Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen "ehrenhaften" Frieden, das Werk ihrer Herren und Meister als eine Muster¬ Im Februar begiebt sich Dr. Nerazzini wiederum nach Schoa, um etwa In Schoa schwimmt man natürlich in eitel Wonne und träumt vom Ein¬ Auch bei den mehr oder minder beteiligten europäischen Mächten herrscht Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen „ehrenhaften" Frieden, das Werk ihrer Herren und Meister als eine Muster¬ Im Februar begiebt sich Dr. Nerazzini wiederum nach Schoa, um etwa In Schoa schwimmt man natürlich in eitel Wonne und träumt vom Ein¬ Auch bei den mehr oder minder beteiligten europäischen Mächten herrscht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224526"/> <fw type="header" place="top"> Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen</fw><lb/> <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763"> „ehrenhaften" Frieden, das Werk ihrer Herren und Meister als eine Muster¬<lb/> leistung diplomatischer Kunst, in einem Turiner Gotteshause wurde ein feier¬<lb/> liches Dcmktedeum abgehalten, dem zwei königliche Prinzen beiwohnten, und<lb/> hätten nicht ernste Blätter eindringlich gewarnt, so wären die aus der Kriegs¬<lb/> gefangenschaft eintreffenden Soldaten vielleicht wie siegreich heimkehrende Helden<lb/> gefeiert worden. Über die Zukunft Erhthrüas äußerte sich Rndini am 2. De¬<lb/> zember in der Kammer unbestimmt, und wenn er auch die Absicht einer völligen<lb/> Aufgabe der Kolonie in Abrede stellte, so liegen doch manche Anzeichen dafür<lb/> vor, daß die gegenwärtige Negierung ernstlich mit diesem Gedanken umgeht.<lb/> Ob sie ihn gegenüber dem Lande wird durchsetzen können, ist eine andre Frage.<lb/> Jedenfalls müßte ein Rückzug Italiens aus Afrika zu ernsten kolonialpolitischen<lb/> MißHelligkeiten unter den europäischen Mächten führen, denn wer soll der<lb/> Erbe sein?</p><lb/> <p xml:id="ID_765"> Im Februar begiebt sich Dr. Nerazzini wiederum nach Schoa, um etwa<lb/> noch bestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Negus Regest und der<lb/> italienischen Regierung zu heben, auch wohl zur Vereinbarung hinsichtlich der<lb/> Thätigkeit des Grenzberichtignngsausschusses und der Einlieferung der Geld-<lb/> entschädigung für den Unterhalt der Gefangnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_766"> In Schoa schwimmt man natürlich in eitel Wonne und träumt vom Ein¬<lb/> tritt in den internationalen Völkerverkehr, trotz fröhlich geübter Entmannung<lb/> erlegter Gegner und gelegentlichen nutzbringenden Sklavenhandels. Freilich<lb/> muß man auch gerecht sein und anerkennen, daß Menelik so alte, tief ein¬<lb/> gewurzelte Mißbräuche kaum mit einem Schlage abstellen kann. Jedenfalls<lb/> hat Abessinien die „absolute Unabhängigkeit" erkämpft, und vielleicht ist mit<lb/> der Anknüpfung lebhafterer Beziehungen zu europäischen Staaten der Grund<lb/> zu einer ungeahnten Entwicklung des seit einem Jahrtausend in träger UnVer¬<lb/> änderlichkeit verharrenden Landes gelegt. Im März, spätestens im April dieses<lb/> Jahres, wird nach Nerazzinis Mitteilung der Telegraph Abif Abeba mit<lb/> Dschibuti verbinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_767" next="#ID_768"> Auch bei den mehr oder minder beteiligten europäischen Mächten herrscht<lb/> ausnahmslos Befriedigung. Die Dreibuudmächte — und auch England —<lb/> beglückwünschten Italien amtlich zum Friedesschluß, und ihre Presse erklärte<lb/> ziemlich einmütig, daß er eine militärische Stärkung Italiens für die Zwecke<lb/> des Dreibunds und für die Machtstellung im Mittelmeer bedeute. Umgekehrt<lb/> erhoffte man in Frankreich daraus