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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Schillerpreisdramen

Spekulation herabgewürdigt zu werden? Wie dem auch sei, der preisgekrönte
wie der uicht preisgekrönte Dichter der neuesten Hetz -- beide siud Talente,
wenn auch Talente sehr verschiednen Gepräges, sie haben ein gutes Anrecht
darauf, nach ihre" künstlerischen Leistungen, nicht nach dein augenblicklichen
Sensationsbedürfnis der Reichshauptstadt oder irgend einer andern Stadt ge¬
schätzt zu werden, sie dürfen um einen Platz in der Geschichte der deutschen
Litteratur werben, nur d.'.ß es weder für den einen, noch für den andern der
Platz sein kann, den nam falsche Propheten im Augenblick zusprechen.

Wiidenbruchs Doppeldrama "Heinrich und Heinrichs Geschlecht" kann als
ein neues, sehr interessantes Zeugnis der eigentümlichen Stärke und Schwäche
des Dichters angesehen werden. Auf zwei besondern Eigenschaften und ihrer
Mischung habe" die frühern Erfolge der Wildeubruchschen Dramen beruht,
und beide Eigenschaften kehren in "König Heinrich" und "Kaiser Heinrich" in
einer gewissen Verstärkung und Verdichtung und diesmal in besonders charak¬
teristischer Mischung wieder. Der Dichter ist von einem glühenden National¬
gefühl, das jedes andre Gefühl bei ihm überwiegt, von einem stolzen vater¬
ländischen Pathos durchdrungen, das ihn überall Licht sehen läßt, wo deutsche
Waffen, deutsches Wesen Siege erringen, überall Dunkel, wo irgend eine Macht
der Welt die deutsche Macht gefährdet oder das deutsche Selbstbewußtsein
demütigt. Es ist richtig, das; ihm im Verlauf der deutschen Dinge deutsch
und preußisch in eins fallen, aber es ist nicht wahr, daß Wildenbruchs heiße
und stellenweise gewaltsame Leidenschaft für Größe, Ehre und Würde der
Nation mit dem armseligen Zeitungspathos und dem offiziellen Patriotismus
identisch wäre. Gerade diese Heinrichtragödicn zeigen, wie unbekümmert um
alle äußerliche Gunst der Verhältnisse sich der Dichter dieser Strömung seines
Blutes anvertraut, wie voll diese Saite in ihm weitertönt. Er empfindet,
aller Beendigung des Kulturkampfes zum Trotz, die Tage vou Canossa als
eine Schmach, den Eingriff Gregors in das deutsche Leben als eine unerhörte
Bedrängnis selbständiger Entwicklung, die Aufhetzung des Sohnes Heinrichs IV.
gegen den Vater als ein unsühnbares Verbrechen und jauchzt bei der Rache
auf, die dann Heinrich V. an Papst Paschalis und seiner Klerisei nimmt.
Das alles ist echt aus dem Herzen geboren, gleichviel ob es den einen gefällt
und den andern mißfüllt. Neben dieser auch in den Heinrichdrameu und ihren
größten Szenen wirksamen Leidenschaft ist aber die Phantasie des Dichters
von jeher stärker auf den theatralisch wirksamen, das Auge und die Sinne
fesselnden szenischen Aufbau einer Handlung, als auf die logische und lebens¬
wahre Entwicklung, Steigerung und Durchführung eiuer solchen, ans die warme
und charakteristische Belebung der Menschengestalten gerichtet gewesen. Auch
dieser Zug macht sich in der Doppeltragödie stärker fühlbar und geltend, als
sür ihren Wert gut ist. Heinrich IV. ist recht eigentlich ein Stoff, der nur
in den kühnsten und größten Zügen verkörpert werden kann, der weltgeschicht-


Die Berliner Schillerpreisdramen

Spekulation herabgewürdigt zu werden? Wie dem auch sei, der preisgekrönte
wie der uicht preisgekrönte Dichter der neuesten Hetz — beide siud Talente,
wenn auch Talente sehr verschiednen Gepräges, sie haben ein gutes Anrecht
darauf, nach ihre» künstlerischen Leistungen, nicht nach dein augenblicklichen
Sensationsbedürfnis der Reichshauptstadt oder irgend einer andern Stadt ge¬
schätzt zu werden, sie dürfen um einen Platz in der Geschichte der deutschen
Litteratur werben, nur d.'.ß es weder für den einen, noch für den andern der
Platz sein kann, den nam falsche Propheten im Augenblick zusprechen.

