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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

persönliche Veranlassungen, die dazu führen, und wer möchte z. B. gern zu¬
geben, daß ihm der höhere Lehrerstand unsympathisch ist, weil sich für viele
unliebsame Erinnerungen an die Schulzeit knüpfen, oder weil einzelne Glieder
dieses Standes unsanft in die Verhältnisse der Familien greifen und die Hoff¬
nung auf das Vorwärtskommen der Söhne herabstimmen mußten?

Dazu kommt noch ein zweites, was man in unsrer rasch lebenden und
rasch vergessenden Zeit leicht übersieht: der höhere Lehrerstand ist ein junger
Stand und hat keine eigentliche Standesgeschichte. In frühern Zeiten, wo es
fast keine Philologen und Mathematiker von Fach gab, stand er als Vorstufe
zum geistlichen Amte zwischen den Volksschullehrern und Pfarrern. Die meisten
Theologen gingen durch das höhere Lehramt hindurch. Wer tüchtig war, er¬
hielt eine Pfarrstelle. Wer diese aus irgend einem Grunde nicht erreichte,
blieb an der Schule sitzen. Ältere Leser werden sich gewiß noch an manchen
solchen ewigen ocmcl. ttisol. erinnern, der für die höhern Schulen eben gut
genug war. In manchen Ländern war es geradezu Vorschrift, daß die Theo¬
logen jahrelang an den Gymnasien philologischen Unterricht erteilen mußten,
ehe sie eine Pfarrstelle erhielten. Ich verweise nur auf Württemberg und
Siebenbürgen. Daraus ergab sich, vor allem für die ältern Gymnasiallehrer,
ihre soziale Stellung zwischen dem Volksschullehrer und dem zum Geistlichen
ausgerückten Theologen. Erst seitdem der höhere Lehrerstand nicht mehr eine
Stufe geblieben, sondern ein Stand geworden ist, hat sich hierin etwas ge¬
ändert. Aber es fehlt noch viel, daß dem gesamten Stande von der öffent¬
lichen Meinung die Stellung eingeräumt würde, die ihm gebührt.

Freilich, unverhüllt wird das nirgends ausgesprochen, aber aus dem
neuen preußischen Etatentwurf geht es wieder deutlich hervor: die Unbe¬
liebtheit und die geringe soziale Wertschätzung des höhern Lehrerstandes sind
immer noch Gemeingut der öffentlichen Meinung. Der höhere Lehrerstand
hat nur den leidigen Trost, daß es den technischen Beamten, die nach der
Maturitätsprüfung das Polytechnikum besucht haben, auch nicht besser ergeht.
Wie heute die Dinge liegen, wird die Hoffnung alle Tage geringer, daß es
gelingen werde, ähnliche Behandlung und Besoldung zu erlangen, wie die
Juristen, geschweige denn, einmal eine eigne Verwaltung aus lauter Fach¬
männern zu erhalten. Dem höhern Lehrcrstande, der so naiv war, die Ein¬
lösung früherer Versprechungen auch jetzt noch zu erwarten, werden diese mit
immer deutlicheren Worten abgeschlagen, und dabei werden, damit man doch
nicht bloß das Nein höre, auch einige Gründe vorgebracht, die manches für
sich zu haben scheinen, wenn man die Dinge oberflächlich betrachtet.

Vor allen Dingen sind es zwei Einwürfe, die uns bei Erstrebung besserer
Verhältnisse gewöhnlich entgegengehalten werden: die größere Ausdehnung der
Freizeit (Ferien) und die größere Möglichkeit, durch Nebenarbeit unser Ein¬
kommen zu gewünschter Höhe zu ergänzen.


Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

persönliche Veranlassungen, die dazu führen, und wer möchte z. B. gern zu¬
geben, daß ihm der höhere Lehrerstand unsympathisch ist, weil sich für viele
unliebsame Erinnerungen an die Schulzeit knüpfen, oder weil einzelne Glieder
dieses Standes unsanft in die Verhältnisse der Familien greifen und die Hoff¬
nung auf das Vorwärtskommen der Söhne herabstimmen mußten?

Dazu kommt noch ein zweites, was man in unsrer rasch lebenden und
rasch vergessenden Zeit leicht übersieht: der höhere Lehrerstand ist ein junger
Stand und hat keine eigentliche Standesgeschichte. In frühern Zeiten, wo es
fast keine Philologen und Mathematiker von Fach gab, stand er als Vorstufe
zum geistlichen Amte zwischen den Volksschullehrern und Pfarrern. Die meisten
Theologen gingen durch das höhere Lehramt hindurch. Wer tüchtig war, er¬
hielt eine Pfarrstelle. Wer diese aus irgend einem Grunde nicht erreichte,
blieb an der Schule sitzen. Ältere Leser werden sich gewiß noch an manchen
solchen ewigen ocmcl. ttisol. erinnern, der für die höhern Schulen eben gut
genug war. In manchen Ländern war es geradezu Vorschrift, daß die Theo¬
logen jahrelang an den Gymnasien philologischen Unterricht erteilen mußten,
ehe sie eine Pfarrstelle erhielten. Ich verweise nur auf Württemberg und
Siebenbürgen. Daraus ergab sich, vor allem für die ältern Gymnasiallehrer,
ihre soziale Stellung zwischen dem Volksschullehrer und dem zum Geistlichen
ausgerückten Theologen. Erst seitdem der höhere Lehrerstand nicht mehr eine
Stufe geblieben, sondern ein Stand geworden ist, hat sich hierin etwas ge¬
ändert. Aber es fehlt noch viel, daß dem gesamten Stande von der öffent¬
lichen Meinung die Stellung eingeräumt würde, die ihm gebührt.

