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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der verfall des historischen Romans

sie denn Dichtung ist, in der Reihe der hier aufgezählten mehr oder minder
verfehlten Anläufe auch nur genannt wird. Daß es dem Dichter nicht an
belebender, namentlich nicht an malerischer Phantasie fehlt, daß er sich in ver¬
gangne Tage zurückzuversetzen und ihnen das abzugewinnen versteht, was auch
für uns noch Leben ist, das hat er wiederholt erwiesen, und wir haben es
gebührend anerkannt. Auch wird kein Leser dieser "Hohenstaufen," der sich
etwa nur den prächtigen, gefühls- und farbenfrischen Anfang des Buches, den
Eintritt Manfrids von Temringen in Frankfurt, seine Erlebnisse im Hause
zum Kranich und seine Verlobung mit Eckwinde Hartmuot und dann die letzte
Szene der Heimkehr des fahrenden Ritters, nachdem alle Staufer dahingegangen
sind, oder auch manche andre Episode vor Augen ruft, an der Möglichkeit
zweifeln, daß der Dichter aus jedem Hauptteile seines aus Dichtung und Geschichte
zusammen gewöhnen Buches einen wirklichen historischen Roman hätte schaffen
können. Auch die Möglichkeit, den weitgespannten Rahmen, der vom Tode
Kaiser Friedrichs II. bis zur Hinrichtung Kvnradins reicht, mit vollem aus¬
gereiften poetischem Leben zu erfüllen, läßt sich nicht in Abrede stellen. Aber
Imsen hat eben eine Zwitterform, die er Dichtung und Geschichte nennt, und
in der die lebendige Darstellung nur die eine Hälfte bildet, der wirklichen
Ausgestaltung seiner Erfindung zu einem großen epischen Werke vorgezogen.
Der Grund hierfür liegt doch wohl darin, daß ein Roman, der über die
Zeiten Konrads IV., Manfreds und Konradins hinweg spielt, die Geschicke
König Enzivs mit einschließt, dem Verfasser zu riesenhaft und allzusehr an
"Amadis von Gaula" oder den "Großen Chrns" erinnernd erschienen ist.
Auch hat er vielleicht gemeint, die verbindenden historischen Relationen würden
in dieser Knappheit und Schlichtheit eindringlicher wirken als ihre romanhafte
Einkleidung. Wie sich aber seine "Hohenstaufen" darstellen, hinterlassen sie
den Eindruck, als ob der Verfasser ein geplantes großes episches Gedicht statt
in Oktaven in Prosa ausgeführt hätte. Der historische Roman ist wieder um
eine Zwittcrgattung reicher. Allerdings ist die Einschaltung bloß berichtender
Teile eine alte Unart der historischen Romanschreiber. Aber zu einem Prinzip,
zu einer besondern Abart ist die Mischung poetisch ausgeführter Teile und
historischer Abrisse doch noch nicht erhoben worden. Auch beginnt die Gefahr
nicht da, wo der Stümper, dem der poetische Atem ausgeht, in den Stil des
Chronisten verfällt, sondern wo der Meister die geschlossene Form, die lebendige
Verkörperung aufgiebt und als berechtigt, ja vielleicht gar als einen Fortschritt
erachtet. Und doch können Jensens "Hohenstaufen" wie alle halb ausgereiften
Kunstwerke lediglich skizzenhaft anregend wirken. Das Beste an einer Skizze
ist, daß sie über sich hinausweist und das Bild, das in ihr verborgen ist,
ahnen läßt. Ähnlich empfinden wir gewissen Partien des Jensenschen Werks
gegenüber. Es ist völlig in die Hand des Dichters, des Künstlers überhaupt
gegeben, wie weit er seinen Entwurf ausdehnen, wie eng er ihn znsammen-


