Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
"art Vtfried Müller

Karl Müller, oder wie er sich auf Philipp Buttmanns Rat nannte,
Karl Otfried Müller, war am 28. August 1797 in Bring als der Sohn
eines Pfarrers geboren. Beides war für sein Leben bedeutungsvoll; wie
er auch später, als er der engern Heimat längst entrückt war, in der
Sprache den Schlesien nicht ganz verleugnete, so hatte er auch das lebhafte
Naturell, den beweglichen Geist des Schlesiers; und als Pfarrerssohn war
ihm die Gabe wvhlgesetzter, klangvoller Rede eigen, mit der er oft aus dem
Stegreif seine Freunde und Schüler zur Begeisterung hinriß. Schon auf der
Schule erregte er durch die Gewandtheit des Wortes Aufmerksamkeit, und als
er, noch nicht siebzehn Jahre alt, Ostern 1814 die Universität Vreslau bezog,
setzte mau von vielen Seiten auf ihn große Hoffnungen. Aber Breslau war
nicht der Boden, wo er wurzeln sollte. Zwar kamen ihm die Philologen, be¬
sonders Heindorf und Passow, freundlich entgegen; auch die Philosophen ver¬
säumte er nicht zu hören, unter andern den geistreichen Steffens. Aber die
Erleuchtung über seinen künftigen Beruf kam ihm nicht aus dem Unterricht
dieser Männer, sondern aus einem Buche, auf das ihn Heindorf hingewiesen
hatte: aus Niebuhrs Römischer Geschichte.

Dies Werk zeigte ihm wie mit einem Zauberschlag den Weg, den seine
eigne Forschung künftig zu gehen hätte; die Vorstellung des Altertums als
einer Gesamtheit, der Begriff der Altertumswissenschaft als einer Geschichte im
höhern Sinne, begann vor seinem Geiste Umriß und Gestalt zu gewinnen.
Und nun erkannte er auch, daß in Breslau seines Bleibens nicht sei; an der
glanzvoll erblühenden jungen Universität Berlin lehrten Männer wie Philipp
Vuttmcinn und August Voeckh, die dieselben Ideale hegten, denen nun auch
der junge schlesische Student nachzustreben begann. An diese beiden, die damals
auf der Höhe ihres Ruhmes standen, schloß sich Müller begeistert an, während
ihm Friedrich August Wolf weniger zusagte. Mit Feuereifer warf er sich auf
die Studien; die Elastizität seines Geistes und die Ausdauer seines Körpers
erlaubten es ihm, sich der angestrengtesten Arbeit hinzugeben und doch zu
rechter Zeit fröhlich zu sein mit den Fröhlichen. Buttmann und Boeckh wurden
bald auf ihn aufmerksam; sie öffneten ihm ihr Haus und suchten ihn auf alle
Weise zu fördern. Besonders Boeckh nahm sich seiner in der liebevollsten
Weise an und wurde, wie Müller selbst oft anerkannt hat, der "Vater seiner
Studien." Es ist ein unschätzbares Glück auch für den Begabtesten, wenn
sich zur rechten Zeit der rechte Leiter findet. So war es auch bei Müller.
Er hatte bald nach seiner Aufnahme in das Seminar sein Augenmerk auf eine
große Arbeit gerichtet: auf eine Behandlung der samothrakischen Mysterien.
Dazu betrieb er neben der klassischen Philologie noch allerlei abliegende Dinge,
die sein Verständnis der Mysterien fördern sollten. Da war es Boeckh, der
in richtiger Erkenntnis dessen, was ihm frommte, zur rechten Zeit eingriff. Er
fürchtete mit Recht, die Schwingen des jungen Adlers würden bei allzukühnem


«art Vtfried Müller

Karl Müller, oder wie er sich auf Philipp Buttmanns Rat nannte,
Karl Otfried Müller, war am 28. August 1797 in Bring als der Sohn
eines Pfarrers geboren. Beides war für sein Leben bedeutungsvoll; wie
er auch später, als er der engern Heimat längst entrückt war, in der
Sprache den Schlesien nicht ganz verleugnete, so hatte er auch das lebhafte
Naturell, den beweglichen Geist des Schlesiers; und als Pfarrerssohn war
ihm die Gabe wvhlgesetzter, klangvoller Rede eigen, mit der er oft aus dem
Stegreif seine Freunde und Schüler zur Begeisterung hinriß. Schon auf der
Schule erregte er durch die Gewandtheit des Wortes Aufmerksamkeit, und als
er, noch nicht siebzehn Jahre alt, Ostern 1814 die Universität Vreslau bezog,
setzte mau von vielen Seiten auf ihn große Hoffnungen. Aber Breslau war
nicht der Boden, wo er wurzeln sollte. Zwar kamen ihm die Philologen, be¬
sonders Heindorf und Passow, freundlich entgegen; auch die Philosophen ver¬
säumte er nicht zu hören, unter andern den geistreichen Steffens. Aber die
Erleuchtung über seinen künftigen Beruf kam ihm nicht aus dem Unterricht
dieser Männer, sondern aus einem Buche, auf das ihn Heindorf hingewiesen
hatte: aus Niebuhrs Römischer Geschichte.

