorschläge erwartet, man eifre gegen
das oft oberflächliche, öde gesellschaftliche Treiben in den sogenannten bessern
Ständen, aber man bleibe mit allgemeinen Redensarten weg wie dem "Puppen¬
heim," in dem der Man die Frau halte, Redensarten, die vielleicht bei einem
kritiklosen Publikum einen Augenblickserfolg haben, aber den Kern der Sache
verdunkeln und damit der Sache selbst schaden zum Bedauern aller, die für
die berechtigten Bestrebungen der Frauenwelt ein Herz haben.

Diese Verwechslung der Frau mit der Frau der obern Klassen fand
aber nicht nur hier statt, sondern gerade in diesem Punkte herrschte und zwar
bei allen Rednerinnen, die ich gehört habe, eine große, für die ganze Bewegung
charakteristische Unklarheit. Man erklärt ja, der allgemeinen Frauenhände, allen
"Geschlechtsgenossinnen" dienen zu wollen, und in einigen praktischen Punkten,
auf die man neuerdings Wert legt, trifft das auch zu. Aber im tiefsten
Herzensgrunde -- diese Empfindung hat sich mir an den beiden Abenden
unabweisbar aufgedrängt -- denken doch alle diese Damen in erster Linie
-- vielleicht ihnen selbst unbewußt -- an die Frauen der sogenannten gebildeten
Stände und deren Interessen, zum Teil in recht ehrgeiziger Weise. Diese


Der Frauentag in Kassel

Schlagwörter in die Versammlung geworfen wurden, die sich mehr durch ihre
agitatorische Kraft als durch ihre innere Wahrheit auszeichneten, und die die
Gemüter erbittern, die Sache aber blutwenig fördern können. So bekamen
wir öfter von dem „Puppenheim" zu hören, in dem der Mann bisher die
Frau gehalten habe. Ich fragte mich, welche Frau. Die Hälfte unsrer Be¬
völkerung besteht aus Bauern, bei denen ist von einem Puppendasein wohl
nicht die Rede, der größte Teil der andern Hälfte besteht aus Arbeitern, bei
denen erst recht nicht, und ebenso wenig bei den Handwerkern und kleinern
Kaufleuten. Aber auch in den sogenannten gebildeten Klassen — ich dachte
unwillkürlich an mein eignes Elternhaus, die Familien so vieler Verwandten
und Bekannten — konnte ich nicht finden, daß die Frau in einem Puppen¬
heim lebte, sondern daß sie eine recht verantwortungsreiche Stellung hatte,
die sich allerdings nicht auf das politische oder Vereinsleben erstreckte und
deshalb nach außen nicht auffiel, worauf es aber doch wohl auch nicht an¬
kommt. Wenn das von Ibsen entlehnte Wort „Puppeuheim" überhaupt
Geltung hat, dann trifft es höchstens die obern Zehntausend, wo der Reichtum
die Frau von jeder Arbeit im Haushalt und in der Erziehung befreien kann;
kann, nicht muß. Denn auch dort kommt es sehr auf die Frau an. Oder
hat Gabriele von Bülow etwa auch nur ein Puppendasein geführt? Ich mochte
mancher Frauenrechtlerin wünschen, sie könnte am Schlüsse ihres Lebens mit
so gutem Gewissen wie diese sagen: Ich habe meine Pflicht gethan und nicht
umsonst gelebt.

Man fordere eine bessere Erziehung der Mädchen, denn die ist allerdings
nötig, und gerade über diese wichtige Frage hätte ich von einem Vortrage
über Frauenbildung genauere, sachliche Vorschläge erwartet, man eifre gegen
das oft oberflächliche, öde gesellschaftliche Treiben in den sogenannten bessern
Ständen, aber man bleibe mit allgemeinen Redensarten weg wie dem „Puppen¬
heim," in dem der Man die Frau halte, Redensarten, die vielleicht bei einem
kritiklosen Publikum einen Augenblickserfolg haben, aber den Kern der Sache
verdunkeln und damit der Sache selbst schaden zum Bedauern aller, die für
die berechtigten Bestrebungen der Frauenwelt ein Herz haben.

