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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

Artikel 1. Der Kriegszustand zwischen Italien und Äthiopier hört endgiltig
auf. Zufolge dessen werden ewiger Friede und ewige Freundschaft zwischen S. M.
dem Könige von Italien und S. M. dem Kaiser von Äthiopier, sowie zwischen
deren Nachfolgern und Unterthanen herrschen.

Daß das Aufhören des Kriegszustandes besonders erklärt wird, ist nicht
ohne Bedeutung. Von seiten Meneliks liegt darin die Anerkennung, daß
Italien sich zur Zeit der Wegnahme des "Doelwyk" (8. August 1896), der
Kriegsmaterial für ihn an Bord hatte, gegenüber Abessinien uoch im Kriegs¬
zustande befand, obgleich dieser aus formellen Gründen (Kriegszulage, Doppel¬
rechnung des Kriegsjahres usw.) durch königliches Dekret vom 18. Juni 1896
bereits sür Erythräa aufgehoben war.

Im übrigen weiß man, was man von dem Worte "ewig" in Friedens¬
verträgen zu halten hat, selbst wo die sprichwörtliche abessinische Treulosigkeit
nicht mit ins Spiel kommt. Wenn Italien bei Massaua bleibt, wird es über
kurz oder lang von neuem die Waffen mit Abessinien zu messen haben: ent¬
weder in der Verteidigung, wenn es der seiner Kraft bewußte Gegner ver¬
suchen wird, den Zugang zum Meere bei Massaua, den er schon vor Jahr¬
hunderten einmal besaß -- eine Notwendigkeit für die gedeihliche Entwicklung
des Landes! --, wieder zu gewinnen; oder angriffsweise, wenn etwa eines
Tages die innerabessinischen Verhältnisse (z. V. Kämpfe um die erledigte Negus-
würde) dringend zur Wiederausdehnnug der Kolonie nach Süden einladen
sollten.

Artikel 2. Der am 2. Mui 1889 zu Utschalli geschlossene Vertrag, sowie
seine Zusatzverträge werdeu endgiltig aufgehoben.

Damit wurde kein neuer Zustand geschaffen, denn thatsächlich enthält
jener Vertrag auch nicht einen einzigen Artikel, gegen den nicht dauernd,
sowohl von italienischer als auch von abessinischer Seite, verstoßen worden
wäre. Namentlich die aus Artikel 17 jenes Vertrages gefolgerte Schutzherr¬
schaft Italiens über Abefstnien hat nie ausgeübt werden können. Auf Grund
dieser Erfahrungen hat man wohl geäußert, derartige Verträge mit hnlb-
barbarischen Völkern seien überhaupt ein Unding, das Vertrauen auf ihre
Artikel eine Illusion. Und jetzt?

Artikel 3. Italien erkennt die absolute Unabhängigkeit des äthiopischen Kaiser¬
reiches als eines souveränen und unabhängige" Staates an.

Augenscheinlich war Menelik mit dem Artikel 2, der ja schon den Weg¬
fall der Schutzherrschaft in sich schloß, noch nicht genug gethan. Warum?
Erstens weil in den Wochen nach der Schlacht bei Ätna das zur Negierung
gelangte Kabinett Rudini wohl den Schutzherrschaftsparagraphen fallen lassen
lvollte, aber dafür eine formelle Erklärung Meneliks verlangte, daß er sein
Land niemals unter den Schutz irgend einer fremden Macht stellen werde.
Diese Zusicherung zu geben hatte sich Menelik schon wiederholt geweigert, und


Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

Artikel 1. Der Kriegszustand zwischen Italien und Äthiopier hört endgiltig
auf. Zufolge dessen werden ewiger Friede und ewige Freundschaft zwischen S. M.
dem Könige von Italien und S. M. dem Kaiser von Äthiopier, sowie zwischen
deren Nachfolgern und Unterthanen herrschen.

Daß das Aufhören des Kriegszustandes besonders erklärt wird, ist nicht
ohne Bedeutung. Von seiten Meneliks liegt darin die Anerkennung, daß
Italien sich zur Zeit der Wegnahme des „Doelwyk" (8. August 1896), der
Kriegsmaterial für ihn an Bord hatte, gegenüber Abessinien uoch im Kriegs¬
zustande befand, obgleich dieser aus formellen Gründen (Kriegszulage, Doppel¬
rechnung des Kriegsjahres usw.) durch königliches Dekret vom 18. Juni 1896
bereits sür Erythräa aufgehoben war.

Im übrigen weiß man, was man von dem Worte „ewig" in Friedens¬
verträgen zu halten hat, selbst wo die sprichwörtliche abessinische Treulosigkeit
nicht mit ins Spiel kommt. Wenn Italien bei Massaua bleibt, wird es über
kurz oder lang von neuem die Waffen mit Abessinien zu messen haben: ent¬
weder in der Verteidigung, wenn es der seiner Kraft bewußte Gegner ver¬
suchen wird, den Zugang zum Meere bei Massaua, den er schon vor Jahr¬
hunderten einmal besaß — eine Notwendigkeit für die gedeihliche Entwicklung
des Landes! —, wieder zu gewinnen; oder angriffsweise, wenn etwa eines
Tages die innerabessinischen Verhältnisse (z. V. Kämpfe um die erledigte Negus-
würde) dringend zur Wiederausdehnnug der Kolonie nach Süden einladen
sollten.

