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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Essays

Hauer von dem guten Schriftsteller fordert, "mit gewöhnlichen Worten un¬
gewöhnliche Dinge" sagt, das heißt: in einer einfachen, sicher ihren Gegen¬
stand treffenden Sprache eigne und neue Auffassung giebt. "Vom Reichtum"
ist schon oft geschrieben worden, aber wie anziehend schildert hier ein welt¬
erfahrner Mann, woher es kommt, daß man heute wirklich für Geld alles
Vorhandne auch haben kann, während in frühern Zeiten die Güter nicht aus¬
genutzt werden konnten! Dabei bekommt man als Zugabe eine feine Psycho¬
logie des Geizes (ein Sieg des Gedankens über die Sinnlichkeit), und die her¬
kömmliche Ehrfurcht vor dem Reichtum wird durch ein köstliches kleines Er¬
lebnis geschildert: wie in einem wohlstehender Frankfurter Hause, als die
Mitglieder gerade beim Nachmittagskaffee sitzen, plötzlich Rothschild angemeldet
und nun im Handumdrehen ihm zu Ehren die ganze äußere Erscheinung
der aufgescheuchten Familie auf die höchste mögliche Stufe hinaufgeschraubt
wird und sich in dem ungewohnten Glänze so ungewöhnlich vorkommt, daß
schließlich der gefeierte vornehme Gast der einzige Unbefangne ist oder wenigstens
so zu thun versteht, als ob ers wäre. Ein ähnliches Thema behandelt ein
andrer Aufsatz. Der berühmte Sir John Lubbock hat eine Plauderei "Über
die Freuden des Lebens" geschrieben, sie kostet sieben Schilling und ist binnen
drei Jahren in sechzigtausend Exemplaren verkauft worden, weil in England
der hohe Adel und die hohe Finanz Bücher kaufen, auch ohne daran zu denken,
sie zu lesen, während in Deutschland nur der wenig kaufkräftige gebildete
Mittelstand Bücher anschafft. Das Büchlein ist nicht nur nicht ungewöhnlich,
sondern sogar recht oberflächlich; der Verfasser dieser Zeilen kaufte es auch
einmal, schenkte es aber dann jemandem, dessen Optimismus leichter auszu¬
färben war, als der seine. Gildemeister trifft den springenden Punkt mit der
einen Bemerkung, er müsse immer denken: Wie viel kostet das jährlich, Sir
Johns Freuden zu genießen? Mit andern Worten: wem so zu helfen ist,
dem geht es schon recht gut, und nun bekommen wir wirkliche Beobachtungen
über Genießen und dessen sachliche und persönliche Abstufungen, über Glück,
und wie vielerlei man darunter versteht, und die Ideale des berühmten Natur¬
forschers verflachen sich eins nach dem andern zu recht unwesentlichen Orna¬
menten. So zuletzt der Professorenhimmel Lubbocks, wo sich die Seligen an
der Lösung ihrer hienieden ungelöst gebliebner Probleme erfreuen, ohne sich
zu quälen, denn sie kämpfen nicht ums Dasein, oder sich zu langweilen, denu sie
beschäftigen sich ja, während sein schärfer denkender Beurteiler meint: entweder
wir gelangen erst nach Ablauf der Ewigkeit, also niemals, zur Erkenntnis der
vollen Wahrheit, dann sind wir nicht viel besser dran als hier, oder früher,
dann wäre wieder nichts gewonnen, denn was dann bis in alle Ewigkeit?
Lubbock meint: von vorn anfangen. Was mich hindert, sagt dagegen Gilde¬
meister, an die Möglichkeit einer ewigen Seligkeit in den Naturwissenschaften
zu glauben, das hindert mich auch, den Schulreformern Vertrauen zu schenken,


