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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

Gefangnen werden, die er mit sich führte? Ein seltsames Bild: 16 bis 1800
Europäer werden von einem eingebornen Herrscher in monatelangen Märschen
bis in das Herz Afrikas geführt, und das Mutterland sieht, Gewehr beim Fuß,
ohnmächtig zu. Das Abessinien von heute ist eben nicht mehr das machtlose,
auseiuanderstrebende Staatengebilde wie 1868, als die Engländer zur Befreiung
von ein paar eingekerkerten Landsleuten einen umständlichen, teuern Feldzug
unternahmen, dessen Hauptaktion, der Sturm auf Magdala, an Verlusten einen
Offizier und zehn Mann -- und auch diese nur verwundet -- kostete!

Wohl oder übel mußte die italienische Negierung die Verhandlungen wieder
eröffnen, und sie trat zu diesem Zwecke mit dem Ingenieur A. Jlg -- es ist
bisher noch nicht festgestellt, ob auf dessen Angebot hin -- in Verbindung.
Jlg hat seit achtzehn Jahren Schoa zu seiner zweiten Heimat erwählt und darf,
was Weltpolitik betrifft, als der eigentliche politische Erzieher Meneliks gelten.
Daß er sich während des Krieges in Europa (Zürich) aufhielt, war natürlich
kein Zufall. Im Juni 1896 reiste er nach Schoa zurück, Ende August folgte
ihm Dr. Nerazzini, ein alter Bekannter Meneliks. Ihm gelang der Friedens¬
schluß, ohne daß noch, wie der Negus im Februar und Mürz immer verlangt
hatte, ein "Großer," d. h. mindestens ein General, abgesandt worden wäre.
Am 15. November abends traf die durch Kurier bis an die Küste (Zeita) ge¬
sandte und dann durch den Draht übermittelte Friedensbotschaft in Rom ein,
und schon am nächsten Tage erklärten König Umberto und seine Minister
ibi Nudini, Visconti-Venosta und Pelloux) telegraphisch ihr Einverständnis
mit den Bedingungen. Den Wortlaut des Vertrags brachte Dr. Nerazzini am
1. Januar nach Italien, und gleichzeitig mit ihm trafen zweihundertfünfzehn
Gefangne ein, denen Menelik, noch ehe er von der Zustimmung Umbertos
Kenntnis hatte, zum Geburtstage der Königin Margherita (20. November) die
Freiheit gegeben hatte.

An den Abmachungen zwischen Italien und Abessinien fällt zuerst auf,
daß sie aus zwei voneinander getrennten Aktenstücken bestehen: dem eigentlichen
Friedensvertrag und dem Übereinkommen betreffend die Freigabe der Gefangnen.
Diese Trennung ist augenscheinlich zur Schonung der Eigenliebe der Italiener
geschaffen, denn nun wird man in Zukunft die Friedensbedingungen erörtern
können, ohne dabei jedesmal an die Gefangnen aus der Schlacht von Ätna
erinnert zu werden.

Der Friedensvertrag hebt mit der Anrufung der "Allerheiligsten Drei¬
faltigkeit" an und giebt Menelik den Titel eines "Kaisers von Äthiopier und
der Gallalünder." Der Zusatz ist neu, entspricht aber den im letzten Jahr¬
zehnt von Abessinien unablässig und erfolgreich geübten Streben nach Aus¬
dehnung in südlicher Richtung.

Wir geben nnn die einzelnen Artikel im Wortlaut wieder und knüpfen
unsre Bemerkungen daran.


Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

Gefangnen werden, die er mit sich führte? Ein seltsames Bild: 16 bis 1800
Europäer werden von einem eingebornen Herrscher in monatelangen Märschen
bis in das Herz Afrikas geführt, und das Mutterland sieht, Gewehr beim Fuß,
ohnmächtig zu. Das Abessinien von heute ist eben nicht mehr das machtlose,
auseiuanderstrebende Staatengebilde wie 1868, als die Engländer zur Befreiung
von ein paar eingekerkerten Landsleuten einen umständlichen, teuern Feldzug
unternahmen, dessen Hauptaktion, der Sturm auf Magdala, an Verlusten einen
Offizier und zehn Mann — und auch diese nur verwundet — kostete!

Wohl oder übel mußte die italienische Negierung die Verhandlungen wieder
eröffnen, und sie trat zu diesem Zwecke mit dem Ingenieur A. Jlg — es ist
bisher noch nicht festgestellt, ob auf dessen Angebot hin — in Verbindung.
Jlg hat seit achtzehn Jahren Schoa zu seiner zweiten Heimat erwählt und darf,
was Weltpolitik betrifft, als der eigentliche politische Erzieher Meneliks gelten.
Daß er sich während des Krieges in Europa (Zürich) aufhielt, war natürlich
kein Zufall. Im Juni 1896 reiste er nach Schoa zurück, Ende August folgte
ihm Dr. Nerazzini, ein alter Bekannter Meneliks. Ihm gelang der Friedens¬
schluß, ohne daß noch, wie der Negus im Februar und Mürz immer verlangt
hatte, ein „Großer," d. h. mindestens ein General, abgesandt worden wäre.
Am 15. November abends traf die durch Kurier bis an die Küste (Zeita) ge¬
sandte und dann durch den Draht übermittelte Friedensbotschaft in Rom ein,
und schon am nächsten Tage erklärten König Umberto und seine Minister
ibi Nudini, Visconti-Venosta und Pelloux) telegraphisch ihr Einverständnis
mit den Bedingungen. Den Wortlaut des Vertrags brachte Dr. Nerazzini am
1. Januar nach Italien, und gleichzeitig mit ihm trafen zweihundertfünfzehn
Gefangne ein, denen Menelik, noch ehe er von der Zustimmung Umbertos
Kenntnis hatte, zum Geburtstage der Königin Margherita (20. November) die
Freiheit gegeben hatte.

