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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

eigentümlicher Spott des Schicksals, daß gerade Offiziere und höhere Beamte,
die dem Duellzwang hauptsächlich unterworfen sind, mit Glücksgütern nicht
besonders gesegnet zu sein Pflegen. Die Bekanntschaft mit den vermögens¬
rechtlichen Folgen des Zweikampfs und ihre Geltendmachung würde zu seiner
Einschränkung vielleicht mehr beitragen, als die Bekämpfung der gesellschaft¬
lichen Vorurteile.

Auch in andern modernen Staaten wird es als ein Gebot des Auslands
und der sittlichen Pflicht erachtet, gegenüber der Bethätigung der sinnlichen
Liebe eine gewisse Scheinheiligkeit zur Schau zu tragen, wohl nirgends aber
in dem Maße, mit gleichem Ungeschick und gleicher Launenhaftigkeit wie bei
uns. Wir können es selbstverständlich nicht verbieten und nicht hindern, daß
es Dirnen giebt, die sich unter polizeilicher Aufsicht der gewerbsmäßigen freien
Liebe ergeben. Da das so ist, so müssen jene unglücklichen Geschöpfe zur Aus¬
übung ihres jämmerlichen Gewerbes ein Unterkommen haben. Wer ihnen das
aber gewährt, ist nach der Laune des Strafgesetzes wegen Kuppelei strafbar.
Als Folge dieser Strafbarkeit wird etwas gewiß nicht erstrebenswertes gezeitigt,
nämlich daß sich die Vermieter die Gefahr, der sie ausgesetzt sind, besonders
vergüten lassen.

In den breiten Volksschichten ist der Einfluß der Eltern auf den Lebens¬
wandel ihrer erwachsenen Töchter, die außerhalb des Hauses ihr Brot verdienen,
sehr gering. Nehmen wir an, die Tochter einer verwitweten Mutter kommt
zu Falle, sie hat sich einem Manne ergeben, der sie wohl gern heiraten möchte,
aber noch nicht die Mittel zur Führung eines selbständigen Haushalts besitzt,
oder der zu seiner Verheiratung noch die Zustimmung seines Vaters bedarf
und diese nicht erlangen kann. Die Mutter nimmt aus Gutmütigkeit und aus
wirtschaftlichen Rücksichten das Pärchen bei sich auf, fügt sich ins Unvermeidliche
und läßt es unter ihren Augen in wilder Ehe leben. Die arme Mutter hat
eine That begangen, die nach § 181 des Strafgesetzbuchs mindestens mit
einem Jahre Zuchthaus bestraft werden muß. Wenn sie selbst durch eigne
Unsittlichkeit ein schlechtes Beispiel gegeben hätte, wäre sie straffrei ge¬
wesen; sie hat aber ein Verbrechen begangen, weil sie der Unzucht ihrer eignen
Tochter Vorschub geleistet hat, denu Unzucht sind nach unsern Gesetzen die
Umarmungen der Tochter, nicht etwa weil ihnen die kirchliche Weihe und der
priesterliche Segen fehlte, sondern weil kein schlichter bürgerlicher Vertrag vor
dem Standesbeamten abgeschlossen worden ist. Die dargestellte Gesetzeslaune
erscheint um so unerträglicher, als der Mutter keine Macht über die gro߬
jährige Tochter zusteht. Der Ehemann dagegen hat eine fast vormundschaftliche
Gewalt über seine Frau, und dennoch lassen es unsre Gesetze frei, daß er sich
ungestraft von der Unzucht seiner Frau ernährt. Die Strafe dort, die Straf¬
losigkeit hier kann für das Ansehen der Gesetze nicht förderlich sein.

Die größte Schwierigkeit für jeden Fortschritt ist die Überwindung alther-


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

eigentümlicher Spott des Schicksals, daß gerade Offiziere und höhere Beamte,
die dem Duellzwang hauptsächlich unterworfen sind, mit Glücksgütern nicht
besonders gesegnet zu sein Pflegen. Die Bekanntschaft mit den vermögens¬
rechtlichen Folgen des Zweikampfs und ihre Geltendmachung würde zu seiner
Einschränkung vielleicht mehr beitragen, als die Bekämpfung der gesellschaft¬
lichen Vorurteile.

Auch in andern modernen Staaten wird es als ein Gebot des Auslands
und der sittlichen Pflicht erachtet, gegenüber der Bethätigung der sinnlichen
Liebe eine gewisse Scheinheiligkeit zur Schau zu tragen, wohl nirgends aber
in dem Maße, mit gleichem Ungeschick und gleicher Launenhaftigkeit wie bei
uns. Wir können es selbstverständlich nicht verbieten und nicht hindern, daß
es Dirnen giebt, die sich unter polizeilicher Aufsicht der gewerbsmäßigen freien
Liebe ergeben. Da das so ist, so müssen jene unglücklichen Geschöpfe zur Aus¬
übung ihres jämmerlichen Gewerbes ein Unterkommen haben. Wer ihnen das
aber gewährt, ist nach der Laune des Strafgesetzes wegen Kuppelei strafbar.
Als Folge dieser Strafbarkeit wird etwas gewiß nicht erstrebenswertes gezeitigt,
nämlich daß sich die Vermieter die Gefahr, der sie ausgesetzt sind, besonders
vergüten lassen.

