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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Nochmals die Lhre und der Iweikampf

Freilich, wir sind bis jetzt von diesem Ziele noch weit entfernt. Man
vergleiche die Reichstagsverhandlung vom 15. Februar, in der die Sozial¬
demokraten, mit scharfem Blick eine sehr schwache Stelle der "Ordnungspar-
teien" erkennend, die Dnellfrage berührt hatten. Der Kriegsminister Vronsart
von Schellendorf sprach sich dahin aus, daß sich Ferdinand Lassalle auf das
Duell, das ihm das Leben kostete, in der Meinung eingelassen habe, er sei es
seiner Manneswürde und Mannesehre schuldig, mit seiner Person einzutreten.
Soll damit gesagt sein, daß er wohl daran gethan habe? Kein Zweifel, wer
ein echter Mann ist und für einen solchen gehalten sein will, der muß sich
unter Umständen der Gefahr von Leib und Leben aussetzen, z. B. wenn er
einen Menschen ertrinken sieht und selbst schwimmen kann, ihm nachspringen
und ihn zu retten versuchen. Aber heißt das auch, daß ich, wenn ich einen
beleidige oder von ihm beleidigt werde, mich und ihn der Gefahr, erschossen
zu werden, aussetzen muß? Wo ist da der ursächliche Zusammenhang? Er
fehlt. Mit demselben logischen Anstand könnte man sagen: wer beleidigt worden
ist, muß auf die Zinne eines Turmes steigen, dort sich auf ein Bein stellen
und fünf Minuten warten, ob ihn der Schwindel faßt; das ist er seiner
Mannesehre schuldig.

Im übrigen hörte man die bekannten Sätze, daß die Ehre höher stehe
als das Leben, und daß das Duell ein notwendiges Übel sei, an dem nichts
geändert werden könne. Auch der von seiner Partei als Staatsmann x",/
e^/"?^ gepriesene Herr v. Bennigsen war der Meinung, "daß in einzelnen
Fällen das Duell beinahe zur Notwendigkeit wird." Graf Bernstorff aller¬
dings bestritt die Notwendigkeit des Duellübels. Aber das will nicht viel
sagen. Nur die Herren vom Zentrum machen eine entschiedne grundsätzliche
Auffassung geltend; sie erklären, das Duell sei unvereinbar mit dem Christentum.
Das ist unzweifelhaft richtig, wird aber auch vou keiner Seite bestritten. Das
Schlimme ist mir: wenn man den Menschen sagt, daß sie schlechte Christen
seien, so macht das wenig Eindruck auf sie. Wo man nicht einem Lächeln
begegnet, da heißt es: Gott wird das richten, wie Graf Roon sagt. Erst
wenn man sie darauf hinweist, daß ihr Gehirn nicht in Ordnung ist, dann
werden sie stutzig, fassen sich an den Kopf und erheben hie und dn lebhaft
Widerspruch, aber einen Widerspruch, dessen Begründung natürlich nnr ver¬
fehlt sein kaun. Zum Glück hat die Wahrheit eine so unwiderstehliche Gewalt,
daß, wenn man nicht aufhört, sie laut und unerschrocken zu bezeugen, man
hoffen darf, sie werde allmählich auch in den Köpfen derer aufdämmern, vor
deren Augen jetzt noch der Nebel gedankenloser Gewohnheit und Einbildung liegt.




Grenzboten II 189611
Nochmals die Lhre und der Iweikampf

Freilich, wir sind bis jetzt von diesem Ziele noch weit entfernt. Man
vergleiche die Reichstagsverhandlung vom 15. Februar, in der die Sozial¬
demokraten, mit scharfem Blick eine sehr schwache Stelle der „Ordnungspar-
teien" erkennend, die Dnellfrage berührt hatten. Der Kriegsminister Vronsart
von Schellendorf sprach sich dahin aus, daß sich Ferdinand Lassalle auf das
Duell, das ihm das Leben kostete, in der Meinung eingelassen habe, er sei es
seiner Manneswürde und Mannesehre schuldig, mit seiner Person einzutreten.
Soll damit gesagt sein, daß er wohl daran gethan habe? Kein Zweifel, wer
ein echter Mann ist und für einen solchen gehalten sein will, der muß sich
unter Umständen der Gefahr von Leib und Leben aussetzen, z. B. wenn er
einen Menschen ertrinken sieht und selbst schwimmen kann, ihm nachspringen
und ihn zu retten versuchen. Aber heißt das auch, daß ich, wenn ich einen
beleidige oder von ihm beleidigt werde, mich und ihn der Gefahr, erschossen
zu werden, aussetzen muß? Wo ist da der ursächliche Zusammenhang? Er
fehlt. Mit demselben logischen Anstand könnte man sagen: wer beleidigt worden
ist, muß auf die Zinne eines Turmes steigen, dort sich auf ein Bein stellen
und fünf Minuten warten, ob ihn der Schwindel faßt; das ist er seiner
Mannesehre schuldig.