eine Annäherung Italiens, da nun ein<lb/> trennender Punkt in den Beziehungen zwischen den beiden Reichen, die Neben¬<lb/> buhlerschaft in Bezug auf Abessinien, wegfalle, natürlich so, daß der französische<lb/> Einfluß jetzt riesengroß gewachsen ist und den Wettbewerb Italiens nicht mehr<lb/> zu fürchten hat. Die französischen Agenten brauchen aus völkerrechtlichen<lb/> Gründen nicht mehr im Geheimen zu arbeiten: schon ist ein außerordentlicher<lb/> Abgesandter Frankreichs in der Person des ehemaligen Gouverneurs von Obok,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0280]
Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen
„ehrenhaften" Frieden, das Werk ihrer Herren und Meister als eine Muster¬
leistung diplomatischer Kunst, in einem Turiner Gotteshause wurde ein feier¬
liches Dcmktedeum abgehalten, dem zwei königliche Prinzen beiwohnten, und
hätten nicht ernste Blätter eindringlich gewarnt, so wären die aus der Kriegs¬
gefangenschaft eintreffenden Soldaten vielleicht wie siegreich heimkehrende Helden
gefeiert worden. Über die Zukunft Erhthrüas äußerte sich Rndini am 2. De¬
zember in der Kammer unbestimmt, und wenn er auch die Absicht einer völligen
Aufgabe der Kolonie in Abrede stellte, so liegen doch manche Anzeichen dafür
vor, daß die gegenwärtige Negierung ernstlich mit diesem Gedanken umgeht.
Ob sie ihn gegenüber dem Lande wird durchsetzen können, ist eine andre Frage.
Jedenfalls müßte ein Rückzug Italiens aus Afrika zu ernsten kolonialpolitischen
MißHelligkeiten unter den europäischen Mächten führen, denn wer soll der
Erbe sein?
Im Februar begiebt sich Dr. Nerazzini wiederum nach Schoa, um etwa
noch bestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Negus Regest und der
italienischen Regierung zu heben, auch wohl zur Vereinbarung hinsichtlich der
Thätigkeit des Grenzberichtignngsausschusses und der Einlieferung der Geld-
entschädigung für den Unterhalt der Gefangnen.
In Schoa schwimmt man natürlich in eitel Wonne und träumt vom Ein¬
tritt in den internationalen Völkerverkehr, trotz fröhlich geübter Entmannung
erlegter Gegner und gelegentlichen nutzbringenden Sklavenhandels. Freilich
muß man auch gerecht sein und anerkennen, daß Menelik so alte, tief ein¬
gewurzelte Mißbräuche kaum mit einem Schlage abstellen kann. Jedenfalls
hat Abessinien die „absolute Unabhängigkeit" erkämpft, und vielleicht ist mit
der Anknüpfung lebhafterer Beziehungen zu europäischen Staaten der Grund
zu einer ungeahnten Entwicklung des seit einem Jahrtausend in träger UnVer¬
änderlichkeit verharrenden Landes gelegt. Im März, spätestens im April dieses
Jahres, wird nach Nerazzinis Mitteilung der Telegraph Abif Abeba mit
Dschibuti verbinden.
Auch bei den mehr oder minder beteiligten europäischen Mächten herrscht
ausnahmslos Befriedigung. Die Dreibuudmächte — und auch England —
beglückwünschten Italien amtlich zum Friedesschluß, und ihre Presse erklärte
ziemlich einmütig, daß er eine militärische Stärkung Italiens für die Zwecke
des Dreibunds und für die Machtstellung im Mittelmeer bedeute. Umgekehrt
erhoffte man in Frankreich daraus eine Annäherung Italiens, da nun ein
trennender Punkt in den Beziehungen zwischen den beiden Reichen, die Neben¬
buhlerschaft in Bezug auf Abessinien, wegfalle, natürlich so, daß der französische
Einfluß jetzt riesengroß gewachsen ist und den Wettbewerb Italiens nicht mehr
zu fürchten hat. Die französischen Agenten brauchen aus völkerrechtlichen
Gründen nicht mehr im Geheimen zu arbeiten: schon ist ein außerordentlicher
Abgesandter Frankreichs in der Person des ehemaligen Gouverneurs von Obok,
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