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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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<Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit

Leute an andre Sachen denken. Woher kommt es nur, daß der Preußenhaß,
der zu einer Zeit bei den dänischen Schleswig-Holsteinern nicht weniger stark
war, als der Deutschenhaß der dänischen Nordschlcswiger, der ähnliche Blüten
trieb wie die Jessensche Geschichtsdeutung, im Laufe weniger Jahre verschwand?
Er wurde weggefegt durch die Ereignisse von 1866 bis 1870. Da lernte
man in Schleswig-Holstein einsehen, daß man Preußen nicht länger bekämpfen
dürfe, wenn man ein Deutscher sein wolle. Oder woher kommt es, daß in
Dänemark selbst, wo nicht Staatsanwälte die Aufgabe hatten, den deutschen
Namen gegen Verunglimpfungen zu schützen, nicht Gendarmen die Aufgabe,
dentschseindliche Kundgebungen aufzuspüren, nicht die Lehrer die Aufgabe, Liebe
zum Deutschtum in die jungen Herzen zu pflanzen, dennoch eine viel unbe¬
fangnere Auffassung von Deutschland und den Deutschen herrscht als dort, wo
diese Pflichten Jahre hindurch mit so großem Eifer erfüllt worden sind? Ich
weiß darauf keine andre Antwort, als daß es der Zwang ist, der den Nord-
schlcswigern das Deutschtum verleidet.

Und ist es denn eine unerhörte Forderung, daß wir diesen Zwang, den
wir, so weit es die staatliche Zugehörigkeit zu Deutschland betrifft, nicht von
den Nordschleswigern nehmen können, doch möglichst wenig fühlbar machen,
uns möglichst wenig als die strengen Oberherrn gebärden sollen? Den Köpfen
der Chauvinisten ist die Vorstellung nicht auszutreiben, daß der Deutsche den
Kampf gegen die Dänen mit der Tapferkeit des Soldaten auf dem Schlacht¬
felde zu führen, Stich und Hieb zu Pariren habe. Darum halten sie es für
eine schreckliche Ungerechtigkeit, wenn ein Deutscher den Volksgenossen eine
Mäßigung empfiehlt, die er nicht einmal den nationalen Gegnern zumutet.
Nun aber bedeutet offenbar diese Mahnung nicht eine Billigung dessen, was
die Dänen thun, sondern weil uns das Mittel der Einwirkung auf die Dänen
fehlt, richten wir die Mahnung zur Mäßigung dorthin, wo sie billigerweise
Beachtung finden sollte. Wir Deutschen sind die "glücklichen Besitzenden,"
auf unsrer Seite ist außer der staatlichen Macht die ganze erdrückende Über¬
macht der größern Volkszahl mit ihrer starken Ausdehnungsfähigkeit. Wie
könnte denn als Schwäche gedeutet werden, was doch wohlerwogne Vor¬
sicht ist!

Ganz ähnlich ist ja die Stellung und Aufgabe der bürgerlichen Gesell¬
schaft gegenüber der Sozialdemokratie. Weil wir die bestehende Gesellschafts¬
ordnung erhalten, die Sozialdemokraten aber sie durch eine andre ersetzen wollen,
muß für unser Verhalten eine andre Richtschnur dienen als für das ihre. Wir
erstreben den sozialen Frieden, die Sozialdemokraten aber sehen in der Zu¬
friedenheit mit dem Bestehenden eine Gefahr für ihre Zukunftspläne. Darum
haben wir im eignen Interesse einer Versuchung zu widerstehen, die ja manchmal
naheliegen mag, deu Kampf mit denselben Waffen zu führen wie die Sozial-
demokratie, denn es würde das uur ihre Geschäfte besorgen heißen. Trotz der


<Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit

Leute an andre Sachen denken. Woher kommt es nur, daß der Preußenhaß,
der zu einer Zeit bei den dänischen Schleswig-Holsteinern nicht weniger stark
war, als der Deutschenhaß der dänischen Nordschlcswiger, der ähnliche Blüten
trieb wie die Jessensche Geschichtsdeutung, im Laufe weniger Jahre verschwand?
Er wurde weggefegt durch die Ereignisse von 1866 bis 1870. Da lernte
man in Schleswig-Holstein einsehen, daß man Preußen nicht länger bekämpfen
dürfe, wenn man ein Deutscher sein wolle. Oder woher kommt es, daß in
Dänemark selbst, wo nicht Staatsanwälte die Aufgabe hatten, den deutschen
Namen gegen Verunglimpfungen zu schützen, nicht Gendarmen die Aufgabe,
dentschseindliche Kundgebungen aufzuspüren, nicht die Lehrer die Aufgabe, Liebe
zum Deutschtum in die jungen Herzen zu pflanzen, dennoch eine viel unbe¬
fangnere Auffassung von Deutschland und den Deutschen herrscht als dort, wo
diese Pflichten Jahre hindurch mit so großem Eifer erfüllt worden sind? Ich
weiß darauf keine andre Antwort, als daß es der Zwang ist, der den Nord-
schlcswigern das Deutschtum verleidet.