Freilich, unverhüllt wird das nirgends ausgesprochen, aber aus dem
neuen preußischen Etatentwurf geht es wieder deutlich hervor: die Unbe¬
liebtheit und die geringe soziale Wertschätzung des höhern Lehrerstandes sind
immer noch Gemeingut der öffentlichen Meinung. Der höhere Lehrerstand
hat nur den leidigen Trost, daß es den technischen Beamten, die nach der
Maturitätsprüfung das Polytechnikum besucht haben, auch nicht besser ergeht.
Wie heute die Dinge liegen, wird die Hoffnung alle Tage geringer, daß es
gelingen werde, ähnliche Behandlung und Besoldung zu erlangen, wie die
Juristen, geschweige denn, einmal eine eigne Verwaltung aus lauter Fach¬
männern zu erhalten. Dem höhern Lehrcrstande, der so naiv war, die Ein¬
lösung früherer Versprechungen auch jetzt noch zu erwarten, werden diese mit
immer deutlicheren Worten abgeschlagen, und dabei werden, damit man doch
nicht bloß das Nein höre, auch einige Gründe vorgebracht, die manches für
sich zu haben scheinen, wenn man die Dinge oberflächlich betrachtet.

Vor allen Dingen sind es zwei Einwürfe, die uns bei Erstrebung besserer
Verhältnisse gewöhnlich entgegengehalten werden: die größere Ausdehnung der
Freizeit (Ferien) und die größere Möglichkeit, durch Nebenarbeit unser Ein¬
kommen zu gewünschter Höhe zu ergänzen.


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[0488] Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes persönliche Veranlassungen, die dazu führen, und wer möchte z. B. gern zu¬ geben, daß ihm der höhere Lehrerstand unsympathisch ist, weil sich für viele unliebsame Erinnerungen an die Schulzeit knüpfen, oder weil einzelne Glieder dieses Standes unsanft in die Verhältnisse der Familien greifen und die Hoff¬ nung auf das Vorwärtskommen der Söhne herabstimmen mußten? Dazu kommt noch ein zweites, was man in unsrer rasch lebenden und rasch vergessenden Zeit leicht übersieht: der höhere Lehrerstand ist ein junger Stand und hat keine eigentliche Standesgeschichte. In frühern Zeiten, wo es fast keine Philologen und Mathematiker von Fach gab, stand er als Vorstufe zum geistlichen Amte zwischen den Volksschullehrern und Pfarrern. Die meisten Theologen gingen durch das höhere Lehramt hindurch. Wer tüchtig war, er¬ hielt eine Pfarrstelle. Wer diese aus irgend einem Grunde nicht erreichte, blieb an der Schule sitzen. Ältere Leser werden sich gewiß noch an manchen solchen ewigen ocmcl. ttisol. erinnern, der für die höhern Schulen eben gut genug war. In manchen Ländern war es geradezu Vorschrift, daß die Theo¬ logen jahrelang an den Gymnasien philologischen Unterricht erteilen mußten, ehe sie eine Pfarrstelle erhielten. Ich verweise nur auf Württemberg und Siebenbürgen. Daraus ergab sich, vor allem für die ältern Gymnasiallehrer, ihre soziale Stellung zwischen dem Volksschullehrer und dem zum Geistlichen ausgerückten Theologen. Erst seitdem der höhere Lehrerstand nicht mehr eine Stufe geblieben, sondern ein Stand geworden ist, hat sich hierin etwas ge¬ ändert. Aber es fehlt noch viel, daß dem gesamten Stande von der öffent¬ lichen Meinung die Stellung eingeräumt würde, die ihm gebührt. Freilich, unverhüllt wird das nirgends ausgesprochen, aber aus dem neuen preußischen Etatentwurf geht es wieder deutlich hervor: die Unbe¬ liebtheit und die geringe soziale Wertschätzung des höhern Lehrerstandes sind immer noch Gemeingut der öffentlichen Meinung. Der höhere Lehrerstand hat nur den leidigen Trost, daß es den technischen Beamten, die nach der Maturitätsprüfung das Polytechnikum besucht haben, auch nicht besser ergeht. Wie heute die Dinge liegen, wird die Hoffnung alle Tage geringer, daß es gelingen werde, ähnliche Behandlung und Besoldung zu erlangen, wie die Juristen, geschweige denn, einmal eine eigne Verwaltung aus lauter Fach¬ männern zu erhalten. Dem höhern Lehrcrstande, der so naiv war, die Ein¬ lösung früherer Versprechungen auch jetzt noch zu erwarten, werden diese mit immer deutlicheren Worten abgeschlagen, und dabei werden, damit man doch nicht bloß das Nein höre, auch einige Gründe vorgebracht, die manches für sich zu haben scheinen, wenn man die Dinge oberflächlich betrachtet. Vor allen Dingen sind es zwei Einwürfe, die uns bei Erstrebung besserer Verhältnisse gewöhnlich entgegengehalten werden: die größere Ausdehnung der Freizeit (Ferien) und die größere Möglichkeit, durch Nebenarbeit unser Ein¬ kommen zu gewünschter Höhe zu ergänzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/488>, abgerufen am 21.09.2024.