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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

ist in der That der Fall gewesen, und die Hauptabnehmerin wird Florenz
gewesen sein. Während die dortige ^rde ästig, Is-ng., die Tuchweber- oder viel¬
mehr die Fabrikantenzunft, das feinste Tuch lieferte, das man überhaupt da¬
mals in Europa hatte, kaufte die Calimala, die hochangesehene Zunft der Tuch¬
händler, gröberes Tuch aus England, Flandern und Nordfrankreich und ließ
es von ihren zahlreichen HilfsHandwerkern walken, färben und appretiren.
Übrigens hat auch in England die Gesetzgebung ^ natürlich vergebens -- ihr
möglichstes gethan, das Aufkommen einer Großindustrie zu hemmen und zu
hindern.

Das interessanteste Kapitel des Buches ist das letzte über "die kanonistische
Lehre." Wir wollen das Hauptergebnis dieser gewissenhaften und eingehenden
Studie kurz zusammenfassen, um damit die Darstellung der kanonischen Zins¬
lehre nach Nübling (vgl. 1896 Heft 45) zu ergänzen. Obwohl die Kirche mit
dem Neuen Testament den Reichtum und das Streben darnach stets für seelen-
geführlich erklärt hat, hat sie doch niemals die Notwendigkeit der Standes¬
unterschiede und eines höhern Einkommens für die obern Stände verkannt;
doch hat sie daran festgehalten, daß dem höhern Einkommen die Wichtigkeit
und Schwierigkeit der Leistungen entsprechen müßten. Sie fand es also in
der Ordnung, daß ein Gutsherr, der seine Bauern beschützt und das Richter¬
amt in ihrem Gemeinwesen verwaltet, ein höheres Einkommen bezieht als
diese Bauern, aber sie würde das Dasein eines Landlords, der für seine
Bauern nichts thut und die von ihnen aufgebrachten Pachtgelder in London
oder Paris verzehrt, entschieden verwerflich gefunden haben. Die Härte, mit
der im römischen Reiche das Schuldrecht gehandhabt wurde, mußte sie natür¬
lich tadeln, aber das Zinsnehmen an sich, das sich bei der Geldwirtschaft eines
hochzivilisirten Volkes von selbst verstand, hat sie nicht verboten, auch später
nicht im oströmischen Reich, wo die Geldwirtschaft fortbestand. Anders ver¬
hielt sie sich in Westeuropa, wo die Geldwirtschaft unterging, und die Natural¬
wirtschaft auf einige Jahrhunderte die Alleinherrschaft erlangte. Hier war
Geld selten, und wo man welches hatte, da trug es nirgends den Charakter
des Kapitals, wenn man unter diesem Worte ein Ertrag abwerfendes Besitz¬
stück versteht. Kapital in diesem Sinne ist, wie es Lassalle genannt hat, eine
historische Kategorie (Ashley, der Lassalle in diesem Punkte beistimme, ist nicht
etwa Sozialist), während Kapital in dem andern Sinne, wo es die Gesamt¬
heit der Arbeitsmittel bedeutet, selbstverständlich auf keiner Stufe des zivilisirten
Lebens entbehrt werden kann. Damals also war eine Geldsumme weiter
nichts als ein Mittel, Brot und Kleider zu kaufen, ein verbrauchbarer Gegen¬
stand, wie Brot und Kleider selbst, und niemand vermochte einzusehen, wie
dieser Gegenstand Ertrag abwerfen könne; so entstand die Meinung von der
Unfruchtbarkeit des Geldes. Unter diesen Umständen kamen andre Darlehen
als solche an Personen, die sich augenblicklich in Not befanden, fast gar nicht


Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

ist in der That der Fall gewesen, und die Hauptabnehmerin wird Florenz
gewesen sein. Während die dortige ^rde ästig, Is-ng., die Tuchweber- oder viel¬
mehr die Fabrikantenzunft, das feinste Tuch lieferte, das man überhaupt da¬
mals in Europa hatte, kaufte die Calimala, die hochangesehene Zunft der Tuch¬
händler, gröberes Tuch aus England, Flandern und Nordfrankreich und ließ
es von ihren zahlreichen HilfsHandwerkern walken, färben und appretiren.
Übrigens hat auch in England die Gesetzgebung ^ natürlich vergebens — ihr
möglichstes gethan, das Aufkommen einer Großindustrie zu hemmen und zu
hindern.

