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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Nochmals die Lhre und der Zweikampf

noch keine Ehrverletzung ist; sonst würde er gewiß nicht versäumt haben, auch
dies als Irrtum zu bezeichne", statt die fehlerhafte Gleichsetzung der beiden
Begriffe als etwas unbestreitbares zu wiederholen. Jenen Nachweis zu ent¬
kräften, wäre er freilich außer stände gewesen, denn dann hätte er ja erklären
müssen, was eigentlich unter Ehre zu verstehen sei; er bezeichnet es aber
gerade als meinen Hauptirrtum, daß ich die Ehre als etwas ansehe, was vor
den Richterstuhl der Vernunft gestellt werden könne. Er selbst behauptet, daß
sie der vernünftigen Erkenntnis schlechterdings unzugänglich, aber dennoch kein
leerer Wahn, sondern ein reales Wesen sei, wie beispielsweise auch -- Gott!
Er verweist damit die Ehre in das Gebiet dessen, was man in der Philosophie
das Transcendentale nennt, d. h. das, was außerhalb der Erscheinungswelt,
mag es auch auf diese einwirken, sein Dasein haben soll.

Es kann dahingestellt bleiben, ob in der That das Transcendentale der
Vernunfterkenntnis gänzlich verschlossen sei, und ob es, wenn es das wäre,
dennoch als seiend anerkannt werden dürfte. Denn die Ehre gehört auf keinen
Fall zu den transcendentalen Dingen, sondern sie wurzelt, lebt und wirkt,
wenn sie auch selbst nicht sinnlich wahrnehmbar ist, lediglich in der Er¬
scheinungswelt, sie bildet gewissermaßen nur einen Bestandteil des menschlichen
Lebens; denn wenn keine Menschen lebten, würde es auch unzweifelhaft keine
Ehre geben. Nun besteht aber das Wesen der Erscheinungen gerade darin,
daß sie dem erkennenden Subjekt als Objekte gegenübertreten und von der
Vernunft zu Begriffen gestaltet werden, sodaß sich alles, was in dem Rahmen
der Erscheinungswelt überhaupt vorhanden ist, sobald es auf der Vildfläche
des erkennenden Subjekts auftaucht, der Vernunft als einen Begriff darstellt:
wo Begriffe fehlen, da ist ganz gewiß auch nichts vorhanden, außer etwa ein
Wort, das sich bekanntlich zu rechter Zeit immer einstellt. Folglich muß sich
ein vernünftiger Mensch von der Ehre, wenn sie etwas wirkliches ist, einen
Begriff machen können; könnte er das nicht, so wäre sie nichts als ein Wort
ohne Sinn, das heißt ein Unsinn, und hätte, außer als solcher, schlechterdings
keine Wirklichkeit. Da sie nnn aber unbestritten etwas ist, so läßt sich ihr
Begriff auch ganz genau bestimmen, und das habe ich in der Fassung ver¬
sucht, die mein Gegner wörtlich angeführt hat. Dieser behauptet nun, daß es
damit nicht gelungen sei, eine positive Definition des Begriffs Ehre zu finden.
Warum nicht, hat er nicht verraten, und es ist auch nicht zu ersehen. Denn
die Meinung andrer Menschen, daß einer in sozialer Hinsicht nicht minder¬
wertig sei, also mindestens den Durchschnittswert habe, ist doch zweifelsohne
eine positive Größe. Aber meine Definition der Ehre, die übrigens keines¬
wegs neu ist, sondern die ooninmills oxiirio der Philosophen und Rechts¬
gelehrten über den Gegenstaed wiedergiebt, ist auch entschieden die richtige.
Daraus folgt, daß alios, was sonst Ehre genannt wird, aber auf andre Weise,
als jene Meinung andrer Menschen geschmälert, verloren und wiederhergestellt


Nochmals die Lhre und der Zweikampf

noch keine Ehrverletzung ist; sonst würde er gewiß nicht versäumt haben, auch
dies als Irrtum zu bezeichne», statt die fehlerhafte Gleichsetzung der beiden
Begriffe als etwas unbestreitbares zu wiederholen. Jenen Nachweis zu ent¬
kräften, wäre er freilich außer stände gewesen, denn dann hätte er ja erklären
müssen, was eigentlich unter Ehre zu verstehen sei; er bezeichnet es aber
gerade als meinen Hauptirrtum, daß ich die Ehre als etwas ansehe, was vor
den Richterstuhl der Vernunft gestellt werden könne. Er selbst behauptet, daß
sie der vernünftigen Erkenntnis schlechterdings unzugänglich, aber dennoch kein
leerer Wahn, sondern ein reales Wesen sei, wie beispielsweise auch — Gott!
Er verweist damit die Ehre in das Gebiet dessen, was man in der Philosophie
das Transcendentale nennt, d. h. das, was außerhalb der Erscheinungswelt,
mag es auch auf diese einwirken, sein Dasein haben soll.

Es kann dahingestellt bleiben, ob in der That das Transcendentale der
Vernunfterkenntnis gänzlich verschlossen sei, und ob es, wenn es das wäre,
dennoch als seiend anerkannt werden dürfte. Denn die Ehre gehört auf keinen
Fall zu den transcendentalen Dingen, sondern sie wurzelt, lebt und wirkt,
wenn sie auch selbst nicht sinnlich wahrnehmbar ist, lediglich in der Er¬
scheinungswelt, sie bildet gewissermaßen nur einen Bestandteil des menschlichen
Lebens; denn wenn keine Menschen lebten, würde es auch unzweifelhaft keine
Ehre geben. Nun besteht aber das Wesen der Erscheinungen gerade darin,
daß sie dem erkennenden Subjekt als Objekte gegenübertreten und von der
Vernunft zu Begriffen gestaltet werden, sodaß sich alles, was in dem Rahmen
der Erscheinungswelt überhaupt vorhanden ist, sobald es auf der Vildfläche
des erkennenden Subjekts auftaucht, der Vernunft als einen Begriff darstellt:
wo Begriffe fehlen, da ist ganz gewiß auch nichts vorhanden, außer etwa ein
Wort, das sich bekanntlich zu rechter Zeit immer einstellt. Folglich muß sich
ein vernünftiger Mensch von der Ehre, wenn sie etwas wirkliches ist, einen
Begriff machen können; könnte er das nicht, so wäre sie nichts als ein Wort
ohne Sinn, das heißt ein Unsinn, und hätte, außer als solcher, schlechterdings
keine Wirklichkeit. Da sie nnn aber unbestritten etwas ist, so läßt sich ihr
Begriff auch ganz genau bestimmen, und das habe ich in der Fassung ver¬
sucht, die mein Gegner wörtlich angeführt hat. Dieser behauptet nun, daß es
damit nicht gelungen sei, eine positive Definition des Begriffs Ehre zu finden.
Warum nicht, hat er nicht verraten, und es ist auch nicht zu ersehen. Denn
die Meinung andrer Menschen, daß einer in sozialer Hinsicht nicht minder¬
wertig sei, also mindestens den Durchschnittswert habe, ist doch zweifelsohne
eine positive Größe. Aber meine Definition der Ehre, die übrigens keines¬
wegs neu ist, sondern die ooninmills oxiirio der Philosophen und Rechts¬
gelehrten über den Gegenstaed wiedergiebt, ist auch entschieden die richtige.
Daraus folgt, daß alios, was sonst Ehre genannt wird, aber auf andre Weise,
als jene Meinung andrer Menschen geschmälert, verloren und wiederhergestellt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/86>, abgerufen am 13.05.2024.