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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Professuren für deutsches Altertum

bewundertes Kolleg, das er Encyklopädie der germanischen Philologie oder
Einleitung dazu zu nennen Pflegte. Aber was bot er darin? Außer der
Grammatik, die allerdings auch Syntax und daneben Bedeutungslehre enthielt,
nur noch Metrik und zum Schluß einige Gedanken über Kritik und Her¬
meneutik. Also auch hier, bei einem so vielseitigen Gelehrten, wieder der engste
Gesichtspunkt des Grammatikers und Exegeten. Und ein Überschreiten des
karolingischen Zeitalters bis in das heidnische Altertum hinauf findet nur für
das Gebiet der Sprache statt. Wo aber bleiben die andern Bereiche, in denen
sich das deutsche Altertum bethätigt hat? Unter den strebsamen jüngern Do¬
zenten giebt es hie und da einen, der das Wagnis unternimmt, über ger¬
manische Mythologie zu lesen. Wer aber liest über germanische Stammes¬
geschichte, die man seit Müllenhoffs großem Werke "Altertumskunde" im engern
Sinne nennt, und die so recht eigentlich ein Gebiet des germanischen Sprach¬
forschers sein sollte, wer über die sogenannten Altertümer des häuslichen und
öffentlichen Lebens? Und wo vor allem bleibt die vaterländische Archäologie?

Die klassische Philologie sucht der durch eine einseitige Pflege des gram¬
matisch-exegetischen Faches verschuldeten Ungunst der öffentlichen Meinung durch
vermehrte Pflege der Denkmülerkunde und der gesamten Kulturgeschichte der
Griechen und Römer zu begegnen, und sie thut das nicht ohne Erfolg. Das
klassische Altertum ist an den Universitäten zunächst durch die philologischen
Ordinarien vertreten, meist drei (während die germanische Philologie nur durch
einen oder zwei vertreten ist), daneben dnrch den Professor für alte Geschichte
und den für klassische Archäologie. Diesen fünf klassischen Ordinarien stehen,
selbst wenn man den Vertreter der mittelalterlichen Geschichte hinzurechnet, der
freilich oft genug mehr italienisches, französisches, englisches als gerade deutsches
Mittelalter erforscht, nur zwei oder im besten Falle (nämlich da, wo es
einen Stuhl für neuere deutsche Litteraturgeschichte giebt) drei Ordinarien für
die Geschichte des deutschen Volkstums gegenüber. Sollte die weitsichtige
preußische Unterrichtsverwaltung, der wir die Lehrstühle für neuere Litteratur
verdanken, nicht auch die Neigung und die Mittel haben, als Gegenstück zu
den beiden Professuren für klassische Altertumswissenschaft und für klassische
Archäologie wenigstens" eine Professur für germanisches Altertum nebst ger¬
manischer Archäologie zu schaffen? Gegenwärtig halten es ja die Vertreter der
alten Geschichte zuweilen für angebracht, von ihrem klassischen Standpunkt aus
mit Hilfe einiger Cäsarstellen die bodenständige Kultur der Germanen zu be¬
leuchten. Was dabei herauskommt, zeigt am deutlichsten das Zerrbild vom
germanischen Altertum, das Senat in seiner "Geschichte des Untergangs der
antiken Welt" zuwege gebracht hat. solch einem eiteln und unwissenschaft¬
lichen Unterfangen würde das bloße Bestehen eines Ordinariats für deutsches
Altertum wohl von vornherein den Garaus gemacht haben.

Und dann das Stiefkind, die vaterländische Archäologie -- soll sie in


Professuren für deutsches Altertum

bewundertes Kolleg, das er Encyklopädie der germanischen Philologie oder
Einleitung dazu zu nennen Pflegte. Aber was bot er darin? Außer der
Grammatik, die allerdings auch Syntax und daneben Bedeutungslehre enthielt,
nur noch Metrik und zum Schluß einige Gedanken über Kritik und Her¬
meneutik. Also auch hier, bei einem so vielseitigen Gelehrten, wieder der engste
Gesichtspunkt des Grammatikers und Exegeten. Und ein Überschreiten des
karolingischen Zeitalters bis in das heidnische Altertum hinauf findet nur für
das Gebiet der Sprache statt. Wo aber bleiben die andern Bereiche, in denen
sich das deutsche Altertum bethätigt hat? Unter den strebsamen jüngern Do¬
zenten giebt es hie und da einen, der das Wagnis unternimmt, über ger¬
manische Mythologie zu lesen. Wer aber liest über germanische Stammes¬
geschichte, die man seit Müllenhoffs großem Werke „Altertumskunde" im engern
Sinne nennt, und die so recht eigentlich ein Gebiet des germanischen Sprach¬
forschers sein sollte, wer über die sogenannten Altertümer des häuslichen und
öffentlichen Lebens? Und wo vor allem bleibt die vaterländische Archäologie?

