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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

Lebens meistens nicht dasselbe Interesse zuwenden wie die Männer, so giebt
es doch wohl nicht leicht andre politische Fragen, die so in das Leben
der Frau eingriffen, so unmittelbar auf das Gemüt einwirkten und so leicht
verständlich wären, wie der Kampf um die Erhaltung der Nationalität. Wenn
eine fremde Sprache in das Haus einzudringen begehrt, wenn die Kinder nicht
die Ausbildung in der Muttersprache erhalten, die wünschenswert erscheint,
so greift das in das eigenste Gebiet der Mutter ein. Es ist auch gar
nicht zweifelhaft, wer in dem Kampfe um die Anschauungen der Jugend am
stärksten ist. Gegen die still und verborgen im Hause wirkende Macht der
Frau kämpfen Staatsanwalt, Gendarm und Schulmeister vergeblich. Ihrem
Einfluß nicht am wenigsten mag es zuzuschreiben sein, daß trotz der heutigen
Kleinheit und Unbedeutendheit Dünemarks die heranwachsende Jugend Nord¬
schleswigs nicht für Friedrich den Großen und Wilhelm den Siegreichen
schwärmt, sondern für Knut, Erich, Waldemar und wie sie heißen, die
dünischen Helden in grauer Vergangenheit und bis in die Neuzeit herein, bis
zu den Siegern von Friderieia und Jdstedt. Um aber die nordschleswigschen
Frauen dem Deutschtum noch mehr zu verfeinden, giebt es gewiß kein ge¬
eigneteres Mittel, als sie durch den Gendarmen von dem Versammlungslokal
weisen zu lassen.

Und ist nun die in diesen Vereinen betriebne Politik für uns so gefähr¬
lich? Wenn Redakteur Jessen in einem Vortrag ausführt, Fürst Bismarck habe
1866 das deutsche Reich geschwächt, denn er habe so und so viel Millionen
deutsche Österreicher aus dem deutschen Reiche hinausgeschoben und dafür neue
unzuverlässige Elemente dem deutschen Reiche wieder angegliedert, so scheint es
mir eine ganz unnötige Kraftanstrengung zu sein, hiergegen patriotische Ent¬
rüstung aufzubieten. Man kann sich dabei beruhigen, daß die in der Redaktion
von "Flensbvrg Avis" betriebne Geschichtsforschung weder für das Urteil der
Mitwelt noch für das der Nachwelt maßgebend ist. Es ist fruchtloses Be¬
mühen, solche Vorstellungen widerlegen und die Dänen von ihrer Verkehrtheit
überzeugen zu wollen. Die deutsche lokale Presse thut hierin entschieden des
Guten zu viel, indem sie mit einem gewissen Behagen den deutsch-dänische"
Streit weiterspinnt und sich dabei in ähnlichen Übertreibungen gefällt wie die
Dänen. Da werden von der einen Seite mit derselben Parteibefangenheit und
Einseitigkeit die Deutschen herausgestrichen und die Dänen schlecht gemacht,
wie umgekehrt von der andern Seite. Der ganze Streit hat etwas Lang¬
weiliges für jeden fernerstehenden. Gehen wir nordwärts oder südwärts, nir¬
gends hat dieser Streit für die Leser der Zeitungen den Reiz, wie dort am
Schauplatz der nationalen Kämpfe. In Deutschland hat man den alten Groll
längst vergessen, ziemlich auch in Dänemark. Auch in Nordschleswig wird das
Interesse daran sich erst dann verlieren, wenn andre Bestrebungen, andre
Interessengegensätze an die Stelle dieses Streites treten, kurz gesagt, wenn die


Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

Lebens meistens nicht dasselbe Interesse zuwenden wie die Männer, so giebt
es doch wohl nicht leicht andre politische Fragen, die so in das Leben
der Frau eingriffen, so unmittelbar auf das Gemüt einwirkten und so leicht
verständlich wären, wie der Kampf um die Erhaltung der Nationalität. Wenn
eine fremde Sprache in das Haus einzudringen begehrt, wenn die Kinder nicht
die Ausbildung in der Muttersprache erhalten, die wünschenswert erscheint,
so greift das in das eigenste Gebiet der Mutter ein. Es ist auch gar
nicht zweifelhaft, wer in dem Kampfe um die Anschauungen der Jugend am
stärksten ist. Gegen die still und verborgen im Hause wirkende Macht der
Frau kämpfen Staatsanwalt, Gendarm und Schulmeister vergeblich. Ihrem
Einfluß nicht am wenigsten mag es zuzuschreiben sein, daß trotz der heutigen
Kleinheit und Unbedeutendheit Dünemarks die heranwachsende Jugend Nord¬
schleswigs nicht für Friedrich den Großen und Wilhelm den Siegreichen
schwärmt, sondern für Knut, Erich, Waldemar und wie sie heißen, die
dünischen Helden in grauer Vergangenheit und bis in die Neuzeit herein, bis
zu den Siegern von Friderieia und Jdstedt. Um aber die nordschleswigschen
Frauen dem Deutschtum noch mehr zu verfeinden, giebt es gewiß kein ge¬
eigneteres Mittel, als sie durch den Gendarmen von dem Versammlungslokal
weisen zu lassen.

