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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

bewahrt. Zum Teil ganz unnötigerweise zerbricht man sich den Kops über
die Organisation des Handwerks und die Regelung des Lehrlingswesens,
und kein Geheimrat und kein Assessor in den Ministerien denkt an die armen
Jungen und Mädchen, die in der Landwirtschaft verwahrlosen. Die Herren
Konservativen und vom Zentrum, die nun seit achtzehn Jahren das Handwerk
mit der Jnnungsfrage genasführt haben, thäten wahrhaftig wohl daran, ihr
laut genug betontes warmes Herz für die Landbevölkerung vorher durch gesetz¬
geberische Leistungen zu bethätigen, ehe sie sich wieder für Zwangsinnungen und
Befähigungsnachweis ins Zeug legten. Es würde keineswegs Hunderte von
Paragraphen erfordern, um das Verhältnis des landwirtschaftlichen Arbeit¬
gebers zum Arbeiter wenigstens vorläufig in solche Formen zu bringen, daß
die Erzieherpflicht der Herrschaft ebenso wie ihre Rechte praktisch zum Ausdruck
und uuter geeignete obrigkeitliche Kontrolle käme, und so vor allem einem ge¬
sunden patriarchalischen Dienstbotenverhältnis wieder das Übergewicht verschafft
würde. Hier thut Zwangsorganisation not, viel mehr als im Handwerk.
Hier lohnt es sich erziehend auf die Jugend einzuwirken gegen sozialdemokra-
tischen Narrheiten, hier gilt es einen gesunden, kräftigen, nach Millionen
zählenden Schlag Menschen, die ganze ländliche Arbeiterschaft der Zukunft, vor
dem Verkommen zu retten, sie der Heimat und ihnen wieder eine Heimat zu
gewinnen; hier gilt es die Ehre der ländliche" Arbeit endlich mich in denen
anzuerkennen, die sie als Arbeiter leisten. Wenn ein Bericht aus Schleswig-
Holstein aus den letzten Jahren sagt: "Von den Arbeitern wird es immer
bitter empfunden, daß fast durchweg die gewöhnliche Handarbeit eine Minder-
achtuug der Person herbeiführt, und daß allein der Besitz von Geld genügt,
um ein Ansehen der Person zu begründen," so sollen diesen Spruch die Grund¬
besitzer im Osten mit meterhohen Lettern in ihren Herren- und Bauernhäusern
um die Wand schreiben und ihn beherzigen in Haus, Hof und Feld. Sie
werden dann der Landwirtschaft zu größerer Ehre verhelfen, als durch das
Gezeter über die Börsenjobber, deren Millionen unter vornehm denkenden
Leuten die Ehre nicht erhöhen, wenn sie auch, leider immer häufiger, für
vornehm genug gehalten werden, die Wappenschilder agrarischer Sprößlinge
zu vergolden.




Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

bewahrt. Zum Teil ganz unnötigerweise zerbricht man sich den Kops über
die Organisation des Handwerks und die Regelung des Lehrlingswesens,
und kein Geheimrat und kein Assessor in den Ministerien denkt an die armen
Jungen und Mädchen, die in der Landwirtschaft verwahrlosen. Die Herren
Konservativen und vom Zentrum, die nun seit achtzehn Jahren das Handwerk
mit der Jnnungsfrage genasführt haben, thäten wahrhaftig wohl daran, ihr
laut genug betontes warmes Herz für die Landbevölkerung vorher durch gesetz¬
geberische Leistungen zu bethätigen, ehe sie sich wieder für Zwangsinnungen und
Befähigungsnachweis ins Zeug legten. Es würde keineswegs Hunderte von
Paragraphen erfordern, um das Verhältnis des landwirtschaftlichen Arbeit¬
gebers zum Arbeiter wenigstens vorläufig in solche Formen zu bringen, daß
die Erzieherpflicht der Herrschaft ebenso wie ihre Rechte praktisch zum Ausdruck
und uuter geeignete obrigkeitliche Kontrolle käme, und so vor allem einem ge¬
sunden patriarchalischen Dienstbotenverhältnis wieder das Übergewicht verschafft
würde. Hier thut Zwangsorganisation not, viel mehr als im Handwerk.
Hier lohnt es sich erziehend auf die Jugend einzuwirken gegen sozialdemokra-
tischen Narrheiten, hier gilt es einen gesunden, kräftigen, nach Millionen
zählenden Schlag Menschen, die ganze ländliche Arbeiterschaft der Zukunft, vor
dem Verkommen zu retten, sie der Heimat und ihnen wieder eine Heimat zu
gewinnen; hier gilt es die Ehre der ländliche» Arbeit endlich mich in denen
anzuerkennen, die sie als Arbeiter leisten. Wenn ein Bericht aus Schleswig-
Holstein aus den letzten Jahren sagt: „Von den Arbeitern wird es immer
bitter empfunden, daß fast durchweg die gewöhnliche Handarbeit eine Minder-
achtuug der Person herbeiführt, und daß allein der Besitz von Geld genügt,
um ein Ansehen der Person zu begründen," so sollen diesen Spruch die Grund¬
besitzer im Osten mit meterhohen Lettern in ihren Herren- und Bauernhäusern
um die Wand schreiben und ihn beherzigen in Haus, Hof und Feld. Sie
werden dann der Landwirtschaft zu größerer Ehre verhelfen, als durch das
Gezeter über die Börsenjobber, deren Millionen unter vornehm denkenden
Leuten die Ehre nicht erhöhen, wenn sie auch, leider immer häufiger, für
vornehm genug gehalten werden, die Wappenschilder agrarischer Sprößlinge
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[0438] Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter bewahrt. Zum Teil ganz unnötigerweise zerbricht man sich den Kops über die Organisation des Handwerks und die Regelung des Lehrlingswesens, und kein Geheimrat und kein Assessor in den Ministerien denkt an die armen Jungen und Mädchen, die in der Landwirtschaft verwahrlosen. Die Herren Konservativen und vom Zentrum, die nun seit achtzehn Jahren das Handwerk mit der Jnnungsfrage genasführt haben, thäten wahrhaftig wohl daran, ihr laut genug betontes warmes Herz für die Landbevölkerung vorher durch gesetz¬ geberische Leistungen zu bethätigen, ehe sie sich wieder für Zwangsinnungen und Befähigungsnachweis ins Zeug legten. Es würde keineswegs Hunderte von Paragraphen erfordern, um das Verhältnis des landwirtschaftlichen Arbeit¬ gebers zum Arbeiter wenigstens vorläufig in solche Formen zu bringen, daß die Erzieherpflicht der Herrschaft ebenso wie ihre Rechte praktisch zum Ausdruck und uuter geeignete obrigkeitliche Kontrolle käme, und so vor allem einem ge¬ sunden patriarchalischen Dienstbotenverhältnis wieder das Übergewicht verschafft würde. Hier thut Zwangsorganisation not, viel mehr als im Handwerk. Hier lohnt es sich erziehend auf die Jugend einzuwirken gegen sozialdemokra- tischen Narrheiten, hier gilt es einen gesunden, kräftigen, nach Millionen zählenden Schlag Menschen, die ganze ländliche Arbeiterschaft der Zukunft, vor dem Verkommen zu retten, sie der Heimat und ihnen wieder eine Heimat zu gewinnen; hier gilt es die Ehre der ländliche» Arbeit endlich mich in denen anzuerkennen, die sie als Arbeiter leisten. Wenn ein Bericht aus Schleswig- Holstein aus den letzten Jahren sagt: „Von den Arbeitern wird es immer bitter empfunden, daß fast durchweg die gewöhnliche Handarbeit eine Minder- achtuug der Person herbeiführt, und daß allein der Besitz von Geld genügt, um ein Ansehen der Person zu begründen," so sollen diesen Spruch die Grund¬ besitzer im Osten mit meterhohen Lettern in ihren Herren- und Bauernhäusern um die Wand schreiben und ihn beherzigen in Haus, Hof und Feld. Sie werden dann der Landwirtschaft zu größerer Ehre verhelfen, als durch das Gezeter über die Börsenjobber, deren Millionen unter vornehm denkenden Leuten die Ehre nicht erhöhen, wenn sie auch, leider immer häufiger, für vornehm genug gehalten werden, die Wappenschilder agrarischer Sprößlinge zu vergolden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/438>, abgerufen am 21.05.2024.