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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

Zentralvertretnngen," die einen wertvollen unmittelbaren Enblick in die Ver¬
hältnisse gestatten, wie sie sich in den Anschauungen unsrer bisher trefflich orga-
nisirten landwirtschaftlichen Vereine wiedergespiegelt haben. Auch beim Durch¬
lesen dieser Auszüge gewinnen wir den Eindruck, daß dieses Vereinsleben nicht
der Boden ist, wo die agrarische Unvernunft dauernd Wurzel fassen kann,
mögen auch die Schreier noch eine Weile den Verständigen den Mund ver¬
schließen. Doch ist es hier nicht möglich, näher darauf einzugehen. Wir müssen
uns darauf beschränken, über eine praktische Anregung aus dem schleswig¬
holsteinischen Vereinsleben zu berichten, die uns ganz besondre Beachtung zu
verdienen scheint.

Schon 1886 wird von da berichtet, die Erziehung sei bei dem heran¬
wachsenden Gesinde am ehesten mit Erfolg zu betreiben. Bei dem ältern Ge¬
sinde lasse sich zur Zeit wohl nichts andres thun, als vorhcmdne, als gutes
Beispiel dienende Leute auszuzeichnen und in besondrer Weise zu belohnen.
Um sich allmählich ein besseres Gesinde heranzuziehen, habe man besonders
den Mangel wirklich bestehender Vertrüge mit "jugendlichen" Dienstboten, die
man wohl auch als "Lehrlinge" bezeichnen dürfe, beklagt. Infolgedessen nähmen
sie teilweise eine viel freiere und uugebundnere Stellung als z. B. "Hand-
werkslehrliuge" ein. Man hat nun geglaubt, daß es Erfolg haben könnte,
wenn die Mehrzahl der Dienstherrschaften eines größern Bezirks sich zusammen
schlösse und verpflichtete, in Zukunft nur auf Grund bestimmter schriftlicher
Vertrüge ihr Gesinde, soweit es minderjährig ist, in Dienst zu nehmen.
1890 wurde das Statut eines "Vereins für Arbeitsnachweisung" beschlossen,
nach dem sich die Mitglieder verpflichten, "ihre Dienstboten zur Gottesfurcht,
Arbeitsamkeit, Ordnung und zu guten Sitten anzuhalten." Die Mitglieder
sind ferner verpflichtet, "den Dienstboten ausreichende Beköstigung zu geben
und ihnen ein Unterkommen zu gewähren, welches auch den in sittlicher Be¬
ziehung zu stellenden Anforderungen genügt." In demselben Bericht heißt es:
"Das einzige Mittel, der Verwilderung der Jugend abzuhelfen, liegt darin,
daß man den unerwachsenen Menschen eine Selbständigkeit, die notwendig zur
Zügellosigkeit führen muß, nicht länger einräumt, daß mau durch die Gesetz¬
gebung die Gcsindeordnung in der Weise abändert, daß das ganze Verhältnis
wieder auf eine sittliche Grundlage zurückgeführt wird, und daß für die Minder¬
jährigen an Stelle der jetzigen Gleichberechtigung ein Lehrlingsverhältsnis tritt."
Ohne gesetzliches Eingreifen werden unsers Erachtens private Verabredungen zu
solchen Zwecken selten dauernden Erfolg haben, aber der Gedanke, den jungen
Arbeitern in der Landwirtschaft -- wie übrigens auch in der Großindustrie --
einen ähnlichen Schutz zu gewähren wie den Handwerkslehrlingen, giebt zweifel¬
los die Richtung an, in der geholfen werden könnte. Das sozialpolitische
Interesse, das man an der gewerblichen Jugend nimmt, sticht schroff ab von
der Gleichgiltigkeit, die man dem landwirtschaftlichen Nachwuchs gegenüber


Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

Zentralvertretnngen," die einen wertvollen unmittelbaren Enblick in die Ver¬
hältnisse gestatten, wie sie sich in den Anschauungen unsrer bisher trefflich orga-
nisirten landwirtschaftlichen Vereine wiedergespiegelt haben. Auch beim Durch¬
lesen dieser Auszüge gewinnen wir den Eindruck, daß dieses Vereinsleben nicht
der Boden ist, wo die agrarische Unvernunft dauernd Wurzel fassen kann,
mögen auch die Schreier noch eine Weile den Verständigen den Mund ver¬
schließen. Doch ist es hier nicht möglich, näher darauf einzugehen. Wir müssen
uns darauf beschränken, über eine praktische Anregung aus dem schleswig¬
holsteinischen Vereinsleben zu berichten, die uns ganz besondre Beachtung zu
verdienen scheint.