Essays

Hauer von dem guten Schriftsteller fordert, „mit gewöhnlichen Worten un¬
gewöhnliche Dinge" sagt, das heißt: in einer einfachen, sicher ihren Gegen¬
stand treffenden Sprache eigne und neue Auffassung giebt. „Vom Reichtum"
ist schon oft geschrieben worden, aber wie anziehend schildert hier ein welt¬
erfahrner Mann, woher es kommt, daß man heute wirklich für Geld alles
Vorhandne auch haben kann, während in frühern Zeiten die Güter nicht aus¬
genutzt werden konnten! Dabei bekommt man als Zugabe eine feine Psycho¬
logie des Geizes (ein Sieg des Gedankens über die Sinnlichkeit), und die her¬
kömmliche Ehrfurcht vor dem Reichtum wird durch ein köstliches kleines Er¬
lebnis geschildert: wie in einem wohlstehender Frankfurter Hause, als die
Mitglieder gerade beim Nachmittagskaffee sitzen, plötzlich Rothschild angemeldet
und nun im Handumdrehen ihm zu Ehren die ganze äußere Erscheinung
der aufgescheuchten Familie auf die höchste mögliche Stufe hinaufgeschraubt
wird und sich in dem ungewohnten Glänze so ungewöhnlich vorkommt, daß
schließlich der gefeierte vornehme Gast der einzige Unbefangne ist oder wenigstens
so zu thun versteht, als ob ers wäre. Ein ähnliches Thema behandelt ein
andrer Aufsatz. Der berühmte Sir John Lubbock hat eine Plauderei „Über
die Freuden des Lebens" geschrieben, sie kostet sieben Schilling und ist binnen
drei Jahren in sechzigtausend Exemplaren verkauft worden, weil in England
der hohe Adel und die hohe Finanz Bücher kaufen, auch ohne daran zu denken,
sie zu lesen, während in Deutschland nur der wenig kaufkräftige gebildete
Mittelstand Bücher anschafft. Das Büchlein ist nicht nur nicht ungewöhnlich,
sondern sogar recht oberflächlich; der Verfasser dieser Zeilen kaufte es auch
einmal, schenkte es aber dann jemandem, dessen Optimismus leichter auszu¬
färben war, als der seine. Gildemeister trifft den springenden Punkt mit der
einen Bemerkung, er müsse immer denken: Wie viel kostet das jährlich, Sir
Johns Freuden zu genießen? Mit andern Worten: wem so zu helfen ist,
dem geht es schon recht gut, und nun bekommen wir wirkliche Beobachtungen
über Genießen und dessen sachliche und persönliche Abstufungen, über Glück,
und wie vielerlei man darunter versteht, und die Ideale des berühmten Natur¬
forschers verflachen sich eins nach dem andern zu recht unwesentlichen Orna¬
menten. So zuletzt der Professorenhimmel Lubbocks, wo sich die Seligen an
der Lösung ihrer hienieden ungelöst gebliebner Probleme erfreuen, ohne sich
zu quälen, denn sie kämpfen nicht ums Dasein, oder sich zu langweilen, denu sie
beschäftigen sich ja, während sein schärfer denkender Beurteiler meint: entweder
wir gelangen erst nach Ablauf der Ewigkeit, also niemals, zur Erkenntnis der
vollen Wahrheit, dann sind wir nicht viel besser dran als hier, oder früher,
dann wäre wieder nichts gewonnen, denn was dann bis in alle Ewigkeit?
Lubbock meint: von vorn anfangen. Was mich hindert, sagt dagegen Gilde¬
meister, an die Möglichkeit einer ewigen Seligkeit in den Naturwissenschaften
zu glauben, das hindert mich auch, den Schulreformern Vertrauen zu schenken,


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[0046] Essays Hauer von dem guten Schriftsteller fordert, „mit gewöhnlichen Worten un¬ gewöhnliche Dinge" sagt, das heißt: in einer einfachen, sicher ihren Gegen¬ stand treffenden Sprache eigne und neue Auffassung giebt. „Vom Reichtum" ist schon oft geschrieben worden, aber wie anziehend schildert hier ein welt¬ erfahrner Mann, woher es kommt, daß man heute wirklich für Geld alles Vorhandne auch haben kann, während in frühern Zeiten die Güter nicht aus¬ genutzt werden konnten! Dabei bekommt man als Zugabe eine feine Psycho¬ logie des Geizes (ein Sieg des Gedankens über die Sinnlichkeit), und die her¬ kömmliche Ehrfurcht vor dem Reichtum wird durch ein köstliches kleines Er¬ lebnis geschildert: wie in einem wohlstehender Frankfurter Hause, als die Mitglieder gerade beim Nachmittagskaffee sitzen, plötzlich Rothschild angemeldet und nun im Handumdrehen ihm zu Ehren die ganze äußere Erscheinung der aufgescheuchten Familie auf die höchste mögliche Stufe hinaufgeschraubt wird und sich in dem ungewohnten Glänze so ungewöhnlich vorkommt, daß schließlich der gefeierte vornehme Gast der einzige Unbefangne ist oder wenigstens so zu thun versteht, als ob ers wäre. Ein ähnliches Thema behandelt ein andrer Aufsatz. Der berühmte Sir John Lubbock hat eine Plauderei „Über die Freuden des Lebens" geschrieben, sie kostet sieben Schilling und ist binnen drei Jahren in sechzigtausend Exemplaren verkauft worden, weil in England der hohe Adel und die hohe Finanz Bücher kaufen, auch ohne daran zu denken, sie zu lesen, während in Deutschland nur der wenig kaufkräftige gebildete Mittelstand Bücher anschafft. Das Büchlein ist nicht nur nicht ungewöhnlich, sondern sogar recht oberflächlich; der Verfasser dieser Zeilen kaufte es auch einmal, schenkte es aber dann jemandem, dessen Optimismus leichter auszu¬ färben war, als der seine. Gildemeister trifft den springenden Punkt mit der einen Bemerkung, er müsse immer denken: Wie viel kostet das jährlich, Sir Johns Freuden zu genießen? Mit andern Worten: wem so zu helfen ist, dem geht es schon recht gut, und nun bekommen wir wirkliche Beobachtungen über Genießen und dessen sachliche und persönliche Abstufungen, über Glück, und wie vielerlei man darunter versteht, und die Ideale des berühmten Natur¬ forschers verflachen sich eins nach dem andern zu recht unwesentlichen Orna¬ menten. So zuletzt der Professorenhimmel Lubbocks, wo sich die Seligen an der Lösung ihrer hienieden ungelöst gebliebner Probleme erfreuen, ohne sich zu quälen, denn sie kämpfen nicht ums Dasein, oder sich zu langweilen, denu sie beschäftigen sich ja, während sein schärfer denkender Beurteiler meint: entweder wir gelangen erst nach Ablauf der Ewigkeit, also niemals, zur Erkenntnis der vollen Wahrheit, dann sind wir nicht viel besser dran als hier, oder früher, dann wäre wieder nichts gewonnen, denn was dann bis in alle Ewigkeit? Lubbock meint: von vorn anfangen. Was mich hindert, sagt dagegen Gilde¬ meister, an die Möglichkeit einer ewigen Seligkeit in den Naturwissenschaften zu glauben, das hindert mich auch, den Schulreformern Vertrauen zu schenken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/46>, abgerufen am 21.05.2024.