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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

in den? Falle, wo er ganz unverschuldet in den Streit, der zum Zweikampf ge¬
führt hat, hineingezogen worden ist, zu bestrafen. Wir wissen, daß ein Offizier,
der sich dem Zweikampf grundsätzlich entziehen wollte, bei uns nicht bestehen
kann, wir wissen ferner, daß durch die für die Offiziere maßgebenden An¬
schauungen auch die sogenannten obern Schichten der bürgerlichen Gesellschaft
gebunden sind. Ob es wünschenswert sei, daß die Verhältnisse bei uns anders
lügen, ob die Aufklärung unsers Zeitalters dahin führen könne oder müsse,
das Duell als etwas vernunftwidriges in Verruf zu bringen und auch bei
uns zu beseitigen, das sind Fragen, die mit der Strafbarkeit nicht im Zu¬
sammenhang stehen. So lange ein Duellzwang thatsächlich noch vorhanden
ist, sollte auch der Duellant, dem keine Ungebührlichkeiten zur Last fallen, nicht
bestraft werden dürfen. Seine Strafbarkeit kann, worüber er sich selbst wohl
in den seltensten Fällen klar geworden sein mag, sein wirtschaftliches Dasein
vernichten, ohne daß die Gnade des Fürsten hieran etwas zu ändern vermag,
denn durch die Strafbarkeit wird seine Handlung zu einer auch nach bürger¬
lichem Recht unerlaubten und widerrechtlichen gestempelt. Das preußische
Allgemeine Landrecht bestimmt in den §§ 98. 99 und 100, Titel 6, Teil I:
"Wer widerrechtlich einen Menschen ums Leben bringt, muß in allen Füllen
der hinterlassenen Frau und den Kindern des Entleibten die Kosten der etwaigen
Kur, ingleichen die Begräbnis- und Trauerkosten ersetzen. Außerdem ist, wenn
die Entleibung aus Vorsatz oder grobem Versehen erfolgt, der Beschädiger
verbunden, der Witwe und den Kindern des Entleibten standesmäßigen Unter¬
halt, auch den letztern dergleichen Erziehung und Ausstattung, als sie von
dem Vater nach dessen Stand und Vermögen erwarten konnten, zu gewähren.
Dabei wird auf das von dem Entleibten hinterlassene Vermögen, in¬
gleichen auf die Unterstützungen, die der Witwe und den Kindern von dem
Staate oder anders woher angedeihen, keine Rücksicht genommen." Ferner
heißt es in den fez 115 und 116 desselben Titels: "Ist durch die zugefügte
Verletzung der Beschädigte sein Amt oder Gewerbe auf die bisherige Art zu
betreiben gänzlich außer Stand gesetzt worden, so haftet der Beschädiger für
diejenigen Vorteile, deren fortgesetzter Genuß dem Beschädigtem dadurch ent¬
zogen wird. Ist die Beschädigung aus Vorsatz oder grobem Versehen zugefügt
worden, so müssen dem Beschädigtem auch künftige Vorteile vergütet werden,
deren Erlangung derselbe, nach dem natürlichen und gewöhnlichen Lauf der
Dinge, vernünftigerweise erwarten konnte." Waren die Beschädigungen in
dem Zweikampf wechselseitig, so würde, wenigstens nach dem preußischen all¬
gemeinen Landrecht, keine Aufhebung der Ersatzpflicht eintreten, sondern jeder
dem andern für den verursachten Schaden volle Genugthuung leisten müssen.
Ein Mann, der auch auf die Erfüllung seiner bürgerlichen Verpflichtungen
etwas hält, müßte sich also in sehr guter Vermögenslage befinden, um einen
Zweikampf gegen einen Familienvater wagen zu können. Es ist aber ein


