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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Antiker und moderner Militarismus

und seine Folgen so viel gewonnen, daß Frankreich ohne Bundesgenossen so leicht
keinen großen Krieg mehr unternehmen wird, zumal da ihm seine Sehnsucht nach
8'Ioir<z nicht mehr durch ein halb aus Söldnern, halb aus den untersten und
ärmsten Volksklassen bestehendes Heer befriedigt werden kann. Aber so wie
Elsaß-Lothringen, so wird auch in Zukunft jede neue Errungenschaft nur durch
Kampf zu gewinnen und nur durch unsre Macht zu behaupten sein. Natür¬
lich ist nicht gemeint, daß jeder Interessenkonflikt zum Kriege führen müsse.
Aber hinter den Notenkämpfen der Staatsmänner müssen in letzter Instanz die
Kanonen als ulliwa ratio stehen. So sind die Waffen bei dem Notenaustausch
das, was die Zahlungsfähigkeit des Geschäftsmannes bei seinen Geschäften ist.
Der Staatsmann, der seine Noten nicht "realisiren" kann, hat noch immer
zusehen müssen, wie seine Proteste unter Hohnlachen beiseite gelegt worden sind.

Wer würde die großen Mittel, die die bewaffnete Macht kostet, nicht lieber
zu noch bessern Zwecken verwenden? Aber vorläufig bei der Lage der Dinge,
wie sie in Enropa ist und auch nach dem nächsten Kriege wohl bleiben wird,
gleicht der Deutsche, der wider den bösen Militarismus eifert, dem Manne,
der den Ast absagt, auf dem er sitzt; es hilft nichts, wenn er auch ein wenig
drücken mag hier und dort.

Vielleicht zeigen wir in einem folgenden Aussatz, wie eng das Heerwesen
immer mit dem Begriff und dem Wesen des Staats und den sozialen Ver¬
hältnissen des Volks zusammengehangen und diese sogar oft genug ganz wesent¬
lich beeinflußt hat, weil der Einzelne eben wie der Staat zuerst überhaupt
bestehen muß. Hier wollen wir mit der Bemerkung schließen, daß das Neben¬
einander der europäischen Völker in ihrer steten Wechselwirkung aufeinander
sie nicht nur vor chinesischer Erstarrung bewahrt, sondern sie auf eine Kultur¬
höhe gehoben hat, die ihnen noch auf lange hin die erste Stelle sichert und
sie befähigt, den Erdball zu umspannen und zu beherrschen. Die Kehrseite
dieses Nebeneinanders liegt in der Bewachung und Währung der Einzelinter¬
essen gegen Übergriffe der Nachbarn. Erst die technischen Mittel des neun¬
zehnten Jahrhunderts erlauben es, die vollen Konsequenzen dieser Befähigung
zu ziehen, aber gerade darum wird das nächste Jahrhundert noch manche Frage
auszutragen haben, bevor die wider einander streitenden Interessen ausge¬
glichen sind.

Es war ein einsichtiger Belgier, der bei den Militärdebatten in der Kammer
die schönen Worte sprach: "Ich hoffe, daß in Zukunft aus unsern Wahlkümpfen
die Bezeichnung Militaristen und Antimilitaristen verschwinden wird. Ich hoffe
auch, daß man sich erinnern wird, daß die Antimilitaristen die sind, die die
Gefahr nicht vorherzusehen imstande sind; ich hoffe ferner, daß man sich er¬
innern wird, daß es nur kurzsichtige, nach eitler Popularität haschende Leute
sind, die ihren Wählern sagen, daß sie nicht die schweren Lasten wollen, die
die Armee dem Lande auferlegt. Ich spreche laut den Wunsch aus, daß


Grenzboten I 1897 4L
Antiker und moderner Militarismus

und seine Folgen so viel gewonnen, daß Frankreich ohne Bundesgenossen so leicht
keinen großen Krieg mehr unternehmen wird, zumal da ihm seine Sehnsucht nach
8'Ioir<z nicht mehr durch ein halb aus Söldnern, halb aus den untersten und
ärmsten Volksklassen bestehendes Heer befriedigt werden kann. Aber so wie
Elsaß-Lothringen, so wird auch in Zukunft jede neue Errungenschaft nur durch
Kampf zu gewinnen und nur durch unsre Macht zu behaupten sein. Natür¬
lich ist nicht gemeint, daß jeder Interessenkonflikt zum Kriege führen müsse.
Aber hinter den Notenkämpfen der Staatsmänner müssen in letzter Instanz die
Kanonen als ulliwa ratio stehen. So sind die Waffen bei dem Notenaustausch
das, was die Zahlungsfähigkeit des Geschäftsmannes bei seinen Geschäften ist.
Der Staatsmann, der seine Noten nicht „realisiren" kann, hat noch immer
zusehen müssen, wie seine Proteste unter Hohnlachen beiseite gelegt worden sind.

Wer würde die großen Mittel, die die bewaffnete Macht kostet, nicht lieber
zu noch bessern Zwecken verwenden? Aber vorläufig bei der Lage der Dinge,
wie sie in Enropa ist und auch nach dem nächsten Kriege wohl bleiben wird,
gleicht der Deutsche, der wider den bösen Militarismus eifert, dem Manne,
der den Ast absagt, auf dem er sitzt; es hilft nichts, wenn er auch ein wenig
drücken mag hier und dort.