An den Abmachungen zwischen Italien und Abessinien fällt zuerst auf,
daß sie aus zwei voneinander getrennten Aktenstücken bestehen: dem eigentlichen
Friedensvertrag und dem Übereinkommen betreffend die Freigabe der Gefangnen.
Diese Trennung ist augenscheinlich zur Schonung der Eigenliebe der Italiener
geschaffen, denn nun wird man in Zukunft die Friedensbedingungen erörtern
können, ohne dabei jedesmal an die Gefangnen aus der Schlacht von Ätna
erinnert zu werden.

Der Friedensvertrag hebt mit der Anrufung der „Allerheiligsten Drei¬
faltigkeit" an und giebt Menelik den Titel eines „Kaisers von Äthiopier und
der Gallalünder." Der Zusatz ist neu, entspricht aber den im letzten Jahr¬
zehnt von Abessinien unablässig und erfolgreich geübten Streben nach Aus¬
dehnung in südlicher Richtung.

Wir geben nnn die einzelnen Artikel im Wortlaut wieder und knüpfen
unsre Bemerkungen daran.


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[0274] Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen Gefangnen werden, die er mit sich führte? Ein seltsames Bild: 16 bis 1800 Europäer werden von einem eingebornen Herrscher in monatelangen Märschen bis in das Herz Afrikas geführt, und das Mutterland sieht, Gewehr beim Fuß, ohnmächtig zu. Das Abessinien von heute ist eben nicht mehr das machtlose, auseiuanderstrebende Staatengebilde wie 1868, als die Engländer zur Befreiung von ein paar eingekerkerten Landsleuten einen umständlichen, teuern Feldzug unternahmen, dessen Hauptaktion, der Sturm auf Magdala, an Verlusten einen Offizier und zehn Mann — und auch diese nur verwundet — kostete! Wohl oder übel mußte die italienische Negierung die Verhandlungen wieder eröffnen, und sie trat zu diesem Zwecke mit dem Ingenieur A. Jlg — es ist bisher noch nicht festgestellt, ob auf dessen Angebot hin — in Verbindung. Jlg hat seit achtzehn Jahren Schoa zu seiner zweiten Heimat erwählt und darf, was Weltpolitik betrifft, als der eigentliche politische Erzieher Meneliks gelten. Daß er sich während des Krieges in Europa (Zürich) aufhielt, war natürlich kein Zufall. Im Juni 1896 reiste er nach Schoa zurück, Ende August folgte ihm Dr. Nerazzini, ein alter Bekannter Meneliks. Ihm gelang der Friedens¬ schluß, ohne daß noch, wie der Negus im Februar und Mürz immer verlangt hatte, ein „Großer," d. h. mindestens ein General, abgesandt worden wäre. Am 15. November abends traf die durch Kurier bis an die Küste (Zeita) ge¬ sandte und dann durch den Draht übermittelte Friedensbotschaft in Rom ein, und schon am nächsten Tage erklärten König Umberto und seine Minister ibi Nudini, Visconti-Venosta und Pelloux) telegraphisch ihr Einverständnis mit den Bedingungen. Den Wortlaut des Vertrags brachte Dr. Nerazzini am 1. Januar nach Italien, und gleichzeitig mit ihm trafen zweihundertfünfzehn Gefangne ein, denen Menelik, noch ehe er von der Zustimmung Umbertos Kenntnis hatte, zum Geburtstage der Königin Margherita (20. November) die Freiheit gegeben hatte. An den Abmachungen zwischen Italien und Abessinien fällt zuerst auf, daß sie aus zwei voneinander getrennten Aktenstücken bestehen: dem eigentlichen Friedensvertrag und dem Übereinkommen betreffend die Freigabe der Gefangnen. Diese Trennung ist augenscheinlich zur Schonung der Eigenliebe der Italiener geschaffen, denn nun wird man in Zukunft die Friedensbedingungen erörtern können, ohne dabei jedesmal an die Gefangnen aus der Schlacht von Ätna erinnert zu werden. Der Friedensvertrag hebt mit der Anrufung der „Allerheiligsten Drei¬ faltigkeit" an und giebt Menelik den Titel eines „Kaisers von Äthiopier und der Gallalünder." Der Zusatz ist neu, entspricht aber den im letzten Jahr¬ zehnt von Abessinien unablässig und erfolgreich geübten Streben nach Aus¬ dehnung in südlicher Richtung. Wir geben nnn die einzelnen Artikel im Wortlaut wieder und knüpfen unsre Bemerkungen daran.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/274>, abgerufen am 15.05.2024.