Schon 1886 wird von da berichtet, die Erziehung sei bei dem heran¬
wachsenden Gesinde am ehesten mit Erfolg zu betreiben. Bei dem ältern Ge¬
sinde lasse sich zur Zeit wohl nichts andres thun, als vorhcmdne, als gutes
Beispiel dienende Leute auszuzeichnen und in besondrer Weise zu belohnen.
Um sich allmählich ein besseres Gesinde heranzuziehen, habe man besonders
den Mangel wirklich bestehender Vertrüge mit „jugendlichen" Dienstboten, die
man wohl auch als „Lehrlinge" bezeichnen dürfe, beklagt. Infolgedessen nähmen
sie teilweise eine viel freiere und uugebundnere Stellung als z. B. „Hand-
werkslehrliuge" ein. Man hat nun geglaubt, daß es Erfolg haben könnte,
wenn die Mehrzahl der Dienstherrschaften eines größern Bezirks sich zusammen
schlösse und verpflichtete, in Zukunft nur auf Grund bestimmter schriftlicher
Vertrüge ihr Gesinde, soweit es minderjährig ist, in Dienst zu nehmen.
1890 wurde das Statut eines „Vereins für Arbeitsnachweisung" beschlossen,
nach dem sich die Mitglieder verpflichten, „ihre Dienstboten zur Gottesfurcht,
Arbeitsamkeit, Ordnung und zu guten Sitten anzuhalten." Die Mitglieder
sind ferner verpflichtet, „den Dienstboten ausreichende Beköstigung zu geben
und ihnen ein Unterkommen zu gewähren, welches auch den in sittlicher Be¬
ziehung zu stellenden Anforderungen genügt." In demselben Bericht heißt es:
„Das einzige Mittel, der Verwilderung der Jugend abzuhelfen, liegt darin,
daß man den unerwachsenen Menschen eine Selbständigkeit, die notwendig zur
Zügellosigkeit führen muß, nicht länger einräumt, daß mau durch die Gesetz¬
gebung die Gcsindeordnung in der Weise abändert, daß das ganze Verhältnis
wieder auf eine sittliche Grundlage zurückgeführt wird, und daß für die Minder¬
jährigen an Stelle der jetzigen Gleichberechtigung ein Lehrlingsverhältsnis tritt."
Ohne gesetzliches Eingreifen werden unsers Erachtens private Verabredungen zu
solchen Zwecken selten dauernden Erfolg haben, aber der Gedanke, den jungen
Arbeitern in der Landwirtschaft — wie übrigens auch in der Großindustrie —
einen ähnlichen Schutz zu gewähren wie den Handwerkslehrlingen, giebt zweifel¬
los die Richtung an, in der geholfen werden könnte. Das sozialpolitische
Interesse, das man an der gewerblichen Jugend nimmt, sticht schroff ab von
der Gleichgiltigkeit, die man dem landwirtschaftlichen Nachwuchs gegenüber


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[0437] Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter Zentralvertretnngen," die einen wertvollen unmittelbaren Enblick in die Ver¬ hältnisse gestatten, wie sie sich in den Anschauungen unsrer bisher trefflich orga- nisirten landwirtschaftlichen Vereine wiedergespiegelt haben. Auch beim Durch¬ lesen dieser Auszüge gewinnen wir den Eindruck, daß dieses Vereinsleben nicht der Boden ist, wo die agrarische Unvernunft dauernd Wurzel fassen kann, mögen auch die Schreier noch eine Weile den Verständigen den Mund ver¬ schließen. Doch ist es hier nicht möglich, näher darauf einzugehen. Wir müssen uns darauf beschränken, über eine praktische Anregung aus dem schleswig¬ holsteinischen Vereinsleben zu berichten, die uns ganz besondre Beachtung zu verdienen scheint. Schon 1886 wird von da berichtet, die Erziehung sei bei dem heran¬ wachsenden Gesinde am ehesten mit Erfolg zu betreiben. Bei dem ältern Ge¬ sinde lasse sich zur Zeit wohl nichts andres thun, als vorhcmdne, als gutes Beispiel dienende Leute auszuzeichnen und in besondrer Weise zu belohnen. Um sich allmählich ein besseres Gesinde heranzuziehen, habe man besonders den Mangel wirklich bestehender Vertrüge mit „jugendlichen" Dienstboten, die man wohl auch als „Lehrlinge" bezeichnen dürfe, beklagt. Infolgedessen nähmen sie teilweise eine viel freiere und uugebundnere Stellung als z. B. „Hand- werkslehrliuge" ein. Man hat nun geglaubt, daß es Erfolg haben könnte, wenn die Mehrzahl der Dienstherrschaften eines größern Bezirks sich zusammen schlösse und verpflichtete, in Zukunft nur auf Grund bestimmter schriftlicher Vertrüge ihr Gesinde, soweit es minderjährig ist, in Dienst zu nehmen. 1890 wurde das Statut eines „Vereins für Arbeitsnachweisung" beschlossen, nach dem sich die Mitglieder verpflichten, „ihre Dienstboten zur Gottesfurcht, Arbeitsamkeit, Ordnung und zu guten Sitten anzuhalten." Die Mitglieder sind ferner verpflichtet, „den Dienstboten ausreichende Beköstigung zu geben und ihnen ein Unterkommen zu gewähren, welches auch den in sittlicher Be¬ ziehung zu stellenden Anforderungen genügt." In demselben Bericht heißt es: „Das einzige Mittel, der Verwilderung der Jugend abzuhelfen, liegt darin, daß man den unerwachsenen Menschen eine Selbständigkeit, die notwendig zur Zügellosigkeit führen muß, nicht länger einräumt, daß mau durch die Gesetz¬ gebung die Gcsindeordnung in der Weise abändert, daß das ganze Verhältnis wieder auf eine sittliche Grundlage zurückgeführt wird, und daß für die Minder¬ jährigen an Stelle der jetzigen Gleichberechtigung ein Lehrlingsverhältsnis tritt." Ohne gesetzliches Eingreifen werden unsers Erachtens private Verabredungen zu solchen Zwecken selten dauernden Erfolg haben, aber der Gedanke, den jungen Arbeitern in der Landwirtschaft — wie übrigens auch in der Großindustrie — einen ähnlichen Schutz zu gewähren wie den Handwerkslehrlingen, giebt zweifel¬ los die Richtung an, in der geholfen werden könnte. Das sozialpolitische Interesse, das man an der gewerblichen Jugend nimmt, sticht schroff ab von der Gleichgiltigkeit, die man dem landwirtschaftlichen Nachwuchs gegenüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/437>, abgerufen am 15.06.2024.