Die klassische Philologie sucht der durch eine einseitige Pflege des gram¬
matisch-exegetischen Faches verschuldeten Ungunst der öffentlichen Meinung durch
vermehrte Pflege der Denkmülerkunde und der gesamten Kulturgeschichte der
Griechen und Römer zu begegnen, und sie thut das nicht ohne Erfolg. Das
klassische Altertum ist an den Universitäten zunächst durch die philologischen
Ordinarien vertreten, meist drei (während die germanische Philologie nur durch
einen oder zwei vertreten ist), daneben dnrch den Professor für alte Geschichte
und den für klassische Archäologie. Diesen fünf klassischen Ordinarien stehen,
selbst wenn man den Vertreter der mittelalterlichen Geschichte hinzurechnet, der
freilich oft genug mehr italienisches, französisches, englisches als gerade deutsches
Mittelalter erforscht, nur zwei oder im besten Falle (nämlich da, wo es
einen Stuhl für neuere deutsche Litteraturgeschichte giebt) drei Ordinarien für
die Geschichte des deutschen Volkstums gegenüber. Sollte die weitsichtige
preußische Unterrichtsverwaltung, der wir die Lehrstühle für neuere Litteratur
verdanken, nicht auch die Neigung und die Mittel haben, als Gegenstück zu
den beiden Professuren für klassische Altertumswissenschaft und für klassische
Archäologie wenigstens" eine Professur für germanisches Altertum nebst ger¬
manischer Archäologie zu schaffen? Gegenwärtig halten es ja die Vertreter der
alten Geschichte zuweilen für angebracht, von ihrem klassischen Standpunkt aus
mit Hilfe einiger Cäsarstellen die bodenständige Kultur der Germanen zu be¬
leuchten. Was dabei herauskommt, zeigt am deutlichsten das Zerrbild vom
germanischen Altertum, das Senat in seiner „Geschichte des Untergangs der
antiken Welt" zuwege gebracht hat. solch einem eiteln und unwissenschaft¬
lichen Unterfangen würde das bloße Bestehen eines Ordinariats für deutsches
Altertum wohl von vornherein den Garaus gemacht haben.

Und dann das Stiefkind, die vaterländische Archäologie — soll sie in


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[0611] Professuren für deutsches Altertum bewundertes Kolleg, das er Encyklopädie der germanischen Philologie oder Einleitung dazu zu nennen Pflegte. Aber was bot er darin? Außer der Grammatik, die allerdings auch Syntax und daneben Bedeutungslehre enthielt, nur noch Metrik und zum Schluß einige Gedanken über Kritik und Her¬ meneutik. Also auch hier, bei einem so vielseitigen Gelehrten, wieder der engste Gesichtspunkt des Grammatikers und Exegeten. Und ein Überschreiten des karolingischen Zeitalters bis in das heidnische Altertum hinauf findet nur für das Gebiet der Sprache statt. Wo aber bleiben die andern Bereiche, in denen sich das deutsche Altertum bethätigt hat? Unter den strebsamen jüngern Do¬ zenten giebt es hie und da einen, der das Wagnis unternimmt, über ger¬ manische Mythologie zu lesen. Wer aber liest über germanische Stammes¬ geschichte, die man seit Müllenhoffs großem Werke „Altertumskunde" im engern Sinne nennt, und die so recht eigentlich ein Gebiet des germanischen Sprach¬ forschers sein sollte, wer über die sogenannten Altertümer des häuslichen und öffentlichen Lebens? Und wo vor allem bleibt die vaterländische Archäologie? Die klassische Philologie sucht der durch eine einseitige Pflege des gram¬ matisch-exegetischen Faches verschuldeten Ungunst der öffentlichen Meinung durch vermehrte Pflege der Denkmülerkunde und der gesamten Kulturgeschichte der Griechen und Römer zu begegnen, und sie thut das nicht ohne Erfolg. Das klassische Altertum ist an den Universitäten zunächst durch die philologischen Ordinarien vertreten, meist drei (während die germanische Philologie nur durch einen oder zwei vertreten ist), daneben dnrch den Professor für alte Geschichte und den für klassische Archäologie. Diesen fünf klassischen Ordinarien stehen, selbst wenn man den Vertreter der mittelalterlichen Geschichte hinzurechnet, der freilich oft genug mehr italienisches, französisches, englisches als gerade deutsches Mittelalter erforscht, nur zwei oder im besten Falle (nämlich da, wo es einen Stuhl für neuere deutsche Litteraturgeschichte giebt) drei Ordinarien für die Geschichte des deutschen Volkstums gegenüber. Sollte die weitsichtige preußische Unterrichtsverwaltung, der wir die Lehrstühle für neuere Litteratur verdanken, nicht auch die Neigung und die Mittel haben, als Gegenstück zu den beiden Professuren für klassische Altertumswissenschaft und für klassische Archäologie wenigstens" eine Professur für germanisches Altertum nebst ger¬ manischer Archäologie zu schaffen? Gegenwärtig halten es ja die Vertreter der alten Geschichte zuweilen für angebracht, von ihrem klassischen Standpunkt aus mit Hilfe einiger Cäsarstellen die bodenständige Kultur der Germanen zu be¬ leuchten. Was dabei herauskommt, zeigt am deutlichsten das Zerrbild vom germanischen Altertum, das Senat in seiner „Geschichte des Untergangs der antiken Welt" zuwege gebracht hat. solch einem eiteln und unwissenschaft¬ lichen Unterfangen würde das bloße Bestehen eines Ordinariats für deutsches Altertum wohl von vornherein den Garaus gemacht haben. Und dann das Stiefkind, die vaterländische Archäologie — soll sie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/611>, abgerufen am 07.06.2024.