Dies Werk zeigte ihm wie mit einem Zauberschlag den Weg, den seine
eigne Forschung künftig zu gehen hätte; die Vorstellung des Altertums als
einer Gesamtheit, der Begriff der Altertumswissenschaft als einer Geschichte im
höhern Sinne, begann vor seinem Geiste Umriß und Gestalt zu gewinnen.
Und nun erkannte er auch, daß in Breslau seines Bleibens nicht sei; an der
glanzvoll erblühenden jungen Universität Berlin lehrten Männer wie Philipp
Vuttmcinn und August Voeckh, die dieselben Ideale hegten, denen nun auch
der junge schlesische Student nachzustreben begann. An diese beiden, die damals
auf der Höhe ihres Ruhmes standen, schloß sich Müller begeistert an, während
ihm Friedrich August Wolf weniger zusagte. Mit Feuereifer warf er sich auf
die Studien; die Elastizität seines Geistes und die Ausdauer seines Körpers
erlaubten es ihm, sich der angestrengtesten Arbeit hinzugeben und doch zu
rechter Zeit fröhlich zu sein mit den Fröhlichen. Buttmann und Boeckh wurden
bald auf ihn aufmerksam; sie öffneten ihm ihr Haus und suchten ihn auf alle
Weise zu fördern. Besonders Boeckh nahm sich seiner in der liebevollsten
Weise an und wurde, wie Müller selbst oft anerkannt hat, der „Vater seiner
Studien." Es ist ein unschätzbares Glück auch für den Begabtesten, wenn
sich zur rechten Zeit der rechte Leiter findet. So war es auch bei Müller.
Er hatte bald nach seiner Aufnahme in das Seminar sein Augenmerk auf eine
große Arbeit gerichtet: auf eine Behandlung der samothrakischen Mysterien.
Dazu betrieb er neben der klassischen Philologie noch allerlei abliegende Dinge,
die sein Verständnis der Mysterien fördern sollten. Da war es Boeckh, der
in richtiger Erkenntnis dessen, was ihm frommte, zur rechten Zeit eingriff. Er
fürchtete mit Recht, die Schwingen des jungen Adlers würden bei allzukühnem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225964"/>
          <fw type="header" place="top"> «art Vtfried Müller</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_942"> Karl Müller, oder wie er sich auf Philipp Buttmanns Rat nannte,<lb/>
Karl Otfried Müller, war am 28. August 1797 in Bring als der Sohn<lb/>
eines Pfarrers geboren. Beides war für sein Leben bedeutungsvoll; wie<lb/>
er auch später, als er der engern Heimat längst entrückt war, in der<lb/>
Sprache den Schlesien nicht ganz verleugnete, so hatte er auch das lebhafte<lb/>
Naturell, den beweglichen Geist des Schlesiers; und als Pfarrerssohn war<lb/>
ihm die Gabe wvhlgesetzter, klangvoller Rede eigen, mit der er oft aus dem<lb/>
Stegreif seine Freunde und Schüler zur Begeisterung hinriß. Schon auf der<lb/>
Schule erregte er durch die Gewandtheit des Wortes Aufmerksamkeit, und als<lb/>
er, noch nicht siebzehn Jahre alt, Ostern 1814 die Universität Vreslau bezog,<lb/>
setzte mau von vielen Seiten auf ihn große Hoffnungen. Aber Breslau war<lb/>
nicht der Boden, wo er wurzeln sollte. Zwar kamen ihm die Philologen, be¬<lb/>
sonders Heindorf und Passow, freundlich entgegen; auch die Philosophen ver¬<lb/>
säumte er nicht zu hören, unter andern den geistreichen Steffens. Aber die<lb/>
Erleuchtung über seinen künftigen Beruf kam ihm nicht aus dem Unterricht<lb/>
dieser Männer, sondern aus einem Buche, auf das ihn Heindorf hingewiesen<lb/>
hatte: aus Niebuhrs Römischer Geschichte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_943" next="#ID_944"> Dies Werk zeigte ihm wie mit einem Zauberschlag den Weg, den seine<lb/>
eigne Forschung künftig zu gehen hätte; die Vorstellung des Altertums als<lb/>
einer Gesamtheit, der Begriff der Altertumswissenschaft als einer Geschichte im<lb/>
höhern Sinne, begann vor seinem Geiste Umriß und Gestalt zu gewinnen.<lb/>
Und nun erkannte er auch, daß in Breslau seines Bleibens nicht sei; an der<lb/>
glanzvoll erblühenden jungen Universität Berlin lehrten Männer wie Philipp<lb/>
Vuttmcinn und August Voeckh, die dieselben Ideale hegten, denen nun auch<lb/>
der junge schlesische Student nachzustreben begann. An diese beiden, die damals<lb/>
auf der Höhe ihres Ruhmes standen, schloß sich Müller begeistert an, während<lb/>
ihm Friedrich August Wolf weniger zusagte. Mit Feuereifer warf er sich auf<lb/>
die Studien; die Elastizität seines Geistes und die Ausdauer seines Körpers<lb/>