In den breiten Volksschichten ist der Einfluß der Eltern auf den Lebens¬
wandel ihrer erwachsenen Töchter, die außerhalb des Hauses ihr Brot verdienen,
sehr gering. Nehmen wir an, die Tochter einer verwitweten Mutter kommt
zu Falle, sie hat sich einem Manne ergeben, der sie wohl gern heiraten möchte,
aber noch nicht die Mittel zur Führung eines selbständigen Haushalts besitzt,
oder der zu seiner Verheiratung noch die Zustimmung seines Vaters bedarf
und diese nicht erlangen kann. Die Mutter nimmt aus Gutmütigkeit und aus
wirtschaftlichen Rücksichten das Pärchen bei sich auf, fügt sich ins Unvermeidliche
und läßt es unter ihren Augen in wilder Ehe leben. Die arme Mutter hat
eine That begangen, die nach § 181 des Strafgesetzbuchs mindestens mit
einem Jahre Zuchthaus bestraft werden muß. Wenn sie selbst durch eigne
Unsittlichkeit ein schlechtes Beispiel gegeben hätte, wäre sie straffrei ge¬
wesen; sie hat aber ein Verbrechen begangen, weil sie der Unzucht ihrer eignen
Tochter Vorschub geleistet hat, denu Unzucht sind nach unsern Gesetzen die
Umarmungen der Tochter, nicht etwa weil ihnen die kirchliche Weihe und der
priesterliche Segen fehlte, sondern weil kein schlichter bürgerlicher Vertrag vor
dem Standesbeamten abgeschlossen worden ist. Die dargestellte Gesetzeslaune
erscheint um so unerträglicher, als der Mutter keine Macht über die gro߬
jährige Tochter zusteht. Der Ehemann dagegen hat eine fast vormundschaftliche
Gewalt über seine Frau, und dennoch lassen es unsre Gesetze frei, daß er sich
ungestraft von der Unzucht seiner Frau ernährt. Die Strafe dort, die Straf¬
losigkeit hier kann für das Ansehen der Gesetze nicht förderlich sein.

Die größte Schwierigkeit für jeden Fortschritt ist die Überwindung alther-


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[0132] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg eigentümlicher Spott des Schicksals, daß gerade Offiziere und höhere Beamte, die dem Duellzwang hauptsächlich unterworfen sind, mit Glücksgütern nicht besonders gesegnet zu sein Pflegen. Die Bekanntschaft mit den vermögens¬ rechtlichen Folgen des Zweikampfs und ihre Geltendmachung würde zu seiner Einschränkung vielleicht mehr beitragen, als die Bekämpfung der gesellschaft¬ lichen Vorurteile. Auch in andern modernen Staaten wird es als ein Gebot des Auslands und der sittlichen Pflicht erachtet, gegenüber der Bethätigung der sinnlichen Liebe eine gewisse Scheinheiligkeit zur Schau zu tragen, wohl nirgends aber in dem Maße, mit gleichem Ungeschick und gleicher Launenhaftigkeit wie bei uns. Wir können es selbstverständlich nicht verbieten und nicht hindern, daß es Dirnen giebt, die sich unter polizeilicher Aufsicht der gewerbsmäßigen freien Liebe ergeben. Da das so ist, so müssen jene unglücklichen Geschöpfe zur Aus¬ übung ihres jämmerlichen Gewerbes ein Unterkommen haben. Wer ihnen das aber gewährt, ist nach der Laune des Strafgesetzes wegen Kuppelei strafbar. Als Folge dieser Strafbarkeit wird etwas gewiß nicht erstrebenswertes gezeitigt, nämlich daß sich die Vermieter die Gefahr, der sie ausgesetzt sind, besonders vergüten lassen. In den breiten Volksschichten ist der Einfluß der Eltern auf den Lebens¬ wandel ihrer erwachsenen Töchter, die außerhalb des Hauses ihr Brot verdienen, sehr gering. Nehmen wir an, die Tochter einer verwitweten Mutter kommt zu Falle, sie hat sich einem Manne ergeben, der sie wohl gern heiraten möchte, aber noch nicht die Mittel zur Führung eines selbständigen Haushalts besitzt, oder der zu seiner Verheiratung noch die Zustimmung seines Vaters bedarf und diese nicht erlangen kann. Die Mutter nimmt aus Gutmütigkeit und aus wirtschaftlichen Rücksichten das Pärchen bei sich auf, fügt sich ins Unvermeidliche und läßt es unter ihren Augen in wilder Ehe leben. Die arme Mutter hat eine That begangen, die nach § 181 des Strafgesetzbuchs mindestens mit einem Jahre Zuchthaus bestraft werden muß. Wenn sie selbst durch eigne Unsittlichkeit ein schlechtes Beispiel gegeben hätte, wäre sie straffrei ge¬ wesen; sie hat aber ein Verbrechen begangen, weil sie der Unzucht ihrer eignen Tochter Vorschub geleistet hat, denu Unzucht sind nach unsern Gesetzen die Umarmungen der Tochter, nicht etwa weil ihnen die kirchliche Weihe und der priesterliche Segen fehlte, sondern weil kein schlichter bürgerlicher Vertrag vor dem Standesbeamten abgeschlossen worden ist. Die dargestellte Gesetzeslaune erscheint um so unerträglicher, als der Mutter keine Macht über die gro߬ jährige Tochter zusteht. Der Ehemann dagegen hat eine fast vormundschaftliche Gewalt über seine Frau, und dennoch lassen es unsre Gesetze frei, daß er sich ungestraft von der Unzucht seiner Frau ernährt. Die Strafe dort, die Straf¬ losigkeit hier kann für das Ansehen der Gesetze nicht förderlich sein. Die größte Schwierigkeit für jeden Fortschritt ist die Überwindung alther-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/132>, abgerufen am 14.06.2024.