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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

Lagarde, nach Schoa unterwegs. Über seine Aufgabe wird Stillschweigen
bewahrt: soll er dauernd als diplomatischer Vertreter Frankreichs an Meneliks
Hof bleiben? Soll er den Bau der Eisenbahn von Dschibuti bis Harrar oder
wohl gar Antoto (über sechshundert Kilometer) betreiben, sodaß Menelik sie
1900 bei seinem Besuche der Pariser Ceutenarausstellung benutzen kaun? Soll
er die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern fördern und so der
kleine" französischen Kolonie Obok eine rosige Zukunft sichern?^) Oder soll
er gar in hoher, englandfeindlicher Politik machen und Menelik veranlassen,
zunächst den Derwischen gegen England-Ägypten freie Hand zu lassen, dann
aber den englischen Traum einer Querverbindung durch Afrika von Norden
nach Süden zu nichte zu machen und selbst vom obern Nilthal Besitz zu er¬
greifen? Wer weiß es! Jedenfalls schlug zunächst in Frankreich die Be¬
geisterung für Menelik so hohe Wogen, daß er durch seinen getreuen Mouton
in französischen Blättern summarisch seinen Dank sür die vielen Glückwünsche
und Zuschriften sagen lassen mußte.

Nicht minder befriedigt und daher vom reinsten Wohlwollen sür die
Italiener beseelt äußerten sich die Russen. Das hinderte sie freilich nicht.
Mitte Dezember 1896 den Versuch zu machen, sich ein Stück italienischen
Schutzgebietes durch einen kühnen Handstreich anzueignen. Ein russischer
Kreuzer landete auf dem Boden des Sultanats Naheita ein Kommando zu --
hydrographischen Vermessungen. Soweit ist es aber mit der Afrikamüdig¬
keit Italiens doch noch nicht gekommen, daß es eine solche Unternehmung
als ein Erlöserwerk betrachtete. (Letztere Annahme scheint anch die deutsche
Kolonialzeitung zu hegen, die ans dein vermeintlichen Zusammenbruch der
italienischen Kolonialpolitik einen Hafen am Roten Meere für Deutschland
retten möchte.) Die Russen scheinen in Abessinien doch mehr vorzuhaben als
eine platonische Pflege der Religionsverwandtschast, denn den wenigen Ärzten
ihrer Expedition vom Noten Krenz, die am 26. Juli 1896 in Abif Abeba ein¬
traf und Ende des Jahres bis auf ein paar(?) Offiziere zurückkehrte, waren als
besonders geeignete Krankenpfleger beigegeben: ein General, vier Generalstabs-,
sechs Kavallerie- und vier Artillerieoffiziere, sowie sieben Kavallerie- und drei¬
zehn Artillerieuntervffiziere. Denn ist am 1. Januar 1897 ein längst vor¬
bereiteter, vorläufiger russisch-abessinischcr Handelsvertrag in Kraft getreten,
ohne daß freilich bisher anch nur bescheidne Handelsbeziehungen zwischen
den beiden Reichen bestünden. Meneliks Geheimschreiber Udo Joseph hat in
Petersburg bei lungern Aufenthalt eine gute Aufnahme gefunden und ist jetzt
in Begleitung des unermüdlichen Leontieff, der den Abessiniern diesmal einen
Kursus in der Landesbefestigungskunst erteilen soll, auf der Heimreise. Wageu-



Es verlautet bereits, das; Lagarde in Harrar vollzogne (also längst fertige) Handels¬
verträge zwischen Frankreich und Abessinien ausgetauscht habe.
Grenzboten I 1897 35
Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

Lagarde, nach Schoa unterwegs. Über seine Aufgabe wird Stillschweigen
bewahrt: soll er dauernd als diplomatischer Vertreter Frankreichs an Meneliks
Hof bleiben? Soll er den Bau der Eisenbahn von Dschibuti bis Harrar oder
wohl gar Antoto (über sechshundert Kilometer) betreiben, sodaß Menelik sie
1900 bei seinem Besuche der Pariser Ceutenarausstellung benutzen kaun? Soll
er die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern fördern und so der
kleine» französischen Kolonie Obok eine rosige Zukunft sichern?^) Oder soll
er gar in hoher, englandfeindlicher Politik machen und Menelik veranlassen,
zunächst den Derwischen gegen England-Ägypten freie Hand zu lassen, dann
aber den englischen Traum einer Querverbindung durch Afrika von Norden
nach Süden zu nichte zu machen und selbst vom obern Nilthal Besitz zu er¬
greifen? Wer weiß es! Jedenfalls schlug zunächst in Frankreich die Be¬
geisterung für Menelik so hohe Wogen, daß er durch seinen getreuen Mouton
in französischen Blättern summarisch seinen Dank sür die vielen Glückwünsche
und Zuschriften sagen lassen mußte.

