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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

Was die Lage der Meister und ihr Verhältnis zu den Gesellen und Lehrlingen
betrifft, so macht Ashley über die umlaufenden Darstellungen dieses Gegen¬
standes eine Bemerkung, die wir schon oft gemacht haben: man stellt die Dinge
falsch dar, weil man nicht unterscheidet; die einen können alles golden und
rosig, die andern alles schwarz malen, weil sie Jahrhunderte, Orte und Gewerbe
untereinander mischen. Bis ins dreizehnte Jahrhundert hinein deckten die Hand¬
werker nur eben zur Not den Bedarf, also war eines jeden Lage vollkommen
gesichert; und von Arbeiterausbeutung und Arbeiterunruhen konnte natürlich
in einer Zeit keine Rede sein, wo die Nachfrage nach Gesellen das Angebot
überstieg, sodaß der Geselle oft doppelt so viel Lohn erhielt als der Meister.
Den Lohn zahlte nicht der Meister aus, sondern der Kunde; beide, Meister
und Gesell, waren gleicherweise Lohnarbeiter des Bestellers der Arbeit. Um
das Jahr 1500 dagegen wurde schon allerorten über Mangel an Arbeit und
über Konkurrenz geklagt, die Zünfte hatten sich abgesperrt, um einer bestimmten
Zahl von Meistern den Unterhalt zu sichern, und so hatte sich ein Pro¬
letariat von Lohnarbeitern angesammelt in der Gestalt von Gesellen, die nicht
Meister werden konnten, beständig im Lohnkampf mit der Meisterschaft lagen
und nach der Koalitionsfreiheit strebten, die man ihnen verweigerte. Auch
trat damals schon der Unterschied zwischen Kleinmeistern und Fabrikanten
hervor, nur daß er uoch nicht so viele Gewerbe ergriffen hatte wie heute; er
beschränkte sich auf die Textilgewerbe, und hier kam, wie ein Gedicht vom
Jahre 1597 beweist, sogar schon die Kinderarbeit vor; die Kinder wurden
in der Fabrik zum Wollezupfen verwandt. Die großen oder obern Zünfte,
deren Mitglieder durchweg vornehme Herren waren, trugen durchweg kauf¬
männischen Charakter; ihre Mitglieder waren gar keine Handwerker, sondern
entweder Fabrikanten oder Kaufleute. Nur die Goldschmiede arbeiteten mit
eigner Hand, aber die waren Kunsthandwerker und betrieben nebenbei das
Wechslergcschäft. aus dem sich das Bankgeschäft entwickelt hat. Die so un¬
gemein lehrreiche italienische, namentlich die florentinische Jnnungsgeschichte
scheint Ashleh, der im allgemeinen über eine staunenswerte Litteraturkcnntnis
verfügt, nicht genauer beachtet zu haben; die Zünfte von Florenz erwähnt er
nur beiläufig einmal nnter Berufung auf Haltaus Niääls ^göö; er kennt also
weder Perreus, noch Capponi, noch die Monographie von Pvhlmann (Die
Wirtschaftsgeschichte der Florentiner Renaissance und das Prinzip der Verkehrs-
freiheit). Daraus erklärt sich sein Irrtum, daß es im vierzehnten Jahrhundert,
wo in England eine Klasse von Tuchhändlern entstand, die nicht zugleich Tuch¬
macher waren, noch nirgends außer in den Niederlanden eine solche Klasse
gegeben habe, und sein Zweifel an der Nichtigkeit einer alten Angabe,
wonach schon im Jahre 1354 4774^ Stück Tuch und 8061^ Stück Kamm¬
garnstoffe ausgeführt worden sein sollen; er vermutet, daß ein großer Teil
dieses Tuches in unfertigen Zustande ausgeführt worden sein möge. Das


Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

Was die Lage der Meister und ihr Verhältnis zu den Gesellen und Lehrlingen
betrifft, so macht Ashley über die umlaufenden Darstellungen dieses Gegen¬
standes eine Bemerkung, die wir schon oft gemacht haben: man stellt die Dinge
falsch dar, weil man nicht unterscheidet; die einen können alles golden und
rosig, die andern alles schwarz malen, weil sie Jahrhunderte, Orte und Gewerbe
untereinander mischen. Bis ins dreizehnte Jahrhundert hinein deckten die Hand¬
werker nur eben zur Not den Bedarf, also war eines jeden Lage vollkommen
gesichert; und von Arbeiterausbeutung und Arbeiterunruhen konnte natürlich
in einer Zeit keine Rede sein, wo die Nachfrage nach Gesellen das Angebot
überstieg, sodaß der Geselle oft doppelt so viel Lohn erhielt als der Meister.
Den Lohn zahlte nicht der Meister aus, sondern der Kunde; beide, Meister
und Gesell, waren gleicherweise Lohnarbeiter des Bestellers der Arbeit. Um
das Jahr 1500 dagegen wurde schon allerorten über Mangel an Arbeit und
über Konkurrenz geklagt, die Zünfte hatten sich abgesperrt, um einer bestimmten
Zahl von Meistern den Unterhalt zu sichern, und so hatte sich ein Pro¬
letariat von Lohnarbeitern angesammelt in der Gestalt von Gesellen, die nicht
Meister werden konnten, beständig im Lohnkampf mit der Meisterschaft lagen
und nach der Koalitionsfreiheit strebten, die man ihnen verweigerte. Auch
trat damals schon der Unterschied zwischen Kleinmeistern und Fabrikanten
hervor, nur daß er uoch nicht so viele Gewerbe ergriffen hatte wie heute; er
beschränkte sich auf die Textilgewerbe, und hier kam, wie ein Gedicht vom
Jahre 1597 beweist, sogar schon die Kinderarbeit vor; die Kinder wurden
in der Fabrik zum Wollezupfen verwandt. Die großen oder obern Zünfte,
deren Mitglieder durchweg vornehme Herren waren, trugen durchweg kauf¬
männischen Charakter; ihre Mitglieder waren gar keine Handwerker, sondern
entweder Fabrikanten oder Kaufleute. Nur die Goldschmiede arbeiteten mit
eigner Hand, aber die waren Kunsthandwerker und betrieben nebenbei das
Wechslergcschäft. aus dem sich das Bankgeschäft entwickelt hat. Die so un¬
gemein lehrreiche italienische, namentlich die florentinische Jnnungsgeschichte
scheint Ashleh, der im allgemeinen über eine staunenswerte Litteraturkcnntnis
verfügt, nicht genauer beachtet zu haben; die Zünfte von Florenz erwähnt er
nur beiläufig einmal nnter Berufung auf Haltaus Niääls ^göö; er kennt also
weder Perreus, noch Capponi, noch die Monographie von Pvhlmann (Die
Wirtschaftsgeschichte der Florentiner Renaissance und das Prinzip der Verkehrs-
freiheit). Daraus erklärt sich sein Irrtum, daß es im vierzehnten Jahrhundert,
wo in England eine Klasse von Tuchhändlern entstand, die nicht zugleich Tuch¬
macher waren, noch nirgends außer in den Niederlanden eine solche Klasse
gegeben habe, und sein Zweifel an der Nichtigkeit einer alten Angabe,
wonach schon im Jahre 1354 4774^ Stück Tuch und 8061^ Stück Kamm¬
garnstoffe ausgeführt worden sein sollen; er vermutet, daß ein großer Teil
dieses Tuches in unfertigen Zustande ausgeführt worden sein möge. Das


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[0173] Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte Was die Lage der Meister und ihr Verhältnis zu den Gesellen und Lehrlingen betrifft, so macht Ashley über die umlaufenden Darstellungen dieses Gegen¬ standes eine Bemerkung, die wir schon oft gemacht haben: man stellt die Dinge falsch dar, weil man nicht unterscheidet; die einen können alles golden und rosig, die andern alles schwarz malen, weil sie Jahrhunderte, Orte und Gewerbe untereinander mischen. Bis ins dreizehnte Jahrhundert hinein deckten die Hand¬ werker nur eben zur Not den Bedarf, also war eines jeden Lage vollkommen gesichert; und von Arbeiterausbeutung und Arbeiterunruhen konnte natürlich in einer Zeit keine Rede sein, wo die Nachfrage nach Gesellen das Angebot überstieg, sodaß der Geselle oft doppelt so viel Lohn erhielt als der Meister. Den Lohn zahlte nicht der Meister aus, sondern der Kunde; beide, Meister und Gesell, waren gleicherweise Lohnarbeiter des Bestellers der Arbeit. Um das Jahr 1500 dagegen wurde schon allerorten über Mangel an Arbeit und über Konkurrenz geklagt, die Zünfte hatten sich abgesperrt, um einer bestimmten Zahl von Meistern den Unterhalt zu sichern, und so hatte sich ein Pro¬ letariat von Lohnarbeitern angesammelt in der Gestalt von Gesellen, die nicht Meister werden konnten, beständig im Lohnkampf mit der Meisterschaft lagen und nach der Koalitionsfreiheit strebten, die man ihnen verweigerte. Auch trat damals schon der Unterschied zwischen Kleinmeistern und Fabrikanten hervor, nur daß er uoch nicht so viele Gewerbe ergriffen hatte wie heute; er beschränkte sich auf die Textilgewerbe, und hier kam, wie ein Gedicht vom Jahre 1597 beweist, sogar schon die Kinderarbeit vor; die Kinder wurden in der Fabrik zum Wollezupfen verwandt. Die großen oder obern Zünfte, deren Mitglieder durchweg vornehme Herren waren, trugen durchweg kauf¬ männischen Charakter; ihre Mitglieder waren gar keine Handwerker, sondern entweder Fabrikanten oder Kaufleute. Nur die Goldschmiede arbeiteten mit eigner Hand, aber die waren Kunsthandwerker und betrieben nebenbei das Wechslergcschäft. aus dem sich das Bankgeschäft entwickelt hat. Die so un¬ gemein lehrreiche italienische, namentlich die florentinische Jnnungsgeschichte scheint Ashleh, der im allgemeinen über eine staunenswerte Litteraturkcnntnis verfügt, nicht genauer beachtet zu haben; die Zünfte von Florenz erwähnt er nur beiläufig einmal nnter Berufung auf Haltaus Niääls ^göö; er kennt also weder Perreus, noch Capponi, noch die Monographie von Pvhlmann (Die Wirtschaftsgeschichte der Florentiner Renaissance und das Prinzip der Verkehrs- freiheit). Daraus erklärt sich sein Irrtum, daß es im vierzehnten Jahrhundert, wo in England eine Klasse von Tuchhändlern entstand, die nicht zugleich Tuch¬ macher waren, noch nirgends außer in den Niederlanden eine solche Klasse gegeben habe, und sein Zweifel an der Nichtigkeit einer alten Angabe, wonach schon im Jahre 1354 4774^ Stück Tuch und 8061^ Stück Kamm¬ garnstoffe ausgeführt worden sein sollen; er vermutet, daß ein großer Teil dieses Tuches in unfertigen Zustande ausgeführt worden sein möge. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/173>, abgerufen am 21.05.2024.