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

in den? Falle, wo er ganz unverschuldet in den Streit, der zum Zweikampf ge¬
führt hat, hineingezogen worden ist, zu bestrafen. Wir wissen, daß ein Offizier,
der sich dem Zweikampf grundsätzlich entziehen wollte, bei uns nicht bestehen
kann, wir wissen ferner, daß durch die für die Offiziere maßgebenden An¬
schauungen auch die sogenannten obern Schichten der bürgerlichen Gesellschaft
gebunden sind. Ob es wünschenswert sei, daß die Verhältnisse bei uns anders
lügen, ob die Aufklärung unsers Zeitalters dahin führen könne oder müsse,
das Duell als etwas vernunftwidriges in Verruf zu bringen und auch bei
uns zu beseitigen, das sind Fragen, die mit der Strafbarkeit nicht im Zu¬
sammenhang stehen. So lange ein Duellzwang thatsächlich noch vorhanden
ist, sollte auch der Duellant, dem keine Ungebührlichkeiten zur Last fallen, nicht
bestraft werden dürfen. Seine Strafbarkeit kann, worüber er sich selbst wohl
in den seltensten Fällen klar geworden sein mag, sein wirtschaftliches Dasein
vernichten, ohne daß die Gnade des Fürsten hieran etwas zu ändern vermag,
denn durch die Strafbarkeit wird seine Handlung zu einer auch nach bürger¬
lichem Recht unerlaubten und widerrechtlichen gestempelt. Das preußische
Allgemeine Landrecht bestimmt in den §§ 98. 99 und 100, Titel 6, Teil I:
„Wer widerrechtlich einen Menschen ums Leben bringt, muß in allen Füllen
der hinterlassenen Frau und den Kindern des Entleibten die Kosten der etwaigen
Kur, ingleichen die Begräbnis- und Trauerkosten ersetzen. Außerdem ist, wenn
die Entleibung aus Vorsatz oder grobem Versehen erfolgt, der Beschädiger
verbunden, der Witwe und den Kindern des Entleibten standesmäßigen Unter¬
halt, auch den letztern dergleichen Erziehung und Ausstattung, als sie von
dem Vater nach dessen Stand und Vermögen erwarten konnten, zu gewähren.
Dabei wird auf das von dem Entleibten hinterlassene Vermögen, in¬
gleichen auf die Unterstützungen, die der Witwe und den Kindern von dem
Staate oder anders woher angedeihen, keine Rücksicht genommen." Ferner
heißt es in den fez 115 und 116 desselben Titels: „Ist durch die zugefügte
Verletzung der Beschädigte sein Amt oder Gewerbe auf die bisherige Art zu
betreiben gänzlich außer Stand gesetzt worden, so haftet der Beschädiger für
diejenigen Vorteile, deren fortgesetzter Genuß dem Beschädigtem dadurch ent¬
zogen wird. Ist die Beschädigung aus Vorsatz oder grobem Versehen zugefügt
worden, so müssen dem Beschädigtem auch künftige Vorteile vergütet werden,
deren Erlangung derselbe, nach dem natürlichen und gewöhnlichen Lauf der
Dinge, vernünftigerweise erwarten konnte." Waren die Beschädigungen in
dem Zweikampf wechselseitig, so würde, wenigstens nach dem preußischen all¬
gemeinen Landrecht, keine Aufhebung der Ersatzpflicht eintreten, sondern jeder
dem andern für den verursachten Schaden volle Genugthuung leisten müssen.
Ein Mann, der auch auf die Erfüllung seiner bürgerlichen Verpflichtungen
etwas hält, müßte sich also in sehr guter Vermögenslage befinden, um einen
Zweikampf gegen einen Familienvater wagen zu können. Es ist aber ein


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[0131] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg in den? Falle, wo er ganz unverschuldet in den Streit, der zum Zweikampf ge¬ führt hat, hineingezogen worden ist, zu bestrafen. Wir wissen, daß ein Offizier, der sich dem Zweikampf grundsätzlich entziehen wollte, bei uns nicht bestehen kann, wir wissen ferner, daß durch die für die Offiziere maßgebenden An¬ schauungen auch die sogenannten obern Schichten der bürgerlichen Gesellschaft gebunden sind. Ob es wünschenswert sei, daß die Verhältnisse bei uns anders lügen, ob die Aufklärung unsers Zeitalters dahin führen könne oder müsse, das Duell als etwas vernunftwidriges in Verruf zu bringen und auch bei uns zu beseitigen, das sind Fragen, die mit der Strafbarkeit nicht im Zu¬ sammenhang stehen. So lange ein Duellzwang thatsächlich noch vorhanden ist, sollte auch der Duellant, dem keine Ungebührlichkeiten zur Last fallen, nicht bestraft werden dürfen. Seine Strafbarkeit kann, worüber er sich selbst wohl in den seltensten Fällen klar geworden sein mag, sein wirtschaftliches Dasein vernichten, ohne daß die Gnade des Fürsten hieran etwas zu ändern vermag, denn durch die Strafbarkeit wird seine Handlung zu einer auch nach bürger¬ lichem Recht unerlaubten und widerrechtlichen gestempelt. Das preußische Allgemeine Landrecht bestimmt in den §§ 98. 99 und 100, Titel 6, Teil I: „Wer widerrechtlich einen Menschen ums Leben bringt, muß in allen Füllen der hinterlassenen Frau und den Kindern des Entleibten die Kosten der etwaigen Kur, ingleichen die Begräbnis- und Trauerkosten ersetzen. Außerdem ist, wenn die Entleibung aus Vorsatz oder grobem Versehen erfolgt, der Beschädiger verbunden, der Witwe und den Kindern des Entleibten standesmäßigen Unter¬ halt, auch den letztern dergleichen Erziehung und Ausstattung, als sie von dem Vater nach dessen Stand und Vermögen erwarten konnten, zu gewähren. Dabei wird auf das von dem Entleibten hinterlassene Vermögen, in¬ gleichen auf die Unterstützungen, die der Witwe und den Kindern von dem Staate oder anders woher angedeihen, keine Rücksicht genommen." Ferner heißt es in den fez 115 und 116 desselben Titels: „Ist durch die zugefügte Verletzung der Beschädigte sein Amt oder Gewerbe auf die bisherige Art zu betreiben gänzlich außer Stand gesetzt worden, so haftet der Beschädiger für diejenigen Vorteile, deren fortgesetzter Genuß dem Beschädigtem dadurch ent¬ zogen wird. Ist die Beschädigung aus Vorsatz oder grobem Versehen zugefügt worden, so müssen dem Beschädigtem auch künftige Vorteile vergütet werden, deren Erlangung derselbe, nach dem natürlichen und gewöhnlichen Lauf der Dinge, vernünftigerweise erwarten konnte." Waren die Beschädigungen in dem Zweikampf wechselseitig, so würde, wenigstens nach dem preußischen all¬ gemeinen Landrecht, keine Aufhebung der Ersatzpflicht eintreten, sondern jeder dem andern für den verursachten Schaden volle Genugthuung leisten müssen. Ein Mann, der auch auf die Erfüllung seiner bürgerlichen Verpflichtungen etwas hält, müßte sich also in sehr guter Vermögenslage befinden, um einen Zweikampf gegen einen Familienvater wagen zu können. Es ist aber ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/131>, abgerufen am 15.06.2024.