Nicht minder befriedigt und daher vom reinsten Wohlwollen sür die
Italiener beseelt äußerten sich die Russen. Das hinderte sie freilich nicht.
Mitte Dezember 1896 den Versuch zu machen, sich ein Stück italienischen
Schutzgebietes durch einen kühnen Handstreich anzueignen. Ein russischer
Kreuzer landete auf dem Boden des Sultanats Naheita ein Kommando zu —
hydrographischen Vermessungen. Soweit ist es aber mit der Afrikamüdig¬
keit Italiens doch noch nicht gekommen, daß es eine solche Unternehmung
als ein Erlöserwerk betrachtete. (Letztere Annahme scheint anch die deutsche
Kolonialzeitung zu hegen, die ans dein vermeintlichen Zusammenbruch der
italienischen Kolonialpolitik einen Hafen am Roten Meere für Deutschland
retten möchte.) Die Russen scheinen in Abessinien doch mehr vorzuhaben als
eine platonische Pflege der Religionsverwandtschast, denn den wenigen Ärzten
ihrer Expedition vom Noten Krenz, die am 26. Juli 1896 in Abif Abeba ein¬
traf und Ende des Jahres bis auf ein paar(?) Offiziere zurückkehrte, waren als
besonders geeignete Krankenpfleger beigegeben: ein General, vier Generalstabs-,
sechs Kavallerie- und vier Artillerieoffiziere, sowie sieben Kavallerie- und drei¬
zehn Artillerieuntervffiziere. Denn ist am 1. Januar 1897 ein längst vor¬
bereiteter, vorläufiger russisch-abessinischcr Handelsvertrag in Kraft getreten,
ohne daß freilich bisher anch nur bescheidne Handelsbeziehungen zwischen
den beiden Reichen bestünden. Meneliks Geheimschreiber Udo Joseph hat in
Petersburg bei lungern Aufenthalt eine gute Aufnahme gefunden und ist jetzt
in Begleitung des unermüdlichen Leontieff, der den Abessiniern diesmal einen
Kursus in der Landesbefestigungskunst erteilen soll, auf der Heimreise. Wageu-



Es verlautet bereits, das; Lagarde in Harrar vollzogne (also längst fertige) Handels¬
verträge zwischen Frankreich und Abessinien ausgetauscht habe.
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[0281] Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen Lagarde, nach Schoa unterwegs. Über seine Aufgabe wird Stillschweigen bewahrt: soll er dauernd als diplomatischer Vertreter Frankreichs an Meneliks Hof bleiben? Soll er den Bau der Eisenbahn von Dschibuti bis Harrar oder wohl gar Antoto (über sechshundert Kilometer) betreiben, sodaß Menelik sie 1900 bei seinem Besuche der Pariser Ceutenarausstellung benutzen kaun? Soll er die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern fördern und so der kleine» französischen Kolonie Obok eine rosige Zukunft sichern?^) Oder soll er gar in hoher, englandfeindlicher Politik machen und Menelik veranlassen, zunächst den Derwischen gegen England-Ägypten freie Hand zu lassen, dann aber den englischen Traum einer Querverbindung durch Afrika von Norden nach Süden zu nichte zu machen und selbst vom obern Nilthal Besitz zu er¬ greifen? Wer weiß es! Jedenfalls schlug zunächst in Frankreich die Be¬ geisterung für Menelik so hohe Wogen, daß er durch seinen getreuen Mouton in französischen Blättern summarisch seinen Dank sür die vielen Glückwünsche und Zuschriften sagen lassen mußte. Nicht minder befriedigt und daher vom reinsten Wohlwollen sür die Italiener beseelt äußerten sich die Russen. Das hinderte sie freilich nicht. Mitte Dezember 1896 den Versuch zu machen, sich ein Stück italienischen Schutzgebietes durch einen kühnen Handstreich anzueignen. Ein russischer Kreuzer landete auf dem Boden des Sultanats Naheita ein Kommando zu — hydrographischen Vermessungen. Soweit ist es aber mit der Afrikamüdig¬ keit Italiens doch noch nicht gekommen, daß es eine solche Unternehmung als ein Erlöserwerk betrachtete. (Letztere Annahme scheint anch die deutsche Kolonialzeitung zu hegen, die ans dein vermeintlichen Zusammenbruch der italienischen Kolonialpolitik einen Hafen am Roten Meere für Deutschland retten möchte.) Die Russen scheinen in Abessinien doch mehr vorzuhaben als eine platonische Pflege der Religionsverwandtschast, denn den wenigen Ärzten ihrer Expedition vom Noten Krenz, die am 26. Juli 1896 in Abif Abeba ein¬ traf und Ende des Jahres bis auf ein paar(?) Offiziere zurückkehrte, waren als besonders geeignete Krankenpfleger beigegeben: ein General, vier Generalstabs-, sechs Kavallerie- und vier Artillerieoffiziere, sowie sieben Kavallerie- und drei¬ zehn Artillerieuntervffiziere. Denn ist am 1. Januar 1897 ein längst vor¬ bereiteter, vorläufiger russisch-abessinischcr Handelsvertrag in Kraft getreten, ohne daß freilich bisher anch nur bescheidne Handelsbeziehungen zwischen den beiden Reichen bestünden. Meneliks Geheimschreiber Udo Joseph hat in Petersburg bei lungern Aufenthalt eine gute Aufnahme gefunden und ist jetzt in Begleitung des unermüdlichen Leontieff, der den Abessiniern diesmal einen Kursus in der Landesbefestigungskunst erteilen soll, auf der Heimreise. Wageu- Es verlautet bereits, das; Lagarde in Harrar vollzogne (also längst fertige) Handels¬ verträge zwischen Frankreich und Abessinien ausgetauscht habe. Grenzboten I 1897 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/281>, abgerufen am 16.05.2024.