Das interessanteste Kapitel des Buches ist das letzte über „die kanonistische
Lehre." Wir wollen das Hauptergebnis dieser gewissenhaften und eingehenden
Studie kurz zusammenfassen, um damit die Darstellung der kanonischen Zins¬
lehre nach Nübling (vgl. 1896 Heft 45) zu ergänzen. Obwohl die Kirche mit
dem Neuen Testament den Reichtum und das Streben darnach stets für seelen-
geführlich erklärt hat, hat sie doch niemals die Notwendigkeit der Standes¬
unterschiede und eines höhern Einkommens für die obern Stände verkannt;
doch hat sie daran festgehalten, daß dem höhern Einkommen die Wichtigkeit
und Schwierigkeit der Leistungen entsprechen müßten. Sie fand es also in
der Ordnung, daß ein Gutsherr, der seine Bauern beschützt und das Richter¬
amt in ihrem Gemeinwesen verwaltet, ein höheres Einkommen bezieht als
diese Bauern, aber sie würde das Dasein eines Landlords, der für seine
Bauern nichts thut und die von ihnen aufgebrachten Pachtgelder in London
oder Paris verzehrt, entschieden verwerflich gefunden haben. Die Härte, mit
der im römischen Reiche das Schuldrecht gehandhabt wurde, mußte sie natür¬
lich tadeln, aber das Zinsnehmen an sich, das sich bei der Geldwirtschaft eines
hochzivilisirten Volkes von selbst verstand, hat sie nicht verboten, auch später
nicht im oströmischen Reich, wo die Geldwirtschaft fortbestand. Anders ver¬
hielt sie sich in Westeuropa, wo die Geldwirtschaft unterging, und die Natural¬
wirtschaft auf einige Jahrhunderte die Alleinherrschaft erlangte. Hier war
Geld selten, und wo man welches hatte, da trug es nirgends den Charakter
des Kapitals, wenn man unter diesem Worte ein Ertrag abwerfendes Besitz¬
stück versteht. Kapital in diesem Sinne ist, wie es Lassalle genannt hat, eine
historische Kategorie (Ashley, der Lassalle in diesem Punkte beistimme, ist nicht
etwa Sozialist), während Kapital in dem andern Sinne, wo es die Gesamt¬
heit der Arbeitsmittel bedeutet, selbstverständlich auf keiner Stufe des zivilisirten
Lebens entbehrt werden kann. Damals also war eine Geldsumme weiter
nichts als ein Mittel, Brot und Kleider zu kaufen, ein verbrauchbarer Gegen¬
stand, wie Brot und Kleider selbst, und niemand vermochte einzusehen, wie
dieser Gegenstand Ertrag abwerfen könne; so entstand die Meinung von der
Unfruchtbarkeit des Geldes. Unter diesen Umständen kamen andre Darlehen
als solche an Personen, die sich augenblicklich in Not befanden, fast gar nicht


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[0174] Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte ist in der That der Fall gewesen, und die Hauptabnehmerin wird Florenz gewesen sein. Während die dortige ^rde ästig, Is-ng., die Tuchweber- oder viel¬ mehr die Fabrikantenzunft, das feinste Tuch lieferte, das man überhaupt da¬ mals in Europa hatte, kaufte die Calimala, die hochangesehene Zunft der Tuch¬ händler, gröberes Tuch aus England, Flandern und Nordfrankreich und ließ es von ihren zahlreichen HilfsHandwerkern walken, färben und appretiren. Übrigens hat auch in England die Gesetzgebung ^ natürlich vergebens — ihr möglichstes gethan, das Aufkommen einer Großindustrie zu hemmen und zu hindern. Das interessanteste Kapitel des Buches ist das letzte über „die kanonistische Lehre." Wir wollen das Hauptergebnis dieser gewissenhaften und eingehenden Studie kurz zusammenfassen, um damit die Darstellung der kanonischen Zins¬ lehre nach Nübling (vgl. 1896 Heft 45) zu ergänzen. Obwohl die Kirche mit dem Neuen Testament den Reichtum und das Streben darnach stets für seelen- geführlich erklärt hat, hat sie doch niemals die Notwendigkeit der Standes¬ unterschiede und eines höhern Einkommens für die obern Stände verkannt; doch hat sie daran festgehalten, daß dem höhern Einkommen die Wichtigkeit und Schwierigkeit der Leistungen entsprechen müßten. Sie fand es also in der Ordnung, daß ein Gutsherr, der seine Bauern beschützt und das Richter¬ amt in ihrem Gemeinwesen verwaltet, ein höheres Einkommen bezieht als diese Bauern, aber sie würde das Dasein eines Landlords, der für seine Bauern nichts thut und die von ihnen aufgebrachten Pachtgelder in London oder Paris verzehrt, entschieden verwerflich gefunden haben. Die Härte, mit der im römischen Reiche das Schuldrecht gehandhabt wurde, mußte sie natür¬ lich tadeln, aber das Zinsnehmen an sich, das sich bei der Geldwirtschaft eines hochzivilisirten Volkes von selbst verstand, hat sie nicht verboten, auch später nicht im oströmischen Reich, wo die Geldwirtschaft fortbestand. Anders ver¬ hielt sie sich in Westeuropa, wo die Geldwirtschaft unterging, und die Natural¬ wirtschaft auf einige Jahrhunderte die Alleinherrschaft erlangte. Hier war Geld selten, und wo man welches hatte, da trug es nirgends den Charakter des Kapitals, wenn man unter diesem Worte ein Ertrag abwerfendes Besitz¬ stück versteht. Kapital in diesem Sinne ist, wie es Lassalle genannt hat, eine historische Kategorie (Ashley, der Lassalle in diesem Punkte beistimme, ist nicht etwa Sozialist), während Kapital in dem andern Sinne, wo es die Gesamt¬ heit der Arbeitsmittel bedeutet, selbstverständlich auf keiner Stufe des zivilisirten Lebens entbehrt werden kann. Damals also war eine Geldsumme weiter nichts als ein Mittel, Brot und Kleider zu kaufen, ein verbrauchbarer Gegen¬ stand, wie Brot und Kleider selbst, und niemand vermochte einzusehen, wie dieser Gegenstand Ertrag abwerfen könne; so entstand die Meinung von der Unfruchtbarkeit des Geldes. Unter diesen Umständen kamen andre Darlehen als solche an Personen, die sich augenblicklich in Not befanden, fast gar nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/174>, abgerufen am 14.06.2024.