Artikel 2. Der am 2. Mui 1889 zu Utschalli geschlossene Vertrag, sowie
seine Zusatzverträge werdeu endgiltig aufgehoben.

Damit wurde kein neuer Zustand geschaffen, denn thatsächlich enthält
jener Vertrag auch nicht einen einzigen Artikel, gegen den nicht dauernd,
sowohl von italienischer als auch von abessinischer Seite, verstoßen worden
wäre. Namentlich die aus Artikel 17 jenes Vertrages gefolgerte Schutzherr¬
schaft Italiens über Abefstnien hat nie ausgeübt werden können. Auf Grund
dieser Erfahrungen hat man wohl geäußert, derartige Verträge mit hnlb-
barbarischen Völkern seien überhaupt ein Unding, das Vertrauen auf ihre
Artikel eine Illusion. Und jetzt?

Artikel 3. Italien erkennt die absolute Unabhängigkeit des äthiopischen Kaiser¬
reiches als eines souveränen und unabhängige» Staates an.

Augenscheinlich war Menelik mit dem Artikel 2, der ja schon den Weg¬
fall der Schutzherrschaft in sich schloß, noch nicht genug gethan. Warum?
Erstens weil in den Wochen nach der Schlacht bei Ätna das zur Negierung
gelangte Kabinett Rudini wohl den Schutzherrschaftsparagraphen fallen lassen
lvollte, aber dafür eine formelle Erklärung Meneliks verlangte, daß er sein
Land niemals unter den Schutz irgend einer fremden Macht stellen werde.
Diese Zusicherung zu geben hatte sich Menelik schon wiederholt geweigert, und


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[0275] Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen Artikel 1. Der Kriegszustand zwischen Italien und Äthiopier hört endgiltig auf. Zufolge dessen werden ewiger Friede und ewige Freundschaft zwischen S. M. dem Könige von Italien und S. M. dem Kaiser von Äthiopier, sowie zwischen deren Nachfolgern und Unterthanen herrschen. Daß das Aufhören des Kriegszustandes besonders erklärt wird, ist nicht ohne Bedeutung. Von seiten Meneliks liegt darin die Anerkennung, daß Italien sich zur Zeit der Wegnahme des „Doelwyk" (8. August 1896), der Kriegsmaterial für ihn an Bord hatte, gegenüber Abessinien uoch im Kriegs¬ zustande befand, obgleich dieser aus formellen Gründen (Kriegszulage, Doppel¬ rechnung des Kriegsjahres usw.) durch königliches Dekret vom 18. Juni 1896 bereits sür Erythräa aufgehoben war. Im übrigen weiß man, was man von dem Worte „ewig" in Friedens¬ verträgen zu halten hat, selbst wo die sprichwörtliche abessinische Treulosigkeit nicht mit ins Spiel kommt. Wenn Italien bei Massaua bleibt, wird es über kurz oder lang von neuem die Waffen mit Abessinien zu messen haben: ent¬ weder in der Verteidigung, wenn es der seiner Kraft bewußte Gegner ver¬ suchen wird, den Zugang zum Meere bei Massaua, den er schon vor Jahr¬ hunderten einmal besaß — eine Notwendigkeit für die gedeihliche Entwicklung des Landes! —, wieder zu gewinnen; oder angriffsweise, wenn etwa eines Tages die innerabessinischen Verhältnisse (z. V. Kämpfe um die erledigte Negus- würde) dringend zur Wiederausdehnnug der Kolonie nach Süden einladen sollten. Artikel 2. Der am 2. Mui 1889 zu Utschalli geschlossene Vertrag, sowie seine Zusatzverträge werdeu endgiltig aufgehoben. Damit wurde kein neuer Zustand geschaffen, denn thatsächlich enthält jener Vertrag auch nicht einen einzigen Artikel, gegen den nicht dauernd, sowohl von italienischer als auch von abessinischer Seite, verstoßen worden wäre. Namentlich die aus Artikel 17 jenes Vertrages gefolgerte Schutzherr¬ schaft Italiens über Abefstnien hat nie ausgeübt werden können. Auf Grund dieser Erfahrungen hat man wohl geäußert, derartige Verträge mit hnlb- barbarischen Völkern seien überhaupt ein Unding, das Vertrauen auf ihre Artikel eine Illusion. Und jetzt? Artikel 3. Italien erkennt die absolute Unabhängigkeit des äthiopischen Kaiser¬ reiches als eines souveränen und unabhängige» Staates an. Augenscheinlich war Menelik mit dem Artikel 2, der ja schon den Weg¬ fall der Schutzherrschaft in sich schloß, noch nicht genug gethan. Warum? Erstens weil in den Wochen nach der Schlacht bei Ätna das zur Negierung gelangte Kabinett Rudini wohl den Schutzherrschaftsparagraphen fallen lassen lvollte, aber dafür eine formelle Erklärung Meneliks verlangte, daß er sein Land niemals unter den Schutz irgend einer fremden Macht stellen werde. Diese Zusicherung zu geben hatte sich Menelik schon wiederholt geweigert, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/275>, abgerufen am 05.06.2024.