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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

Vorzug der ritterlichen Waffen und des Ritters entstanden war, verschwand
auch der Vorzug selbst."

Nun sank der Adel unaufhaltsam; er war überflüssig und entbehrlich
geworden. Im Nordosten ergriff er die Landwirtschaft als Beruf; beim
Lehnsaufgebot kam er nicht mehr persönlich, sondern sandte als Stellvertreter
Kutscher und Fischer, Schuster, Schneider, Schulmeister "und andre Hand¬
werker" auf elenden Kleppern. Dem entsprach es, wenn die Fürsten solchem
Lehnsaufgebot die Ablösung des Dienstes in Geldsummen vorzogen und dafür
Söldner annahmen oder sich von ihren Stünden Söldner in ng-wrg, stellen
ließen. Nun wurde die Hauptsache für die Landesherren, das zur Bezahlung
der Söldner nötige Geld zusammenzubringen, denn die Nichterfüllung des
Kriegsvertrags von der einen Seite entband auch den andern Vertrag¬
schließenden seiner eingegangnen Verpflichtung. Das war nun aber der
schwache Punkt. Das Geld war oft nicht aufzutreiben, die Zahlung erfolgte
saumselig, und so ist die Meuterei das chronische Gebrechen der Söldner¬
heere. Ihre Anführer sind nur zu geneigt, ihre Macht gegen ihren Auftrag¬
geber zu benutzen, unter irgend einem Vorwand ihm Zugeständnisse abzutrotzen
und als Macht gegen Macht mit ihm zu verhandeln.

So lange der Fürst bei der Aufbringung der Mittel von den Ständen
abhängig war, so lange war an eine gründliche Besserung dieser Verhältnisse
nicht zu denken, den Ständen fehlte noch alles politische Verständnis; meist
ließen sie sich nur von Eifersucht gegen die Macht des Fürsten und von kurz¬
sichtiger Sparsamkeit leiten. Den gewöhnlichen Verlauf der Dinge schildert
Stenzel in seiner preußischen Geschichte: "Wenn der Feind an der Grenze
stand, eilte man, die Landstände zu versammeln, die die kostbare Zeit in un-
fruchtbaren Verhandlungen und gegenseitigen Beschwerden verschwendeten, weil
jeder die größte Last dem andern aufbürden wollte, und alle lieber gar nichts
thaten, sich auch gern durch leere Versicherungen des Friedens beruhigen ließen.
Fiel dann der Krieg mit allem seinen damals wirklich grenzenlosen Elend über
das Land, so büßte dasselbe hart, litt und zahlte nun tausendmal mehr, als
eine tüchtige Verteidigungsanstalt gekostet haben würde."

Nun war erst das Elend vollkommen; die Kriegerkaste war eine ver¬
worfne Klasse Menschen, die außerhalb des Volks und außerhalb des Staates
stand; keine gemeinsamen Interessen waren mehr vorhanden. Geld, gutes
Leben, Beute, darum dreht sich schließlich alles; die Heere erhalten sich selbst,
wenn sie stark genug sind. Die Hauptsache des Landesherrn ist, sie in Feindes
Land zu bringen und, sobald man sie nicht mehr braucht, wieder loszuwerden.
Besondre Leistungen, wie z. V. ein Sturm, werden besonders bezahlt, ein
Anteil an der Beute ist ihr Recht. Ihre Führer siud um nichts besser, nur gehen
ihre Erpressungen mehr ins Große, sie erwerben Güter und Herrschaften. Im
ganzen lebt man von Raub und Plünderung; Georg Frundsberg sagt schon


Grenzboten I IM? 72
Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

Vorzug der ritterlichen Waffen und des Ritters entstanden war, verschwand
auch der Vorzug selbst."

Nun sank der Adel unaufhaltsam; er war überflüssig und entbehrlich
geworden. Im Nordosten ergriff er die Landwirtschaft als Beruf; beim
Lehnsaufgebot kam er nicht mehr persönlich, sondern sandte als Stellvertreter
Kutscher und Fischer, Schuster, Schneider, Schulmeister „und andre Hand¬
werker" auf elenden Kleppern. Dem entsprach es, wenn die Fürsten solchem
Lehnsaufgebot die Ablösung des Dienstes in Geldsummen vorzogen und dafür
Söldner annahmen oder sich von ihren Stünden Söldner in ng-wrg, stellen
ließen. Nun wurde die Hauptsache für die Landesherren, das zur Bezahlung
der Söldner nötige Geld zusammenzubringen, denn die Nichterfüllung des
Kriegsvertrags von der einen Seite entband auch den andern Vertrag¬
schließenden seiner eingegangnen Verpflichtung. Das war nun aber der
schwache Punkt. Das Geld war oft nicht aufzutreiben, die Zahlung erfolgte
saumselig, und so ist die Meuterei das chronische Gebrechen der Söldner¬
heere. Ihre Anführer sind nur zu geneigt, ihre Macht gegen ihren Auftrag¬
geber zu benutzen, unter irgend einem Vorwand ihm Zugeständnisse abzutrotzen
und als Macht gegen Macht mit ihm zu verhandeln.

