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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Feine

Neste des Femgerichts haben sich vielleicht noch in dem "Haberfeldtreiben"
erhalten, der bekannten Volksjustiz, die in Oberbaiern und Tirol an solchen
Personen geübt wird, deren Vergehen und Laster dem rächenden Arme der
Justiz unerreichbar sind: namentlich Geiz, Wucher, Betrug usw. Von der
geheimnisvollen Verbindung, die ihren Namen davon haben soll, daß gefallne
Mädchen früher von den Burschen des Dorfes unter Geißelhieben durch ein
Haberfeld getrieben oder Fcldmarkfrcvler ehemals mit Verwüstung ihrer Felder
bestraft wurden, und ihrem seltsamen Thun ist folgendes bekannt. Hat die
mißliebige Person trotz wiederholter Verwarnungen leine Besserung gezeigt, so
sammeln sich im Dunkel der Nacht um ihr Gehöft zahlreiche Vermummte und
Bewaffnete und rufen den Schuldigen ans Fenster oder an die Thür, die er
aber bei schwerer Leibesstrafe nicht überschreiten darf. Nachdem festgestellt ist,
daß das ganze Aufgebot der "Haderer" anwesend ist, verliest der Haberfeld¬
meister ein in Kuittelreimcn verfaßtes Sündenregister des Schuldigen, wobei
nach jeder Strophe die versammelte Schar ein von der greulichsten Katzenmusik
begleitetes Geheul und Gelächter anstimme. Ist die Vorlesung zu Ende, so
verschwinden die "Haderer" auf einen Pfiff des Anführers ebenso schnell, wie
sie erschienen siud. Ein andres Leid, außer der Pflicht, die Vorlesung mit
anzuhören, wird dem Schuldigen selten zugefügt.

Trotz energischen Einschreitens der Behörden ist dieser seltsame Brauch
noch nicht beseitigt, und noch im Herbst 1894 berichteten die Zeitungen von
vielfachen Haberfeldtreiben in Baiern. Wie wenig sich die Haderer aus allen
polizeilichen und kirchlichen Maßregeln macheu, und wie Wirtungslos sich der
damals gegen sie erlassene Hirtenbrief des Münchner Erzbischofs erweist,
geht aus dem Verhalten eines "Habererkomitees" in Holzkirchen hervor. Dort
wurde am Sonntag der Hirtenbrief von der Kanzel verlesen. Als Ardmore
darauf war drei Tage später an allen Straßenecken, Scheuncnthoren usw.
folgender gedruckte Anschlag zu lesen:

Bekanntmachung

Sonntag den 4. November ist. Jahres
Großes Haberfeldtreiben in nächster Nähe von Holzkirchen,
Bezirksamt Miesbach

Es wird eindringlichst gewarnt und darauf hingewiesen, daß das zuhörende
'Publikum und die Polizei in keiner Weise den Haberern oder der Vorpostenlinie
Zu nahe tritt, damit jedes größere oder kleinere Unglück vermieden bleibt. Da die
Haderer diesmal gegen derartige Verstöße energisch vorgehen werden, so wird es
daher unter keinen Umständen ausgeschlossen bleiben, daß nicht bloß wie in Miesbach
erica Gensdarmen der B. . . . weggeschossen würde, sondern auch viele Tote und
Schwerbctroffne vom Platze getragen werden müßten.


Das Geheime Komitee der Haderer


Die Feine

Neste des Femgerichts haben sich vielleicht noch in dem „Haberfeldtreiben"
erhalten, der bekannten Volksjustiz, die in Oberbaiern und Tirol an solchen
Personen geübt wird, deren Vergehen und Laster dem rächenden Arme der
Justiz unerreichbar sind: namentlich Geiz, Wucher, Betrug usw. Von der
geheimnisvollen Verbindung, die ihren Namen davon haben soll, daß gefallne
Mädchen früher von den Burschen des Dorfes unter Geißelhieben durch ein
Haberfeld getrieben oder Fcldmarkfrcvler ehemals mit Verwüstung ihrer Felder
bestraft wurden, und ihrem seltsamen Thun ist folgendes bekannt. Hat die
mißliebige Person trotz wiederholter Verwarnungen leine Besserung gezeigt, so
sammeln sich im Dunkel der Nacht um ihr Gehöft zahlreiche Vermummte und
Bewaffnete und rufen den Schuldigen ans Fenster oder an die Thür, die er
aber bei schwerer Leibesstrafe nicht überschreiten darf. Nachdem festgestellt ist,
daß das ganze Aufgebot der „Haderer" anwesend ist, verliest der Haberfeld¬
meister ein in Kuittelreimcn verfaßtes Sündenregister des Schuldigen, wobei
nach jeder Strophe die versammelte Schar ein von der greulichsten Katzenmusik
begleitetes Geheul und Gelächter anstimme. Ist die Vorlesung zu Ende, so
verschwinden die „Haderer" auf einen Pfiff des Anführers ebenso schnell, wie
sie erschienen siud. Ein andres Leid, außer der Pflicht, die Vorlesung mit
anzuhören, wird dem Schuldigen selten zugefügt.

