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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Nochmals die Ehre und der Zweikampf

wird, thatsächlich nicht Ehre ist. Daß es etwas andres sein könne, soll nicht
bestritten werden, aber Ehre ist es eben nicht, und so wird es mit Unrecht
Ehre genannt. So verhält es sich aber mit jener bewußten Ehre, die wir
hier der Kürze halber die Ritterehre nennen wollen, obwohl sie, wie bekannt,
längst aufgehört hat, das Vorrecht der Ritter zu sein. Sie wird nur durch
Beleidigungen, je nachdem, verletzt oder verloren und durch den Zweikampf
wieder hergestellt, was alles bei der wahren Ehre nicht zutrifft. Folglich ist
sie als solche thatsächlich nicht vorhanden; denn gerade das ist ja der Grund,
weshalb sie als wahre Ehre, wie mein Gegner selbst einräumt, der Vernunft
unzugänglich ist. Folgerichtigerweise dürfte er nun eigentlich über diese Ehre
nicht mehr vernünftig zu reden versuchen und namentlich nicht mehr, wie er
es thut, beständig von einem Ehrbegriffe reden, denn Begriffe giebt es eben
uur für die Vernunft. Vielleicht erklärt sich aber diese Inkonsequenz dadurch,
daß er sich unter Ehre doch etwas denkt, wenn das auch nicht Ehre sein kann.
Erwägt man nämlich seinen etwas dunkeln Ausspruch, daß "die Verschiedenheit
des Ehrbegriffs eine Folge der stufenweise sich vollziehenden Entwicklung der
seelischen Veziehuugeu zur Menschenwürde" sei, womit auf ein Verhältnis der
Seele zur Menschenwürde hingedeutet ist, so scheint er sagen zu wollen, die Ehre
des einzelnen Menschen sei seine Überzeugung von der ihm eignen Würde,
d. h. seine mehr oder minder hohe Meinung von sich selbst. Damit stimmt
auch, was er weiter behauptet: "Bekanntlich hat jeder Mensch seine Ehre,"
und in offenbarem Widerspruch damit wenige Satze darauf: "Es giebt über¬
haupt wenige Menschen, die nicht ihre Ehre hätten," also doch einige. Er
will sagen: mit verschwindenden Ausnahmen schätzen sich die Menschen, d.h.
jeder sich selbst, recht hoch, höher, als sie von andern geschätzt werden. So
hatte auch der Mann, der eben aus dem Zuchthause entlassen worden war,
trotzdem ein sehr gutes Vertrauen zu sich selbst; daß er damit "ganz Recht"
gehabt habe, wird wohl nicht jeder zugeben.

Diese Anschauung kommt im wesentlichen auf das hinaus, was vor einiger
Zeit ein höherer Offizier in den Grenzboten für Ehre erklärt hat -- Heft 42
des Jahrgangs 1895 --, und was ebenda als Irrtum aufgedeckt worden
ist. Im übrigen kann man unbedenklich zugeben, daß die Menschen je nach
ihrer Zugehörigkeit zu gewissen gesellschaftlichen Kreisen, bestimmten Ständen
und einzelnen Berufsarten, einschließlich des Diebshandwerks, eine verschiedne
seelische Beziehung zu ihrer Menschenwürde unterhalten, sich als etwas be¬
sondres fühlen. Daß dieses Gefühl bei den Adlichen und denen, die ihnen
nacheifern, den Gipfelpunkt erreicht, ist bekannt: nur hat es nichts mit der
Ehre zu thun und kann auch logischerweise durch das beleidigende Verhalten
andrer nicht vermindert oder gar ertötet werden. Wohl aber kann es Ver¬
letzungen erleiden, die sich, soweit jenes Gefühl als berechtigt anerkannt werden
muß, objektiv als Beleidigungen und demnach strafbare Handlungen darstellen,


Nochmals die Ehre und der Zweikampf

wird, thatsächlich nicht Ehre ist. Daß es etwas andres sein könne, soll nicht
bestritten werden, aber Ehre ist es eben nicht, und so wird es mit Unrecht
Ehre genannt. So verhält es sich aber mit jener bewußten Ehre, die wir
hier der Kürze halber die Ritterehre nennen wollen, obwohl sie, wie bekannt,
längst aufgehört hat, das Vorrecht der Ritter zu sein. Sie wird nur durch
Beleidigungen, je nachdem, verletzt oder verloren und durch den Zweikampf
wieder hergestellt, was alles bei der wahren Ehre nicht zutrifft. Folglich ist
sie als solche thatsächlich nicht vorhanden; denn gerade das ist ja der Grund,
weshalb sie als wahre Ehre, wie mein Gegner selbst einräumt, der Vernunft
unzugänglich ist. Folgerichtigerweise dürfte er nun eigentlich über diese Ehre
nicht mehr vernünftig zu reden versuchen und namentlich nicht mehr, wie er
es thut, beständig von einem Ehrbegriffe reden, denn Begriffe giebt es eben
uur für die Vernunft. Vielleicht erklärt sich aber diese Inkonsequenz dadurch,
daß er sich unter Ehre doch etwas denkt, wenn das auch nicht Ehre sein kann.
Erwägt man nämlich seinen etwas dunkeln Ausspruch, daß „die Verschiedenheit
des Ehrbegriffs eine Folge der stufenweise sich vollziehenden Entwicklung der
seelischen Veziehuugeu zur Menschenwürde" sei, womit auf ein Verhältnis der
Seele zur Menschenwürde hingedeutet ist, so scheint er sagen zu wollen, die Ehre
des einzelnen Menschen sei seine Überzeugung von der ihm eignen Würde,
d. h. seine mehr oder minder hohe Meinung von sich selbst. Damit stimmt
auch, was er weiter behauptet: „Bekanntlich hat jeder Mensch seine Ehre,"
und in offenbarem Widerspruch damit wenige Satze darauf: „Es giebt über¬
haupt wenige Menschen, die nicht ihre Ehre hätten," also doch einige. Er
will sagen: mit verschwindenden Ausnahmen schätzen sich die Menschen, d.h.
jeder sich selbst, recht hoch, höher, als sie von andern geschätzt werden. So
hatte auch der Mann, der eben aus dem Zuchthause entlassen worden war,
trotzdem ein sehr gutes Vertrauen zu sich selbst; daß er damit „ganz Recht"
gehabt habe, wird wohl nicht jeder zugeben.

Diese Anschauung kommt im wesentlichen auf das hinaus, was vor einiger
Zeit ein höherer Offizier in den Grenzboten für Ehre erklärt hat — Heft 42
des Jahrgangs 1895 —, und was ebenda als Irrtum aufgedeckt worden
ist. Im übrigen kann man unbedenklich zugeben, daß die Menschen je nach
ihrer Zugehörigkeit zu gewissen gesellschaftlichen Kreisen, bestimmten Ständen
und einzelnen Berufsarten, einschließlich des Diebshandwerks, eine verschiedne
seelische Beziehung zu ihrer Menschenwürde unterhalten, sich als etwas be¬
sondres fühlen. Daß dieses Gefühl bei den Adlichen und denen, die ihnen
nacheifern, den Gipfelpunkt erreicht, ist bekannt: nur hat es nichts mit der
Ehre zu thun und kann auch logischerweise durch das beleidigende Verhalten
andrer nicht vermindert oder gar ertötet werden. Wohl aber kann es Ver¬
letzungen erleiden, die sich, soweit jenes Gefühl als berechtigt anerkannt werden
muß, objektiv als Beleidigungen und demnach strafbare Handlungen darstellen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/87>, abgerufen am 23.05.2024.