So lange der Fürst bei der Aufbringung der Mittel von den Ständen
abhängig war, so lange war an eine gründliche Besserung dieser Verhältnisse
nicht zu denken, den Ständen fehlte noch alles politische Verständnis; meist
ließen sie sich nur von Eifersucht gegen die Macht des Fürsten und von kurz¬
sichtiger Sparsamkeit leiten. Den gewöhnlichen Verlauf der Dinge schildert
Stenzel in seiner preußischen Geschichte: „Wenn der Feind an der Grenze
stand, eilte man, die Landstände zu versammeln, die die kostbare Zeit in un-
fruchtbaren Verhandlungen und gegenseitigen Beschwerden verschwendeten, weil
jeder die größte Last dem andern aufbürden wollte, und alle lieber gar nichts
thaten, sich auch gern durch leere Versicherungen des Friedens beruhigen ließen.
Fiel dann der Krieg mit allem seinen damals wirklich grenzenlosen Elend über
das Land, so büßte dasselbe hart, litt und zahlte nun tausendmal mehr, als
eine tüchtige Verteidigungsanstalt gekostet haben würde."

Nun war erst das Elend vollkommen; die Kriegerkaste war eine ver¬
worfne Klasse Menschen, die außerhalb des Volks und außerhalb des Staates
stand; keine gemeinsamen Interessen waren mehr vorhanden. Geld, gutes
Leben, Beute, darum dreht sich schließlich alles; die Heere erhalten sich selbst,
wenn sie stark genug sind. Die Hauptsache des Landesherrn ist, sie in Feindes
Land zu bringen und, sobald man sie nicht mehr braucht, wieder loszuwerden.
Besondre Leistungen, wie z. V. ein Sturm, werden besonders bezahlt, ein
Anteil an der Beute ist ihr Recht. Ihre Führer siud um nichts besser, nur gehen
ihre Erpressungen mehr ins Große, sie erwerben Güter und Herrschaften. Im
ganzen lebt man von Raub und Plünderung; Georg Frundsberg sagt schon


Grenzboten I IM? 72
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[0577] Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik Vorzug der ritterlichen Waffen und des Ritters entstanden war, verschwand auch der Vorzug selbst." Nun sank der Adel unaufhaltsam; er war überflüssig und entbehrlich geworden. Im Nordosten ergriff er die Landwirtschaft als Beruf; beim Lehnsaufgebot kam er nicht mehr persönlich, sondern sandte als Stellvertreter Kutscher und Fischer, Schuster, Schneider, Schulmeister „und andre Hand¬ werker" auf elenden Kleppern. Dem entsprach es, wenn die Fürsten solchem Lehnsaufgebot die Ablösung des Dienstes in Geldsummen vorzogen und dafür Söldner annahmen oder sich von ihren Stünden Söldner in ng-wrg, stellen ließen. Nun wurde die Hauptsache für die Landesherren, das zur Bezahlung der Söldner nötige Geld zusammenzubringen, denn die Nichterfüllung des Kriegsvertrags von der einen Seite entband auch den andern Vertrag¬ schließenden seiner eingegangnen Verpflichtung. Das war nun aber der schwache Punkt. Das Geld war oft nicht aufzutreiben, die Zahlung erfolgte saumselig, und so ist die Meuterei das chronische Gebrechen der Söldner¬ heere. Ihre Anführer sind nur zu geneigt, ihre Macht gegen ihren Auftrag¬ geber zu benutzen, unter irgend einem Vorwand ihm Zugeständnisse abzutrotzen und als Macht gegen Macht mit ihm zu verhandeln. So lange der Fürst bei der Aufbringung der Mittel von den Ständen abhängig war, so lange war an eine gründliche Besserung dieser Verhältnisse nicht zu denken, den Ständen fehlte noch alles politische Verständnis; meist ließen sie sich nur von Eifersucht gegen die Macht des Fürsten und von kurz¬ sichtiger Sparsamkeit leiten. Den gewöhnlichen Verlauf der Dinge schildert Stenzel in seiner preußischen Geschichte: „Wenn der Feind an der Grenze stand, eilte man, die Landstände zu versammeln, die die kostbare Zeit in un- fruchtbaren Verhandlungen und gegenseitigen Beschwerden verschwendeten, weil jeder die größte Last dem andern aufbürden wollte, und alle lieber gar nichts thaten, sich auch gern durch leere Versicherungen des Friedens beruhigen ließen. Fiel dann der Krieg mit allem seinen damals wirklich grenzenlosen Elend über das Land, so büßte dasselbe hart, litt und zahlte nun tausendmal mehr, als eine tüchtige Verteidigungsanstalt gekostet haben würde." Nun war erst das Elend vollkommen; die Kriegerkaste war eine ver¬ worfne Klasse Menschen, die außerhalb des Volks und außerhalb des Staates stand; keine gemeinsamen Interessen waren mehr vorhanden. Geld, gutes Leben, Beute, darum dreht sich schließlich alles; die Heere erhalten sich selbst, wenn sie stark genug sind. Die Hauptsache des Landesherrn ist, sie in Feindes Land zu bringen und, sobald man sie nicht mehr braucht, wieder loszuwerden. Besondre Leistungen, wie z. V. ein Sturm, werden besonders bezahlt, ein Anteil an der Beute ist ihr Recht. Ihre Führer siud um nichts besser, nur gehen ihre Erpressungen mehr ins Große, sie erwerben Güter und Herrschaften. Im ganzen lebt man von Raub und Plünderung; Georg Frundsberg sagt schon Grenzboten I IM? 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/577>, abgerufen am 22.05.2024.