erlaubten es ihm, sich der angestrengtesten Arbeit hinzugeben und doch zu<lb/>
rechter Zeit fröhlich zu sein mit den Fröhlichen. Buttmann und Boeckh wurden<lb/>
bald auf ihn aufmerksam; sie öffneten ihm ihr Haus und suchten ihn auf alle<lb/>
Weise zu fördern. Besonders Boeckh nahm sich seiner in der liebevollsten<lb/>
Weise an und wurde, wie Müller selbst oft anerkannt hat, der &#x201E;Vater seiner<lb/>
Studien." Es ist ein unschätzbares Glück auch für den Begabtesten, wenn<lb/>
sich zur rechten Zeit der rechte Leiter findet. So war es auch bei Müller.<lb/>
Er hatte bald nach seiner Aufnahme in das Seminar sein Augenmerk auf eine<lb/>
große Arbeit gerichtet: auf eine Behandlung der samothrakischen Mysterien.<lb/>
Dazu betrieb er neben der klassischen Philologie noch allerlei abliegende Dinge,<lb/>
die sein Verständnis der Mysterien fördern sollten. Da war es Boeckh, der<lb/>
in richtiger Erkenntnis dessen, was ihm frommte, zur rechten Zeit eingriff. Er<lb/>
fürchtete mit Recht, die Schwingen des jungen Adlers würden bei allzukühnem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] «art Vtfried Müller Karl Müller, oder wie er sich auf Philipp Buttmanns Rat nannte, Karl Otfried Müller, war am 28. August 1797 in Bring als der Sohn eines Pfarrers geboren. Beides war für sein Leben bedeutungsvoll; wie er auch später, als er der engern Heimat längst entrückt war, in der Sprache den Schlesien nicht ganz verleugnete, so hatte er auch das lebhafte Naturell, den beweglichen Geist des Schlesiers; und als Pfarrerssohn war ihm die Gabe wvhlgesetzter, klangvoller Rede eigen, mit der er oft aus dem Stegreif seine Freunde und Schüler zur Begeisterung hinriß. Schon auf der Schule erregte er durch die Gewandtheit des Wortes Aufmerksamkeit, und als er, noch nicht siebzehn Jahre alt, Ostern 1814 die Universität Vreslau bezog, setzte mau von vielen Seiten auf ihn große Hoffnungen. Aber Breslau war nicht der Boden, wo er wurzeln sollte. Zwar kamen ihm die Philologen, be¬ sonders Heindorf und Passow, freundlich entgegen; auch die Philosophen ver¬ säumte er nicht zu hören, unter andern den geistreichen Steffens. Aber die Erleuchtung über seinen künftigen Beruf kam ihm nicht aus dem Unterricht dieser Männer, sondern aus einem Buche, auf das ihn Heindorf hingewiesen hatte: aus Niebuhrs Römischer Geschichte. Dies Werk zeigte ihm wie mit einem Zauberschlag den Weg, den seine eigne Forschung künftig zu gehen hätte; die Vorstellung des Altertums als einer Gesamtheit, der Begriff der Altertumswissenschaft als einer Geschichte im höhern Sinne, begann vor seinem Geiste Umriß und Gestalt zu gewinnen. Und nun erkannte er auch, daß in Breslau seines Bleibens nicht sei; an der glanzvoll erblühenden jungen Universität Berlin lehrten Männer wie Philipp Vuttmcinn und August Voeckh, die dieselben Ideale hegten, denen nun auch der junge schlesische Student nachzustreben begann. An diese beiden, die damals auf der Höhe ihres Ruhmes standen, schloß sich Müller begeistert an, während ihm Friedrich August Wolf weniger zusagte. Mit Feuereifer warf er sich auf die Studien; die Elastizität seines Geistes und die Ausdauer seines Körpers erlaubten es ihm, sich der angestrengtesten Arbeit hinzugeben und doch zu rechter Zeit fröhlich zu sein mit den Fröhlichen. Buttmann und Boeckh wurden bald auf ihn aufmerksam; sie öffneten ihm ihr Haus und suchten ihn auf alle Weise zu fördern. Besonders Boeckh nahm sich seiner in der liebevollsten Weise an und wurde, wie Müller selbst oft anerkannt hat, der „Vater seiner Studien." Es ist ein unschätzbares Glück auch für den Begabtesten, wenn sich zur rechten Zeit der rechte Leiter findet. So war es auch bei Müller. Er hatte bald nach seiner Aufnahme in das Seminar sein Augenmerk auf eine große Arbeit gerichtet: auf eine Behandlung der samothrakischen Mysterien. Dazu betrieb er neben der klassischen Philologie noch allerlei abliegende Dinge, die sein Verständnis der Mysterien fördern sollten. Da war es Boeckh, der in richtiger Erkenntnis dessen, was ihm frommte, zur rechten Zeit eingriff. Er fürchtete mit Recht, die Schwingen des jungen Adlers würden bei allzukühnem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/378>, abgerufen am 16.05.2024.