Grenzboten I 1897 12
Der verfall des historischen Romans

sie denn Dichtung ist, in der Reihe der hier aufgezählten mehr oder minder
verfehlten Anläufe auch nur genannt wird. Daß es dem Dichter nicht an
belebender, namentlich nicht an malerischer Phantasie fehlt, daß er sich in ver¬
gangne Tage zurückzuversetzen und ihnen das abzugewinnen versteht, was auch
für uns noch Leben ist, das hat er wiederholt erwiesen, und wir haben es
gebührend anerkannt. Auch wird kein Leser dieser „Hohenstaufen," der sich
etwa nur den prächtigen, gefühls- und farbenfrischen Anfang des Buches, den
Eintritt Manfrids von Temringen in Frankfurt, seine Erlebnisse im Hause
zum Kranich und seine Verlobung mit Eckwinde Hartmuot und dann die letzte
Szene der Heimkehr des fahrenden Ritters, nachdem alle Staufer dahingegangen
sind, oder auch manche andre Episode vor Augen ruft, an der Möglichkeit
zweifeln, daß der Dichter aus jedem Hauptteile seines aus Dichtung und Geschichte
zusammen gewöhnen Buches einen wirklichen historischen Roman hätte schaffen
können. Auch die Möglichkeit, den weitgespannten Rahmen, der vom Tode
Kaiser Friedrichs II. bis zur Hinrichtung Kvnradins reicht, mit vollem aus¬
gereiften poetischem Leben zu erfüllen, läßt sich nicht in Abrede stellen. Aber
Imsen hat eben eine Zwitterform, die er Dichtung und Geschichte nennt, und
in der die lebendige Darstellung nur die eine Hälfte bildet, der wirklichen
Ausgestaltung seiner Erfindung zu einem großen epischen Werke vorgezogen.
Der Grund hierfür liegt doch wohl darin, daß ein Roman, der über die
Zeiten Konrads IV., Manfreds und Konradins hinweg spielt, die Geschicke
König Enzivs mit einschließt, dem Verfasser zu riesenhaft und allzusehr an
„Amadis von Gaula" oder den „Großen Chrns" erinnernd erschienen ist.
Auch hat er vielleicht gemeint, die verbindenden historischen Relationen würden
in dieser Knappheit und Schlichtheit eindringlicher wirken als ihre romanhafte
Einkleidung. Wie sich aber seine „Hohenstaufen" darstellen, hinterlassen sie
den Eindruck, als ob der Verfasser ein geplantes großes episches Gedicht statt
in Oktaven in Prosa ausgeführt hätte. Der historische Roman ist wieder um
eine Zwittcrgattung reicher. Allerdings ist die Einschaltung bloß berichtender
Teile eine alte Unart der historischen Romanschreiber. Aber zu einem Prinzip,
zu einer besondern Abart ist die Mischung poetisch ausgeführter Teile und
historischer Abrisse doch noch nicht erhoben worden. Auch beginnt die Gefahr
nicht da, wo der Stümper, dem der poetische Atem ausgeht, in den Stil des
Chronisten verfällt, sondern wo der Meister die geschlossene Form, die lebendige
Verkörperung aufgiebt und als berechtigt, ja vielleicht gar als einen Fortschritt
erachtet. Und doch können Jensens „Hohenstaufen" wie alle halb ausgereiften
Kunstwerke lediglich skizzenhaft anregend wirken. Das Beste an einer Skizze
ist, daß sie über sich hinausweist und das Bild, das in ihr verborgen ist,
ahnen läßt. Ähnlich empfinden wir gewissen Partien des Jensenschen Werks
gegenüber. Es ist völlig in die Hand des Dichters, des Künstlers überhaupt
gegeben, wie weit er seinen Entwurf ausdehnen, wie eng er ihn znsammen-


Grenzboten I 1897 12
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[0097] Der verfall des historischen Romans sie denn Dichtung ist, in der Reihe der hier aufgezählten mehr oder minder verfehlten Anläufe auch nur genannt wird. Daß es dem Dichter nicht an belebender, namentlich nicht an malerischer Phantasie fehlt, daß er sich in ver¬ gangne Tage zurückzuversetzen und ihnen das abzugewinnen versteht, was auch für uns noch Leben ist, das hat er wiederholt erwiesen, und wir haben es gebührend anerkannt. Auch wird kein Leser dieser „Hohenstaufen," der sich etwa nur den prächtigen, gefühls- und farbenfrischen Anfang des Buches, den Eintritt Manfrids von Temringen in Frankfurt, seine Erlebnisse im Hause zum Kranich und seine Verlobung mit Eckwinde Hartmuot und dann die letzte Szene der Heimkehr des fahrenden Ritters, nachdem alle Staufer dahingegangen sind, oder auch manche andre Episode vor Augen ruft, an der Möglichkeit zweifeln, daß der Dichter aus jedem Hauptteile seines aus Dichtung und Geschichte zusammen gewöhnen Buches einen wirklichen historischen Roman hätte schaffen können. Auch die Möglichkeit, den weitgespannten Rahmen, der vom Tode Kaiser Friedrichs II. bis zur Hinrichtung Kvnradins reicht, mit vollem aus¬ gereiften poetischem Leben zu erfüllen, läßt sich nicht in Abrede stellen. Aber Imsen hat eben eine Zwitterform, die er Dichtung und Geschichte nennt, und in der die lebendige Darstellung nur die eine Hälfte bildet, der wirklichen Ausgestaltung seiner Erfindung zu einem großen epischen Werke vorgezogen. Der Grund hierfür liegt doch wohl darin, daß ein Roman, der über die Zeiten Konrads IV., Manfreds und Konradins hinweg spielt, die Geschicke König Enzivs mit einschließt, dem Verfasser zu riesenhaft und allzusehr an „Amadis von Gaula" oder den „Großen Chrns" erinnernd erschienen ist. Auch hat er vielleicht gemeint, die verbindenden historischen Relationen würden in dieser Knappheit und Schlichtheit eindringlicher wirken als ihre romanhafte Einkleidung. Wie sich aber seine „Hohenstaufen" darstellen, hinterlassen sie den Eindruck, als ob der Verfasser ein geplantes großes episches Gedicht statt in Oktaven in Prosa ausgeführt hätte. Der historische Roman ist wieder um eine Zwittcrgattung reicher. Allerdings ist die Einschaltung bloß berichtender Teile eine alte Unart der historischen Romanschreiber. Aber zu einem Prinzip, zu einer besondern Abart ist die Mischung poetisch ausgeführter Teile und historischer Abrisse doch noch nicht erhoben worden. Auch beginnt die Gefahr nicht da, wo der Stümper, dem der poetische Atem ausgeht, in den Stil des Chronisten verfällt, sondern wo der Meister die geschlossene Form, die lebendige Verkörperung aufgiebt und als berechtigt, ja vielleicht gar als einen Fortschritt erachtet. Und doch können Jensens „Hohenstaufen" wie alle halb ausgereiften Kunstwerke lediglich skizzenhaft anregend wirken. Das Beste an einer Skizze ist, daß sie über sich hinausweist und das Bild, das in ihr verborgen ist, ahnen läßt. Ähnlich empfinden wir gewissen Partien des Jensenschen Werks gegenüber. Es ist völlig in die Hand des Dichters, des Künstlers überhaupt gegeben, wie weit er seinen Entwurf ausdehnen, wie eng er ihn znsammen- Grenzboten I 1897 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/97>, abgerufen am 15.06.2024.