Wiidenbruchs Doppeldrama „Heinrich und Heinrichs Geschlecht" kann als
ein neues, sehr interessantes Zeugnis der eigentümlichen Stärke und Schwäche
des Dichters angesehen werden. Auf zwei besondern Eigenschaften und ihrer
Mischung habe» die frühern Erfolge der Wildeubruchschen Dramen beruht,
und beide Eigenschaften kehren in „König Heinrich" und „Kaiser Heinrich" in
einer gewissen Verstärkung und Verdichtung und diesmal in besonders charak¬
teristischer Mischung wieder. Der Dichter ist von einem glühenden National¬
gefühl, das jedes andre Gefühl bei ihm überwiegt, von einem stolzen vater¬
ländischen Pathos durchdrungen, das ihn überall Licht sehen läßt, wo deutsche
Waffen, deutsches Wesen Siege erringen, überall Dunkel, wo irgend eine Macht
der Welt die deutsche Macht gefährdet oder das deutsche Selbstbewußtsein
demütigt. Es ist richtig, das; ihm im Verlauf der deutschen Dinge deutsch
und preußisch in eins fallen, aber es ist nicht wahr, daß Wildenbruchs heiße
und stellenweise gewaltsame Leidenschaft für Größe, Ehre und Würde der
Nation mit dem armseligen Zeitungspathos und dem offiziellen Patriotismus
identisch wäre. Gerade diese Heinrichtragödicn zeigen, wie unbekümmert um
alle äußerliche Gunst der Verhältnisse sich der Dichter dieser Strömung seines
Blutes anvertraut, wie voll diese Saite in ihm weitertönt. Er empfindet,
aller Beendigung des Kulturkampfes zum Trotz, die Tage vou Canossa als
eine Schmach, den Eingriff Gregors in das deutsche Leben als eine unerhörte
Bedrängnis selbständiger Entwicklung, die Aufhetzung des Sohnes Heinrichs IV.
gegen den Vater als ein unsühnbares Verbrechen und jauchzt bei der Rache
auf, die dann Heinrich V. an Papst Paschalis und seiner Klerisei nimmt.
Das alles ist echt aus dem Herzen geboren, gleichviel ob es den einen gefällt
und den andern mißfüllt. Neben dieser auch in den Heinrichdrameu und ihren
größten Szenen wirksamen Leidenschaft ist aber die Phantasie des Dichters
von jeher stärker auf den theatralisch wirksamen, das Auge und die Sinne
fesselnden szenischen Aufbau einer Handlung, als auf die logische und lebens¬
wahre Entwicklung, Steigerung und Durchführung eiuer solchen, ans die warme
und charakteristische Belebung der Menschengestalten gerichtet gewesen. Auch
dieser Zug macht sich in der Doppeltragödie stärker fühlbar und geltend, als
sür ihren Wert gut ist. Heinrich IV. ist recht eigentlich ein Stoff, der nur
in den kühnsten und größten Zügen verkörpert werden kann, der weltgeschicht-


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[0036] Die Berliner Schillerpreisdramen Spekulation herabgewürdigt zu werden? Wie dem auch sei, der preisgekrönte wie der uicht preisgekrönte Dichter der neuesten Hetz — beide siud Talente, wenn auch Talente sehr verschiednen Gepräges, sie haben ein gutes Anrecht darauf, nach ihre» künstlerischen Leistungen, nicht nach dein augenblicklichen Sensationsbedürfnis der Reichshauptstadt oder irgend einer andern Stadt ge¬ schätzt zu werden, sie dürfen um einen Platz in der Geschichte der deutschen Litteratur werben, nur d.'.ß es weder für den einen, noch für den andern der Platz sein kann, den nam falsche Propheten im Augenblick zusprechen. Wiidenbruchs Doppeldrama „Heinrich und Heinrichs Geschlecht" kann als ein neues, sehr interessantes Zeugnis der eigentümlichen Stärke und Schwäche des Dichters angesehen werden. Auf zwei besondern Eigenschaften und ihrer Mischung habe» die frühern Erfolge der Wildeubruchschen Dramen beruht, und beide Eigenschaften kehren in „König Heinrich" und „Kaiser Heinrich" in einer gewissen Verstärkung und Verdichtung und diesmal in besonders charak¬ teristischer Mischung wieder. Der Dichter ist von einem glühenden National¬ gefühl, das jedes andre Gefühl bei ihm überwiegt, von einem stolzen vater¬ ländischen Pathos durchdrungen, das ihn überall Licht sehen läßt, wo deutsche Waffen, deutsches Wesen Siege erringen, überall Dunkel, wo irgend eine Macht der Welt die deutsche Macht gefährdet oder das deutsche Selbstbewußtsein demütigt. Es ist richtig, das; ihm im Verlauf der deutschen Dinge deutsch und preußisch in eins fallen, aber es ist nicht wahr, daß Wildenbruchs heiße und stellenweise gewaltsame Leidenschaft für Größe, Ehre und Würde der Nation mit dem armseligen Zeitungspathos und dem offiziellen Patriotismus identisch wäre. Gerade diese Heinrichtragödicn zeigen, wie unbekümmert um alle äußerliche Gunst der Verhältnisse sich der Dichter dieser Strömung seines Blutes anvertraut, wie voll diese Saite in ihm weitertönt. Er empfindet, aller Beendigung des Kulturkampfes zum Trotz, die Tage vou Canossa als eine Schmach, den Eingriff Gregors in das deutsche Leben als eine unerhörte Bedrängnis selbständiger Entwicklung, die Aufhetzung des Sohnes Heinrichs IV. gegen den Vater als ein unsühnbares Verbrechen und jauchzt bei der Rache auf, die dann Heinrich V. an Papst Paschalis und seiner Klerisei nimmt. Das alles ist echt aus dem Herzen geboren, gleichviel ob es den einen gefällt und den andern mißfüllt. Neben dieser auch in den Heinrichdrameu und ihren größten Szenen wirksamen Leidenschaft ist aber die Phantasie des Dichters von jeher stärker auf den theatralisch wirksamen, das Auge und die Sinne fesselnden szenischen Aufbau einer Handlung, als auf die logische und lebens¬ wahre Entwicklung, Steigerung und Durchführung eiuer solchen, ans die warme und charakteristische Belebung der Menschengestalten gerichtet gewesen. Auch dieser Zug macht sich in der Doppeltragödie stärker fühlbar und geltend, als sür ihren Wert gut ist. Heinrich IV. ist recht eigentlich ein Stoff, der nur in den kühnsten und größten Zügen verkörpert werden kann, der weltgeschicht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/36>, abgerufen am 21.05.2024.