Diese Verwechslung der Frau mit der Frau der obern Klassen fand
aber nicht nur hier statt, sondern gerade in diesem Punkte herrschte und zwar
bei allen Rednerinnen, die ich gehört habe, eine große, für die ganze Bewegung
charakteristische Unklarheit. Man erklärt ja, der allgemeinen Frauenhände, allen
„Geschlechtsgenossinnen" dienen zu wollen, und in einigen praktischen Punkten,
auf die man neuerdings Wert legt, trifft das auch zu. Aber im tiefsten
Herzensgrunde — diese Empfindung hat sich mir an den beiden Abenden
unabweisbar aufgedrängt — denken doch alle diese Damen in erster Linie
— vielleicht ihnen selbst unbewußt — an die Frauen der sogenannten gebildeten
Stände und deren Interessen, zum Teil in recht ehrgeiziger Weise. Diese


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[0591] Der Frauentag in Kassel Schlagwörter in die Versammlung geworfen wurden, die sich mehr durch ihre agitatorische Kraft als durch ihre innere Wahrheit auszeichneten, und die die Gemüter erbittern, die Sache aber blutwenig fördern können. So bekamen wir öfter von dem „Puppenheim" zu hören, in dem der Mann bisher die Frau gehalten habe. Ich fragte mich, welche Frau. Die Hälfte unsrer Be¬ völkerung besteht aus Bauern, bei denen ist von einem Puppendasein wohl nicht die Rede, der größte Teil der andern Hälfte besteht aus Arbeitern, bei denen erst recht nicht, und ebenso wenig bei den Handwerkern und kleinern Kaufleuten. Aber auch in den sogenannten gebildeten Klassen — ich dachte unwillkürlich an mein eignes Elternhaus, die Familien so vieler Verwandten und Bekannten — konnte ich nicht finden, daß die Frau in einem Puppen¬ heim lebte, sondern daß sie eine recht verantwortungsreiche Stellung hatte, die sich allerdings nicht auf das politische oder Vereinsleben erstreckte und deshalb nach außen nicht auffiel, worauf es aber doch wohl auch nicht an¬ kommt. Wenn das von Ibsen entlehnte Wort „Puppeuheim" überhaupt Geltung hat, dann trifft es höchstens die obern Zehntausend, wo der Reichtum die Frau von jeder Arbeit im Haushalt und in der Erziehung befreien kann; kann, nicht muß. Denn auch dort kommt es sehr auf die Frau an. Oder hat Gabriele von Bülow etwa auch nur ein Puppendasein geführt? Ich mochte mancher Frauenrechtlerin wünschen, sie könnte am Schlüsse ihres Lebens mit so gutem Gewissen wie diese sagen: Ich habe meine Pflicht gethan und nicht umsonst gelebt. Man fordere eine bessere Erziehung der Mädchen, denn die ist allerdings nötig, und gerade über diese wichtige Frage hätte ich von einem Vortrage über Frauenbildung genauere, sachliche Vorschläge erwartet, man eifre gegen das oft oberflächliche, öde gesellschaftliche Treiben in den sogenannten bessern Ständen, aber man bleibe mit allgemeinen Redensarten weg wie dem „Puppen¬ heim," in dem der Man die Frau halte, Redensarten, die vielleicht bei einem kritiklosen Publikum einen Augenblickserfolg haben, aber den Kern der Sache verdunkeln und damit der Sache selbst schaden zum Bedauern aller, die für die berechtigten Bestrebungen der Frauenwelt ein Herz haben. Diese Verwechslung der Frau mit der Frau der obern Klassen fand aber nicht nur hier statt, sondern gerade in diesem Punkte herrschte und zwar bei allen Rednerinnen, die ich gehört habe, eine große, für die ganze Bewegung charakteristische Unklarheit. Man erklärt ja, der allgemeinen Frauenhände, allen „Geschlechtsgenossinnen" dienen zu wollen, und in einigen praktischen Punkten, auf die man neuerdings Wert legt, trifft das auch zu. Aber im tiefsten Herzensgrunde — diese Empfindung hat sich mir an den beiden Abenden unabweisbar aufgedrängt — denken doch alle diese Damen in erster Linie — vielleicht ihnen selbst unbewußt — an die Frauen der sogenannten gebildeten Stände und deren Interessen, zum Teil in recht ehrgeiziger Weise. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/591>, abgerufen am 28.05.2024.