Im übrigen hörte man die bekannten Sätze, daß die Ehre höher stehe
als das Leben, und daß das Duell ein notwendiges Übel sei, an dem nichts
geändert werden könne. Auch der von seiner Partei als Staatsmann x«,/
e^/»?^ gepriesene Herr v. Bennigsen war der Meinung, „daß in einzelnen
Fällen das Duell beinahe zur Notwendigkeit wird." Graf Bernstorff aller¬
dings bestritt die Notwendigkeit des Duellübels. Aber das will nicht viel
sagen. Nur die Herren vom Zentrum machen eine entschiedne grundsätzliche
Auffassung geltend; sie erklären, das Duell sei unvereinbar mit dem Christentum.
Das ist unzweifelhaft richtig, wird aber auch vou keiner Seite bestritten. Das
Schlimme ist mir: wenn man den Menschen sagt, daß sie schlechte Christen
seien, so macht das wenig Eindruck auf sie. Wo man nicht einem Lächeln
begegnet, da heißt es: Gott wird das richten, wie Graf Roon sagt. Erst
wenn man sie darauf hinweist, daß ihr Gehirn nicht in Ordnung ist, dann
werden sie stutzig, fassen sich an den Kopf und erheben hie und dn lebhaft
Widerspruch, aber einen Widerspruch, dessen Begründung natürlich nnr ver¬
fehlt sein kaun. Zum Glück hat die Wahrheit eine so unwiderstehliche Gewalt,
daß, wenn man nicht aufhört, sie laut und unerschrocken zu bezeugen, man
hoffen darf, sie werde allmählich auch in den Köpfen derer aufdämmern, vor
deren Augen jetzt noch der Nebel gedankenloser Gewohnheit und Einbildung liegt.




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[0089] Nochmals die Lhre und der Iweikampf Freilich, wir sind bis jetzt von diesem Ziele noch weit entfernt. Man vergleiche die Reichstagsverhandlung vom 15. Februar, in der die Sozial¬ demokraten, mit scharfem Blick eine sehr schwache Stelle der „Ordnungspar- teien" erkennend, die Dnellfrage berührt hatten. Der Kriegsminister Vronsart von Schellendorf sprach sich dahin aus, daß sich Ferdinand Lassalle auf das Duell, das ihm das Leben kostete, in der Meinung eingelassen habe, er sei es seiner Manneswürde und Mannesehre schuldig, mit seiner Person einzutreten. Soll damit gesagt sein, daß er wohl daran gethan habe? Kein Zweifel, wer ein echter Mann ist und für einen solchen gehalten sein will, der muß sich unter Umständen der Gefahr von Leib und Leben aussetzen, z. B. wenn er einen Menschen ertrinken sieht und selbst schwimmen kann, ihm nachspringen und ihn zu retten versuchen. Aber heißt das auch, daß ich, wenn ich einen beleidige oder von ihm beleidigt werde, mich und ihn der Gefahr, erschossen zu werden, aussetzen muß? Wo ist da der ursächliche Zusammenhang? Er fehlt. Mit demselben logischen Anstand könnte man sagen: wer beleidigt worden ist, muß auf die Zinne eines Turmes steigen, dort sich auf ein Bein stellen und fünf Minuten warten, ob ihn der Schwindel faßt; das ist er seiner Mannesehre schuldig. Im übrigen hörte man die bekannten Sätze, daß die Ehre höher stehe als das Leben, und daß das Duell ein notwendiges Übel sei, an dem nichts geändert werden könne. Auch der von seiner Partei als Staatsmann x«,/ e^/»?^ gepriesene Herr v. Bennigsen war der Meinung, „daß in einzelnen Fällen das Duell beinahe zur Notwendigkeit wird." Graf Bernstorff aller¬ dings bestritt die Notwendigkeit des Duellübels. Aber das will nicht viel sagen. Nur die Herren vom Zentrum machen eine entschiedne grundsätzliche Auffassung geltend; sie erklären, das Duell sei unvereinbar mit dem Christentum. Das ist unzweifelhaft richtig, wird aber auch vou keiner Seite bestritten. Das Schlimme ist mir: wenn man den Menschen sagt, daß sie schlechte Christen seien, so macht das wenig Eindruck auf sie. Wo man nicht einem Lächeln begegnet, da heißt es: Gott wird das richten, wie Graf Roon sagt. Erst wenn man sie darauf hinweist, daß ihr Gehirn nicht in Ordnung ist, dann werden sie stutzig, fassen sich an den Kopf und erheben hie und dn lebhaft Widerspruch, aber einen Widerspruch, dessen Begründung natürlich nnr ver¬ fehlt sein kaun. Zum Glück hat die Wahrheit eine so unwiderstehliche Gewalt, daß, wenn man nicht aufhört, sie laut und unerschrocken zu bezeugen, man hoffen darf, sie werde allmählich auch in den Köpfen derer aufdämmern, vor deren Augen jetzt noch der Nebel gedankenloser Gewohnheit und Einbildung liegt. Grenzboten II 189611

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/89>, abgerufen am 14.05.2024.