Und ist es denn eine unerhörte Forderung, daß wir diesen Zwang, den
wir, so weit es die staatliche Zugehörigkeit zu Deutschland betrifft, nicht von
den Nordschleswigern nehmen können, doch möglichst wenig fühlbar machen,
uns möglichst wenig als die strengen Oberherrn gebärden sollen? Den Köpfen
der Chauvinisten ist die Vorstellung nicht auszutreiben, daß der Deutsche den
Kampf gegen die Dänen mit der Tapferkeit des Soldaten auf dem Schlacht¬
felde zu führen, Stich und Hieb zu Pariren habe. Darum halten sie es für
eine schreckliche Ungerechtigkeit, wenn ein Deutscher den Volksgenossen eine
Mäßigung empfiehlt, die er nicht einmal den nationalen Gegnern zumutet.
Nun aber bedeutet offenbar diese Mahnung nicht eine Billigung dessen, was
die Dänen thun, sondern weil uns das Mittel der Einwirkung auf die Dänen
fehlt, richten wir die Mahnung zur Mäßigung dorthin, wo sie billigerweise
Beachtung finden sollte. Wir Deutschen sind die „glücklichen Besitzenden,"
auf unsrer Seite ist außer der staatlichen Macht die ganze erdrückende Über¬
macht der größern Volkszahl mit ihrer starken Ausdehnungsfähigkeit. Wie
könnte denn als Schwäche gedeutet werden, was doch wohlerwogne Vor¬
sicht ist!

Ganz ähnlich ist ja die Stellung und Aufgabe der bürgerlichen Gesell¬
schaft gegenüber der Sozialdemokratie. Weil wir die bestehende Gesellschafts¬
ordnung erhalten, die Sozialdemokraten aber sie durch eine andre ersetzen wollen,
muß für unser Verhalten eine andre Richtschnur dienen als für das ihre. Wir
erstreben den sozialen Frieden, die Sozialdemokraten aber sehen in der Zu¬
friedenheit mit dem Bestehenden eine Gefahr für ihre Zukunftspläne. Darum
haben wir im eignen Interesse einer Versuchung zu widerstehen, die ja manchmal
naheliegen mag, deu Kampf mit denselben Waffen zu führen wie die Sozial-
demokratie, denn es würde das uur ihre Geschäfte besorgen heißen. Trotz der


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[0603] <Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit Leute an andre Sachen denken. Woher kommt es nur, daß der Preußenhaß, der zu einer Zeit bei den dänischen Schleswig-Holsteinern nicht weniger stark war, als der Deutschenhaß der dänischen Nordschlcswiger, der ähnliche Blüten trieb wie die Jessensche Geschichtsdeutung, im Laufe weniger Jahre verschwand? Er wurde weggefegt durch die Ereignisse von 1866 bis 1870. Da lernte man in Schleswig-Holstein einsehen, daß man Preußen nicht länger bekämpfen dürfe, wenn man ein Deutscher sein wolle. Oder woher kommt es, daß in Dänemark selbst, wo nicht Staatsanwälte die Aufgabe hatten, den deutschen Namen gegen Verunglimpfungen zu schützen, nicht Gendarmen die Aufgabe, dentschseindliche Kundgebungen aufzuspüren, nicht die Lehrer die Aufgabe, Liebe zum Deutschtum in die jungen Herzen zu pflanzen, dennoch eine viel unbe¬ fangnere Auffassung von Deutschland und den Deutschen herrscht als dort, wo diese Pflichten Jahre hindurch mit so großem Eifer erfüllt worden sind? Ich weiß darauf keine andre Antwort, als daß es der Zwang ist, der den Nord- schlcswigern das Deutschtum verleidet. Und ist es denn eine unerhörte Forderung, daß wir diesen Zwang, den wir, so weit es die staatliche Zugehörigkeit zu Deutschland betrifft, nicht von den Nordschleswigern nehmen können, doch möglichst wenig fühlbar machen, uns möglichst wenig als die strengen Oberherrn gebärden sollen? Den Köpfen der Chauvinisten ist die Vorstellung nicht auszutreiben, daß der Deutsche den Kampf gegen die Dänen mit der Tapferkeit des Soldaten auf dem Schlacht¬ felde zu führen, Stich und Hieb zu Pariren habe. Darum halten sie es für eine schreckliche Ungerechtigkeit, wenn ein Deutscher den Volksgenossen eine Mäßigung empfiehlt, die er nicht einmal den nationalen Gegnern zumutet. Nun aber bedeutet offenbar diese Mahnung nicht eine Billigung dessen, was die Dänen thun, sondern weil uns das Mittel der Einwirkung auf die Dänen fehlt, richten wir die Mahnung zur Mäßigung dorthin, wo sie billigerweise Beachtung finden sollte. Wir Deutschen sind die „glücklichen Besitzenden," auf unsrer Seite ist außer der staatlichen Macht die ganze erdrückende Über¬ macht der größern Volkszahl mit ihrer starken Ausdehnungsfähigkeit. Wie könnte denn als Schwäche gedeutet werden, was doch wohlerwogne Vor¬ sicht ist! Ganz ähnlich ist ja die Stellung und Aufgabe der bürgerlichen Gesell¬ schaft gegenüber der Sozialdemokratie. Weil wir die bestehende Gesellschafts¬ ordnung erhalten, die Sozialdemokraten aber sie durch eine andre ersetzen wollen, muß für unser Verhalten eine andre Richtschnur dienen als für das ihre. Wir erstreben den sozialen Frieden, die Sozialdemokraten aber sehen in der Zu¬ friedenheit mit dem Bestehenden eine Gefahr für ihre Zukunftspläne. Darum haben wir im eignen Interesse einer Versuchung zu widerstehen, die ja manchmal naheliegen mag, deu Kampf mit denselben Waffen zu führen wie die Sozial- demokratie, denn es würde das uur ihre Geschäfte besorgen heißen. Trotz der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/603>, abgerufen am 27.05.2024.