Trotz energischen Einschreitens der Behörden ist dieser seltsame Brauch
noch nicht beseitigt, und noch im Herbst 1894 berichteten die Zeitungen von
vielfachen Haberfeldtreiben in Baiern. Wie wenig sich die Haderer aus allen
polizeilichen und kirchlichen Maßregeln macheu, und wie Wirtungslos sich der
damals gegen sie erlassene Hirtenbrief des Münchner Erzbischofs erweist,
geht aus dem Verhalten eines „Habererkomitees" in Holzkirchen hervor. Dort
wurde am Sonntag der Hirtenbrief von der Kanzel verlesen. Als Ardmore
darauf war drei Tage später an allen Straßenecken, Scheuncnthoren usw.
folgender gedruckte Anschlag zu lesen:

Bekanntmachung

Sonntag den 4. November ist. Jahres
Großes Haberfeldtreiben in nächster Nähe von Holzkirchen,
Bezirksamt Miesbach

Es wird eindringlichst gewarnt und darauf hingewiesen, daß das zuhörende
'Publikum und die Polizei in keiner Weise den Haberern oder der Vorpostenlinie
Zu nahe tritt, damit jedes größere oder kleinere Unglück vermieden bleibt. Da die
Haderer diesmal gegen derartige Verstöße energisch vorgehen werden, so wird es
daher unter keinen Umständen ausgeschlossen bleiben, daß nicht bloß wie in Miesbach
erica Gensdarmen der B. . . . weggeschossen würde, sondern auch viele Tote und
Schwerbctroffne vom Platze getragen werden müßten.


Das Geheime Komitee der Haderer


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[0371] Die Feine Neste des Femgerichts haben sich vielleicht noch in dem „Haberfeldtreiben" erhalten, der bekannten Volksjustiz, die in Oberbaiern und Tirol an solchen Personen geübt wird, deren Vergehen und Laster dem rächenden Arme der Justiz unerreichbar sind: namentlich Geiz, Wucher, Betrug usw. Von der geheimnisvollen Verbindung, die ihren Namen davon haben soll, daß gefallne Mädchen früher von den Burschen des Dorfes unter Geißelhieben durch ein Haberfeld getrieben oder Fcldmarkfrcvler ehemals mit Verwüstung ihrer Felder bestraft wurden, und ihrem seltsamen Thun ist folgendes bekannt. Hat die mißliebige Person trotz wiederholter Verwarnungen leine Besserung gezeigt, so sammeln sich im Dunkel der Nacht um ihr Gehöft zahlreiche Vermummte und Bewaffnete und rufen den Schuldigen ans Fenster oder an die Thür, die er aber bei schwerer Leibesstrafe nicht überschreiten darf. Nachdem festgestellt ist, daß das ganze Aufgebot der „Haderer" anwesend ist, verliest der Haberfeld¬ meister ein in Kuittelreimcn verfaßtes Sündenregister des Schuldigen, wobei nach jeder Strophe die versammelte Schar ein von der greulichsten Katzenmusik begleitetes Geheul und Gelächter anstimme. Ist die Vorlesung zu Ende, so verschwinden die „Haderer" auf einen Pfiff des Anführers ebenso schnell, wie sie erschienen siud. Ein andres Leid, außer der Pflicht, die Vorlesung mit anzuhören, wird dem Schuldigen selten zugefügt. Trotz energischen Einschreitens der Behörden ist dieser seltsame Brauch noch nicht beseitigt, und noch im Herbst 1894 berichteten die Zeitungen von vielfachen Haberfeldtreiben in Baiern. Wie wenig sich die Haderer aus allen polizeilichen und kirchlichen Maßregeln macheu, und wie Wirtungslos sich der damals gegen sie erlassene Hirtenbrief des Münchner Erzbischofs erweist, geht aus dem Verhalten eines „Habererkomitees" in Holzkirchen hervor. Dort wurde am Sonntag der Hirtenbrief von der Kanzel verlesen. Als Ardmore darauf war drei Tage später an allen Straßenecken, Scheuncnthoren usw. folgender gedruckte Anschlag zu lesen: Bekanntmachung Sonntag den 4. November ist. Jahres Großes Haberfeldtreiben in nächster Nähe von Holzkirchen, Bezirksamt Miesbach Es wird eindringlichst gewarnt und darauf hingewiesen, daß das zuhörende 'Publikum und die Polizei in keiner Weise den Haberern oder der Vorpostenlinie Zu nahe tritt, damit jedes größere oder kleinere Unglück vermieden bleibt. Da die Haderer diesmal gegen derartige Verstöße energisch vorgehen werden, so wird es daher unter keinen Umständen ausgeschlossen bleiben, daß nicht bloß wie in Miesbach erica Gensdarmen der B. . . . weggeschossen würde, sondern auch viele Tote und Schwerbctroffne vom Platze getragen werden müßten. Das Geheime Komitee der Haderer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/371>, abgerufen am 21.05.2024.