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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Innere Politik oder äußere?

Wohl. Ob die Bureaukraten des sozialistischen Staates ebenso übereifrig sein
werden? Büreaukraten pflegen mit ihrer Arbeitskraft nicht verschwenderisch
umzugehen.

Das Privatkapital trägt auch zum größten Teil das Risiko der Produktion.
Der Arbeiter denkt, Kapitalisten könnten nur gewinnen. Sie können aber auch
verlieren. Die Betriebe, die dankbar sind und Rente tragen, sind überall zu
sehen, die aber, die bankerott geworden sind und Vermögen verschluckt haben,
sind nicht zu sehen, weil sie verschwunden sind. Aus diesen Betrieben ging
der Arbeiter nach Hause mit Lohn für eine Arbeit, die keinen Mehrwert ge¬
schaffen, ja überhaupt keinen entsprechenden Wert geschaffen hat, weil sie aus
irgend einem unvorhergesehenen Grunde nicht der gesellschaftlichen Durchschnitts¬
arbeit entsprach. Der Unternehmer hatte sich eben verrechnet. Werden sich
die zukünftigen Direktoren der sozialistischen Produktion nicht verrechnen? Wenn
unter der feudalen Wirtschaft Mißernten vorkamen, so litten unter ihnen haupt¬
sächlich die kleinen Frohnleute; ihre Entbehrungen mußten den Ausfall decken.
Der Lohnarbeiter von heute hat keine solchen Sorgen. Er bekommt seinen
Lohn, ob der Herr viel oder wenig erntet oder auch gar nicht auf seine Kosten
kommt. Verluste durch schlechte Ernten ohne Teuerung, durch Überschwemmung
von Bergwerken, durch Verminderung der Rentabilität ganzer Betriebsarten,
z. B. der Landwirtschaft, werden heute in erster Linie vom Privatknpital ge¬
tragen. Würde es ein Fortschritt sein, wenn man die arbeitende Klasse wieder
am Gewinn und Verlust beteiligen wollte? Auch im sozialistischen Staate
wird es eine Profitrate geben müssen, einen Zins, der erstens aufgespeichert
wird für die beständige Erweiterung der Produktion, zweitens bestimmt ist, das
Risiko zu decken. Da man nun heute die auffallende Beobachtung macht, daß
alle staatlichen Versicherungen teurer wirtschaften als private, so ist anzunehmen,
daß auch die Direktoren der sozialistischen Arbeit teurer wirtschaften werden
als die Unternehmer von heute.

Nach Abzug dieser gemeinnützigen Ausgaben des Kapitels bleibt der Teil
des Einkommens übrig, der für den Luxus verbraucht, für schöne Kleider,
Häuser, Equipagen, Champagner und Austern, Kunstwerke und ästhetische Genüsse
aller Art ausgegeben wird. Doch wollen wir nicht vergessen, daß sich auch
hierunter noch öffentliche Ausgaben des Privatkapitals verstecken. Kunst und
Wissenschaft, Kunsthandwerk, Pferdezucht, Gartenzucht und allerlei andrer nütz¬
licher Sport haben ihre Existenzmittel bisher nur zum kleinsten Teile vom
Staat erhalten oder aus dem Geschäft gezogen. Verdicken wir den Privat¬
reichtum, so werden nicht nur die notwendigen Beamten, Lehrer, Erfinder,
Nationalökonomen fehlen, denen bisher ihre gemeinnützige Arbeit nur mit Zu¬
schuß von eignem oder fremdem Priatvermögen möglich war, sondern wir er¬
morden auch im Mutterleibe die zukünftigen Raphnel und Mozart. Denn zu
den Künsten gehört Muße. In jener Zukunft aber wird nicht nur jedermann


Innere Politik oder äußere?

Wohl. Ob die Bureaukraten des sozialistischen Staates ebenso übereifrig sein
werden? Büreaukraten pflegen mit ihrer Arbeitskraft nicht verschwenderisch
umzugehen.

Das Privatkapital trägt auch zum größten Teil das Risiko der Produktion.
Der Arbeiter denkt, Kapitalisten könnten nur gewinnen. Sie können aber auch
verlieren. Die Betriebe, die dankbar sind und Rente tragen, sind überall zu
sehen, die aber, die bankerott geworden sind und Vermögen verschluckt haben,
sind nicht zu sehen, weil sie verschwunden sind. Aus diesen Betrieben ging
der Arbeiter nach Hause mit Lohn für eine Arbeit, die keinen Mehrwert ge¬
schaffen, ja überhaupt keinen entsprechenden Wert geschaffen hat, weil sie aus
irgend einem unvorhergesehenen Grunde nicht der gesellschaftlichen Durchschnitts¬
arbeit entsprach. Der Unternehmer hatte sich eben verrechnet. Werden sich
die zukünftigen Direktoren der sozialistischen Produktion nicht verrechnen? Wenn
unter der feudalen Wirtschaft Mißernten vorkamen, so litten unter ihnen haupt¬
sächlich die kleinen Frohnleute; ihre Entbehrungen mußten den Ausfall decken.
Der Lohnarbeiter von heute hat keine solchen Sorgen. Er bekommt seinen
Lohn, ob der Herr viel oder wenig erntet oder auch gar nicht auf seine Kosten
kommt. Verluste durch schlechte Ernten ohne Teuerung, durch Überschwemmung
von Bergwerken, durch Verminderung der Rentabilität ganzer Betriebsarten,
z. B. der Landwirtschaft, werden heute in erster Linie vom Privatknpital ge¬
tragen. Würde es ein Fortschritt sein, wenn man die arbeitende Klasse wieder
am Gewinn und Verlust beteiligen wollte? Auch im sozialistischen Staate
wird es eine Profitrate geben müssen, einen Zins, der erstens aufgespeichert
wird für die beständige Erweiterung der Produktion, zweitens bestimmt ist, das
Risiko zu decken. Da man nun heute die auffallende Beobachtung macht, daß
alle staatlichen Versicherungen teurer wirtschaften als private, so ist anzunehmen,
daß auch die Direktoren der sozialistischen Arbeit teurer wirtschaften werden
als die Unternehmer von heute.

Nach Abzug dieser gemeinnützigen Ausgaben des Kapitels bleibt der Teil
des Einkommens übrig, der für den Luxus verbraucht, für schöne Kleider,
Häuser, Equipagen, Champagner und Austern, Kunstwerke und ästhetische Genüsse
aller Art ausgegeben wird. Doch wollen wir nicht vergessen, daß sich auch
hierunter noch öffentliche Ausgaben des Privatkapitals verstecken. Kunst und
Wissenschaft, Kunsthandwerk, Pferdezucht, Gartenzucht und allerlei andrer nütz¬
licher Sport haben ihre Existenzmittel bisher nur zum kleinsten Teile vom
Staat erhalten oder aus dem Geschäft gezogen. Verdicken wir den Privat¬
reichtum, so werden nicht nur die notwendigen Beamten, Lehrer, Erfinder,
Nationalökonomen fehlen, denen bisher ihre gemeinnützige Arbeit nur mit Zu¬
schuß von eignem oder fremdem Priatvermögen möglich war, sondern wir er¬
morden auch im Mutterleibe die zukünftigen Raphnel und Mozart. Denn zu
den Künsten gehört Muße. In jener Zukunft aber wird nicht nur jedermann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/13>, abgerufen am 21.05.2024.