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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Innere Politik oder äußere?

gelten, die schon unwahr werden, wenn ein Krieg oder eine Revolution den
ruhigen Gang der Geschäfte stört. Diese Aktien und Hypotheken gelten
eigentlich nur für einen Augenblick wirklich so viel in Gold oder Lebensmitteln,
als sie anzeigen, nämlich dann, wenn sie von einem Kapitalisten an den andern
verkauft werden. Beschlössen aber alle Kapitalisten, ihre Papiere zu ver¬
kaufen, so würden diese Papiere eben nur Papier sein, weil niemand dawäre,
der "Realitäten" dafür geben könnte. Und so würde es auch den Proletariern
gehen, wenn sie die Vermögen der Reichen teilen wollten. Sie würden von
allen Millionen Rothschilds nur Papier übrig behalten und das Anrecht aus
Rente aus diesem Landgut oder jener Fabrik, vorausgesetzt, daß beide noch gut
im Stande wären und mit Erfolg wirtschafteten.

Wie groß ist also der Fonds, aus dem die Kurkosten des allgemeinen Elends
bestritten werden sollen? Das ist eine Frage der Zahlen, die das Einkommen
der Reichsten im Volke angeben. Ob sich damit viel Thränen werden trocknen
lassen? In der "Zeit" sind zuweilen aädortationös g.ä xoxnluin zu lesen, z. B.
"Ihr Postillone, ihr bekommt nur 1,50 täglich Lohn! Das ist zu wenig. In
Frankfurt am Main kann man damit nicht leben!" El, es müssen tausende
damit in Frankfurt leben und Hunderttausende im ganzen Reiche. Dieser Lohn
liegt eher über dem Durchschnitt, weil er keinen Tag im Jahre ausfällt. Ist
es denn wirklich nur eine Sache des guten Willens, Hunderttausenden ihren
Lohn auch nur um einen Groschen täglich zu erhöhen? Und wenn sie diesen
Groschen haben, bekommen sie dafür auch ein Stück Brot mehr?

Das Privatkapital erfüllt zur Zeit einige wichtige Aufgaben, die auch in
einem sozialistisch geordneten Staate nicht vernachlässigt werden dürfen. Ein
großer Teil des Tributs, den die Arbeit an die Besitzer der Arbeitsgelegenheit
zahlt, wird von diesen nicht verbraucht, sondern aufgespeichert und benutzt zur
Erweiterung der Produktion, das heißt dazu, immer größere Menschenmassen
gewinnbringend zu beschäftigen, eine sehr gemeinnützige Aufgabe, der sich auch
eine sozialistische Gesellschaft nicht wird entziehen können gegenüber der That¬
sache, daß es das Volk liebt, zu wachsen, die aber in jener neuen Welt riesen¬
groß werden konnte, wenn nicht Heiratsbeschränkungen eingeführt werden. Es
genügt nicht, daß man zu denen, die als Volkszuwachs ins Leben treten, sagt:
Arbeitet! Damit ist die Existenzfrage noch nicht gelöst. Denn in der sozia¬
listischen Bibel von Karl Marx steht wohl: "Nur die Arbeit schafft Werte,"
aber nicht "jede Arbeit schafft Werte."

Wieviel mag wohl heute das Privatkapital sür diese Zwecke von seinem
Einkommen abgeben? Wer da weiß, was bei heutigem Zinsfuß dazu gehört,
aus einem Einkommen ein Vermögen zu sparen, der wird es nicht gering
anschlagen. Der Stolz der reichen Leute dieser Zeit ist nicht der Luxus,
sondern die Vermehrung ihres Vermögens. Viele von ihnen arbeiten wie die
Pferde ein der Erweiterung der Produktion und dienen dabei dem Gemein'


Innere Politik oder äußere?

gelten, die schon unwahr werden, wenn ein Krieg oder eine Revolution den
ruhigen Gang der Geschäfte stört. Diese Aktien und Hypotheken gelten
eigentlich nur für einen Augenblick wirklich so viel in Gold oder Lebensmitteln,
als sie anzeigen, nämlich dann, wenn sie von einem Kapitalisten an den andern
verkauft werden. Beschlössen aber alle Kapitalisten, ihre Papiere zu ver¬
kaufen, so würden diese Papiere eben nur Papier sein, weil niemand dawäre,
der „Realitäten" dafür geben könnte. Und so würde es auch den Proletariern
gehen, wenn sie die Vermögen der Reichen teilen wollten. Sie würden von
allen Millionen Rothschilds nur Papier übrig behalten und das Anrecht aus
Rente aus diesem Landgut oder jener Fabrik, vorausgesetzt, daß beide noch gut
im Stande wären und mit Erfolg wirtschafteten.

Wie groß ist also der Fonds, aus dem die Kurkosten des allgemeinen Elends
bestritten werden sollen? Das ist eine Frage der Zahlen, die das Einkommen
der Reichsten im Volke angeben. Ob sich damit viel Thränen werden trocknen
lassen? In der „Zeit" sind zuweilen aädortationös g.ä xoxnluin zu lesen, z. B.
„Ihr Postillone, ihr bekommt nur 1,50 täglich Lohn! Das ist zu wenig. In
Frankfurt am Main kann man damit nicht leben!" El, es müssen tausende
damit in Frankfurt leben und Hunderttausende im ganzen Reiche. Dieser Lohn
liegt eher über dem Durchschnitt, weil er keinen Tag im Jahre ausfällt. Ist
es denn wirklich nur eine Sache des guten Willens, Hunderttausenden ihren
Lohn auch nur um einen Groschen täglich zu erhöhen? Und wenn sie diesen
Groschen haben, bekommen sie dafür auch ein Stück Brot mehr?

Das Privatkapital erfüllt zur Zeit einige wichtige Aufgaben, die auch in
einem sozialistisch geordneten Staate nicht vernachlässigt werden dürfen. Ein
großer Teil des Tributs, den die Arbeit an die Besitzer der Arbeitsgelegenheit
zahlt, wird von diesen nicht verbraucht, sondern aufgespeichert und benutzt zur
Erweiterung der Produktion, das heißt dazu, immer größere Menschenmassen
gewinnbringend zu beschäftigen, eine sehr gemeinnützige Aufgabe, der sich auch
eine sozialistische Gesellschaft nicht wird entziehen können gegenüber der That¬
sache, daß es das Volk liebt, zu wachsen, die aber in jener neuen Welt riesen¬
groß werden konnte, wenn nicht Heiratsbeschränkungen eingeführt werden. Es
genügt nicht, daß man zu denen, die als Volkszuwachs ins Leben treten, sagt:
Arbeitet! Damit ist die Existenzfrage noch nicht gelöst. Denn in der sozia¬
listischen Bibel von Karl Marx steht wohl: „Nur die Arbeit schafft Werte,"
aber nicht „jede Arbeit schafft Werte."

Wieviel mag wohl heute das Privatkapital sür diese Zwecke von seinem
Einkommen abgeben? Wer da weiß, was bei heutigem Zinsfuß dazu gehört,
aus einem Einkommen ein Vermögen zu sparen, der wird es nicht gering
anschlagen. Der Stolz der reichen Leute dieser Zeit ist nicht der Luxus,
sondern die Vermehrung ihres Vermögens. Viele von ihnen arbeiten wie die
Pferde ein der Erweiterung der Produktion und dienen dabei dem Gemein'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/12>, abgerufen am 21.05.2024.