Vielleicht zeigen wir in einem folgenden Aussatz, wie eng das Heerwesen
immer mit dem Begriff und dem Wesen des Staats und den sozialen Ver¬
hältnissen des Volks zusammengehangen und diese sogar oft genug ganz wesent¬
lich beeinflußt hat, weil der Einzelne eben wie der Staat zuerst überhaupt
bestehen muß. Hier wollen wir mit der Bemerkung schließen, daß das Neben¬
einander der europäischen Völker in ihrer steten Wechselwirkung aufeinander
sie nicht nur vor chinesischer Erstarrung bewahrt, sondern sie auf eine Kultur¬
höhe gehoben hat, die ihnen noch auf lange hin die erste Stelle sichert und
sie befähigt, den Erdball zu umspannen und zu beherrschen. Die Kehrseite
dieses Nebeneinanders liegt in der Bewachung und Währung der Einzelinter¬
essen gegen Übergriffe der Nachbarn. Erst die technischen Mittel des neun¬
zehnten Jahrhunderts erlauben es, die vollen Konsequenzen dieser Befähigung
zu ziehen, aber gerade darum wird das nächste Jahrhundert noch manche Frage
auszutragen haben, bevor die wider einander streitenden Interessen ausge¬
glichen sind.

Es war ein einsichtiger Belgier, der bei den Militärdebatten in der Kammer
die schönen Worte sprach: „Ich hoffe, daß in Zukunft aus unsern Wahlkümpfen
die Bezeichnung Militaristen und Antimilitaristen verschwinden wird. Ich hoffe
auch, daß man sich erinnern wird, daß die Antimilitaristen die sind, die die
Gefahr nicht vorherzusehen imstande sind; ich hoffe ferner, daß man sich er¬
innern wird, daß es nur kurzsichtige, nach eitler Popularität haschende Leute
sind, die ihren Wählern sagen, daß sie nicht die schweren Lasten wollen, die
die Armee dem Lande auferlegt. Ich spreche laut den Wunsch aus, daß


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[0336] Antiker und moderner Militarismus und seine Folgen so viel gewonnen, daß Frankreich ohne Bundesgenossen so leicht keinen großen Krieg mehr unternehmen wird, zumal da ihm seine Sehnsucht nach 8'Ioir<z nicht mehr durch ein halb aus Söldnern, halb aus den untersten und ärmsten Volksklassen bestehendes Heer befriedigt werden kann. Aber so wie Elsaß-Lothringen, so wird auch in Zukunft jede neue Errungenschaft nur durch Kampf zu gewinnen und nur durch unsre Macht zu behaupten sein. Natür¬ lich ist nicht gemeint, daß jeder Interessenkonflikt zum Kriege führen müsse. Aber hinter den Notenkämpfen der Staatsmänner müssen in letzter Instanz die Kanonen als ulliwa ratio stehen. So sind die Waffen bei dem Notenaustausch das, was die Zahlungsfähigkeit des Geschäftsmannes bei seinen Geschäften ist. Der Staatsmann, der seine Noten nicht „realisiren" kann, hat noch immer zusehen müssen, wie seine Proteste unter Hohnlachen beiseite gelegt worden sind. Wer würde die großen Mittel, die die bewaffnete Macht kostet, nicht lieber zu noch bessern Zwecken verwenden? Aber vorläufig bei der Lage der Dinge, wie sie in Enropa ist und auch nach dem nächsten Kriege wohl bleiben wird, gleicht der Deutsche, der wider den bösen Militarismus eifert, dem Manne, der den Ast absagt, auf dem er sitzt; es hilft nichts, wenn er auch ein wenig drücken mag hier und dort. Vielleicht zeigen wir in einem folgenden Aussatz, wie eng das Heerwesen immer mit dem Begriff und dem Wesen des Staats und den sozialen Ver¬ hältnissen des Volks zusammengehangen und diese sogar oft genug ganz wesent¬ lich beeinflußt hat, weil der Einzelne eben wie der Staat zuerst überhaupt bestehen muß. Hier wollen wir mit der Bemerkung schließen, daß das Neben¬ einander der europäischen Völker in ihrer steten Wechselwirkung aufeinander sie nicht nur vor chinesischer Erstarrung bewahrt, sondern sie auf eine Kultur¬ höhe gehoben hat, die ihnen noch auf lange hin die erste Stelle sichert und sie befähigt, den Erdball zu umspannen und zu beherrschen. Die Kehrseite dieses Nebeneinanders liegt in der Bewachung und Währung der Einzelinter¬ essen gegen Übergriffe der Nachbarn. Erst die technischen Mittel des neun¬ zehnten Jahrhunderts erlauben es, die vollen Konsequenzen dieser Befähigung zu ziehen, aber gerade darum wird das nächste Jahrhundert noch manche Frage auszutragen haben, bevor die wider einander streitenden Interessen ausge¬ glichen sind. Es war ein einsichtiger Belgier, der bei den Militärdebatten in der Kammer die schönen Worte sprach: „Ich hoffe, daß in Zukunft aus unsern Wahlkümpfen die Bezeichnung Militaristen und Antimilitaristen verschwinden wird. Ich hoffe auch, daß man sich erinnern wird, daß die Antimilitaristen die sind, die die Gefahr nicht vorherzusehen imstande sind; ich hoffe ferner, daß man sich er¬ innern wird, daß es nur kurzsichtige, nach eitler Popularität haschende Leute sind, die ihren Wählern sagen, daß sie nicht die schweren Lasten wollen, die die Armee dem Lande auferlegt. Ich spreche laut den Wunsch aus, daß Grenzboten I 1897 4L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/336>, abgerufen am 21.05.2024.