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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Innere Politik oder äußere?

neunhundert Mark, 99 Prozent haben ein Einkommen unter sechstausend Mark.
Der Mitarbeiter der "Zeit" schließt daraus auf eine soziale Krankheit. Eine
andre Folgerung dürfte näher liegen: nämlich daß die Hilfe recht ohnmächtig
sein würde, die aus einer andern Verteilung der nationalen Reichtümer kommen
soll. Für uns ist das Überraschende an diesen Zahlen immer die Thatsache
gewesen, daß die Zahl der bedrückten Lohnarbeiter so groß und die Kopfzahl
der "Schmarotzer" so über Erwarten klein ist. Die Bcksis der Pyramide ist
breit, und es sieht nicht so aus, als ob es ihr sehr sauer werden könnte, die
kleine Spitze zu tragen.

Der Neid der Armem wird natürlich alle Einkommen über zweitausend
Mark für Luxus und darum für verteilungsfähig erklären. Darin irrt er aber.
Nach Marx muß der Lohn mindestens die Reproduktionskosten des Arbeiters
betragen. Wir glauben nicht, daß die Reproduktionskosten des Standes der
Richter, des Standes der Ärzte, der Kaufleute, der Betriebsleiter einen ge¬
ringeren Gehalt erlauben, als heute meist gezahlt wird, vielmehr wird im
sozialistischen Staate ein höherer Gesamtgehalt an die Beamtenklasse nötig
werden, da in manchem Beruf heutzutage die Reproduktion der Arbeiter nur
mit Zuschuß möglich ist. In den mittlern Einkommen sind also nicht die
Schätze zu finden, die nur gehoben zu werden brauchen, um alle Welt glücklich
zu machen. Wir müssen uns zu den reichsten wenden.

Man weiß ja heute von der preußischen Einkommensteuer her, wie die
irdischen Glücksgüter verteilt sind. Wie groß mag die Summe aller großen
Einkommen bei uns sein, die achttausend Mark übersteigen? Es wäre von
hohem Interesse, diesen Tribut, deu die Arbeit an die Besitzer zahlt, jenem
andern Tribut gegenüberzustellen, den die Arbeit auf Grund der Reichsver¬
sicherungsgesetze an die Unterstützungsbedürftigen zahlt, und der in einigen
Jahren, wie man sagt, die Höhe einer halben Milliarde jährlich erreichen wird.
Man beklagt oft, daß diese Unterstützungen so gering feien, obwohl sie doch nur
an einen Teil der Volksgenossen verteilt würden. Sollte aber das Gesamt¬
einkommen der Reichen wirklich zehnmal oder zwanzigmal größer sein, so würde
es doch, wenn es an alle verteilt würde, eine ebenso geringe Hilfe bilden.

Nun könnte man einwenden: Das sind die Einkommen, aber wo bleiben
die Riesenvermögen? An der angeführten Stelle in der "Zeit" kommt erst noch
der Haupttrumpf für die Beweisführung der sozialen Krankheit: 14,05 Prozent
des steuerfähigen Vermögens sind in den Händen von 0,016 Prozent der Be¬
völkerung! Das heißt ins Deutsche übersetzt: Auf sechstausend Menschen kommt
erst einer, der ein wirklich großes Vermögen hat. Wie reich muß er also sein,
um jenen sechstausend aus seinem Überfluß zu helfen?

Die modernen Vermögen bestehen aber nicht in Gold oder Rinderherden,
sondern in Papier. Diese Millionen sind nur Fiktionen, die ihren Wert ver¬
lieren in dem Augenblick, wo die dazu gehörigen Rechtsverhältnisse nicht mehr


Innere Politik oder äußere?

neunhundert Mark, 99 Prozent haben ein Einkommen unter sechstausend Mark.
Der Mitarbeiter der „Zeit" schließt daraus auf eine soziale Krankheit. Eine
andre Folgerung dürfte näher liegen: nämlich daß die Hilfe recht ohnmächtig
sein würde, die aus einer andern Verteilung der nationalen Reichtümer kommen
soll. Für uns ist das Überraschende an diesen Zahlen immer die Thatsache
gewesen, daß die Zahl der bedrückten Lohnarbeiter so groß und die Kopfzahl
der „Schmarotzer" so über Erwarten klein ist. Die Bcksis der Pyramide ist
breit, und es sieht nicht so aus, als ob es ihr sehr sauer werden könnte, die
kleine Spitze zu tragen.

Der Neid der Armem wird natürlich alle Einkommen über zweitausend
Mark für Luxus und darum für verteilungsfähig erklären. Darin irrt er aber.
Nach Marx muß der Lohn mindestens die Reproduktionskosten des Arbeiters
betragen. Wir glauben nicht, daß die Reproduktionskosten des Standes der
Richter, des Standes der Ärzte, der Kaufleute, der Betriebsleiter einen ge¬
ringeren Gehalt erlauben, als heute meist gezahlt wird, vielmehr wird im
sozialistischen Staate ein höherer Gesamtgehalt an die Beamtenklasse nötig
werden, da in manchem Beruf heutzutage die Reproduktion der Arbeiter nur
mit Zuschuß möglich ist. In den mittlern Einkommen sind also nicht die
Schätze zu finden, die nur gehoben zu werden brauchen, um alle Welt glücklich
zu machen. Wir müssen uns zu den reichsten wenden.

Man weiß ja heute von der preußischen Einkommensteuer her, wie die
irdischen Glücksgüter verteilt sind. Wie groß mag die Summe aller großen
Einkommen bei uns sein, die achttausend Mark übersteigen? Es wäre von
hohem Interesse, diesen Tribut, deu die Arbeit an die Besitzer zahlt, jenem
andern Tribut gegenüberzustellen, den die Arbeit auf Grund der Reichsver¬
sicherungsgesetze an die Unterstützungsbedürftigen zahlt, und der in einigen
Jahren, wie man sagt, die Höhe einer halben Milliarde jährlich erreichen wird.
Man beklagt oft, daß diese Unterstützungen so gering feien, obwohl sie doch nur
an einen Teil der Volksgenossen verteilt würden. Sollte aber das Gesamt¬
einkommen der Reichen wirklich zehnmal oder zwanzigmal größer sein, so würde
es doch, wenn es an alle verteilt würde, eine ebenso geringe Hilfe bilden.

Nun könnte man einwenden: Das sind die Einkommen, aber wo bleiben
die Riesenvermögen? An der angeführten Stelle in der „Zeit" kommt erst noch
der Haupttrumpf für die Beweisführung der sozialen Krankheit: 14,05 Prozent
des steuerfähigen Vermögens sind in den Händen von 0,016 Prozent der Be¬
völkerung! Das heißt ins Deutsche übersetzt: Auf sechstausend Menschen kommt
erst einer, der ein wirklich großes Vermögen hat. Wie reich muß er also sein,
um jenen sechstausend aus seinem Überfluß zu helfen?

Die modernen Vermögen bestehen aber nicht in Gold oder Rinderherden,
sondern in Papier. Diese Millionen sind nur Fiktionen, die ihren Wert ver¬
lieren in dem Augenblick, wo die dazu gehörigen Rechtsverhältnisse nicht mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/11>, abgerufen am 21.05.2024.