Und ist nun die in diesen Vereinen betriebne Politik für uns so gefähr¬
lich? Wenn Redakteur Jessen in einem Vortrag ausführt, Fürst Bismarck habe
1866 das deutsche Reich geschwächt, denn er habe so und so viel Millionen
deutsche Österreicher aus dem deutschen Reiche hinausgeschoben und dafür neue
unzuverlässige Elemente dem deutschen Reiche wieder angegliedert, so scheint es
mir eine ganz unnötige Kraftanstrengung zu sein, hiergegen patriotische Ent¬
rüstung aufzubieten. Man kann sich dabei beruhigen, daß die in der Redaktion
von „Flensbvrg Avis" betriebne Geschichtsforschung weder für das Urteil der
Mitwelt noch für das der Nachwelt maßgebend ist. Es ist fruchtloses Be¬
mühen, solche Vorstellungen widerlegen und die Dänen von ihrer Verkehrtheit
überzeugen zu wollen. Die deutsche lokale Presse thut hierin entschieden des
Guten zu viel, indem sie mit einem gewissen Behagen den deutsch-dänische«
Streit weiterspinnt und sich dabei in ähnlichen Übertreibungen gefällt wie die
Dänen. Da werden von der einen Seite mit derselben Parteibefangenheit und
Einseitigkeit die Deutschen herausgestrichen und die Dänen schlecht gemacht,
wie umgekehrt von der andern Seite. Der ganze Streit hat etwas Lang¬
weiliges für jeden fernerstehenden. Gehen wir nordwärts oder südwärts, nir¬
gends hat dieser Streit für die Leser der Zeitungen den Reiz, wie dort am
Schauplatz der nationalen Kämpfe. In Deutschland hat man den alten Groll
längst vergessen, ziemlich auch in Dänemark. Auch in Nordschleswig wird das
Interesse daran sich erst dann verlieren, wenn andre Bestrebungen, andre
Interessengegensätze an die Stelle dieses Streites treten, kurz gesagt, wenn die


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[0602] Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit Lebens meistens nicht dasselbe Interesse zuwenden wie die Männer, so giebt es doch wohl nicht leicht andre politische Fragen, die so in das Leben der Frau eingriffen, so unmittelbar auf das Gemüt einwirkten und so leicht verständlich wären, wie der Kampf um die Erhaltung der Nationalität. Wenn eine fremde Sprache in das Haus einzudringen begehrt, wenn die Kinder nicht die Ausbildung in der Muttersprache erhalten, die wünschenswert erscheint, so greift das in das eigenste Gebiet der Mutter ein. Es ist auch gar nicht zweifelhaft, wer in dem Kampfe um die Anschauungen der Jugend am stärksten ist. Gegen die still und verborgen im Hause wirkende Macht der Frau kämpfen Staatsanwalt, Gendarm und Schulmeister vergeblich. Ihrem Einfluß nicht am wenigsten mag es zuzuschreiben sein, daß trotz der heutigen Kleinheit und Unbedeutendheit Dünemarks die heranwachsende Jugend Nord¬ schleswigs nicht für Friedrich den Großen und Wilhelm den Siegreichen schwärmt, sondern für Knut, Erich, Waldemar und wie sie heißen, die dünischen Helden in grauer Vergangenheit und bis in die Neuzeit herein, bis zu den Siegern von Friderieia und Jdstedt. Um aber die nordschleswigschen Frauen dem Deutschtum noch mehr zu verfeinden, giebt es gewiß kein ge¬ eigneteres Mittel, als sie durch den Gendarmen von dem Versammlungslokal weisen zu lassen. Und ist nun die in diesen Vereinen betriebne Politik für uns so gefähr¬ lich? Wenn Redakteur Jessen in einem Vortrag ausführt, Fürst Bismarck habe 1866 das deutsche Reich geschwächt, denn er habe so und so viel Millionen deutsche Österreicher aus dem deutschen Reiche hinausgeschoben und dafür neue unzuverlässige Elemente dem deutschen Reiche wieder angegliedert, so scheint es mir eine ganz unnötige Kraftanstrengung zu sein, hiergegen patriotische Ent¬ rüstung aufzubieten. Man kann sich dabei beruhigen, daß die in der Redaktion von „Flensbvrg Avis" betriebne Geschichtsforschung weder für das Urteil der Mitwelt noch für das der Nachwelt maßgebend ist. Es ist fruchtloses Be¬ mühen, solche Vorstellungen widerlegen und die Dänen von ihrer Verkehrtheit überzeugen zu wollen. Die deutsche lokale Presse thut hierin entschieden des Guten zu viel, indem sie mit einem gewissen Behagen den deutsch-dänische« Streit weiterspinnt und sich dabei in ähnlichen Übertreibungen gefällt wie die Dänen. Da werden von der einen Seite mit derselben Parteibefangenheit und Einseitigkeit die Deutschen herausgestrichen und die Dänen schlecht gemacht, wie umgekehrt von der andern Seite. Der ganze Streit hat etwas Lang¬ weiliges für jeden fernerstehenden. Gehen wir nordwärts oder südwärts, nir¬ gends hat dieser Streit für die Leser der Zeitungen den Reiz, wie dort am Schauplatz der nationalen Kämpfe. In Deutschland hat man den alten Groll längst vergessen, ziemlich auch in Dänemark. Auch in Nordschleswig wird das Interesse daran sich erst dann verlieren, wenn andre Bestrebungen, andre Interessengegensätze an die Stelle dieses Streites treten, kurz gesagt, wenn die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/602>, abgerufen am 23.05.2024.