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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aarl Gtfried Müller

Fluge vor der Zeit erlahmen, er würde seine Kraft an einer unlösbaren Aufgabe
verzetteln. So machte er ihm ernstliche Vorstellungen und wies ihn anf die
nähern, würdigern Aufgaben hin, die sich bei einer Beschränkung auf Hellas
darböten. Und der Schüler hörte zu seinem Heil auf die mahnende Stimme
des Lehrers. Er verließ den unsichern, phantastischen Boden der Mysterien
und fand bald eine Aufgabe nach dem Sinne des verehrten Mannes. Aigina
wurde nun der Mittelpunkt seiner Arbeiten, und als er am 25. Oktober 1817,
kaum zwanzig Jahre alt, seine Studien abschloß, widmete er seine Schrift
"Aeginetica" dem geliebten Meister.

Die Schrift, in der sich schon die Keime seiner spätern Ideen über die
Altertumsforschung erkennen lassen, verfehlte nicht, Aufsehen zu erregen, und
so kehrte er nach dem schönen Erfolg mit gehobner Stimmung in das Vater¬
haus zurück, nach Ohlau, wohin sein Vater inzwischen versetzt worden war.
Aber schon nach kurzer Zeit, im Januar 1818, bot sich ihm von zwei Seiten
die Aussicht auf eine Lebensstellung; er wählte die Stelle als Lehrer am
Magdalenengymnasium in Breslau, wo er sich mit Eifer dem Unterricht
widmete. Aber wieder sollte hier nicht lange seines Bleibens sein, und wieder
war es Boeckh, der das Lebensschifflein seines Licblingsschülers in einen andern
Kurs lenkte; er wollte diese hervorragende Kraft der Wissenschaft erhalten.

So geschah das Unerhörte, wohl seit Melanchthons Tagen nicht wieder
Dagewesene: der noch nicht zwciundzwanzigjührige junge Lehrer erhielt
einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Göttingen.
Göttingen mit seiner glänzenden Bibliothek, der Ort, wo Heyne so lange Jahre
erfolgreich gewirkt hatte, wo Heeren noch einen maßgebenden Einfluß ausübte,
wo eine Reihe der hervorragendsten Männer lehrte, das sollte fortan der
Boden sein, auf dem Müller wirken und schaffen durfte. Es war ein Wagnis
von Seiten der Universität, dem alten Stamm ein junges Reis aufzupfropfen;
ein Wagnis auch für den jungen Gelehrten selbst, dort an der Stätte der
Wissenschaft zu zeigen, was er vermochte. Aber das Wagnis gelang. Hoch¬
beglückt nahm Müller den Ruf an, und er rechtfertigte ihn muss glänzendste.
Wie sich Müllers Lehrgabe in seinem Schulamt geübt und befestigt hatte, so
waren es bald auch wissenschaftliche Werke, die zeigten, wie sehr Boeckh im
Recht gewesen war. Schon jetzt trat die geistige und wissenschaftliche Eigen¬
art Müllers deutlich hervor. Das Griechentum war der Mittelpunkt seiner
Gedanken und seiner Forschungen. Er ging ja darin zu weit, daß er diesem
einzigen Volke eine Ausnahmestellung zuweisen und es als geistig und künst¬
lerisch unabhängig hinstellen wollte von fremde", besonders von ägyptischen
Einflüssen; die neuere Forschung ist in vielen Einzelheiten zu andern Er¬
gebnissen gelangt. Aber der methodische Grundgedanke seiner Hauptschriften
ist richtig und wird es immer bleiben: die Forderung, das Griechentum vor
allem aus sich selbst zu erkennen, das griechische Volkstum nicht in der


Aarl Gtfried Müller

Fluge vor der Zeit erlahmen, er würde seine Kraft an einer unlösbaren Aufgabe
verzetteln. So machte er ihm ernstliche Vorstellungen und wies ihn anf die
nähern, würdigern Aufgaben hin, die sich bei einer Beschränkung auf Hellas
darböten. Und der Schüler hörte zu seinem Heil auf die mahnende Stimme
des Lehrers. Er verließ den unsichern, phantastischen Boden der Mysterien
und fand bald eine Aufgabe nach dem Sinne des verehrten Mannes. Aigina
wurde nun der Mittelpunkt seiner Arbeiten, und als er am 25. Oktober 1817,
kaum zwanzig Jahre alt, seine Studien abschloß, widmete er seine Schrift
„Aeginetica" dem geliebten Meister.

Die Schrift, in der sich schon die Keime seiner spätern Ideen über die
Altertumsforschung erkennen lassen, verfehlte nicht, Aufsehen zu erregen, und
so kehrte er nach dem schönen Erfolg mit gehobner Stimmung in das Vater¬
haus zurück, nach Ohlau, wohin sein Vater inzwischen versetzt worden war.
Aber schon nach kurzer Zeit, im Januar 1818, bot sich ihm von zwei Seiten
die Aussicht auf eine Lebensstellung; er wählte die Stelle als Lehrer am
Magdalenengymnasium in Breslau, wo er sich mit Eifer dem Unterricht
widmete. Aber wieder sollte hier nicht lange seines Bleibens sein, und wieder
war es Boeckh, der das Lebensschifflein seines Licblingsschülers in einen andern
Kurs lenkte; er wollte diese hervorragende Kraft der Wissenschaft erhalten.

So geschah das Unerhörte, wohl seit Melanchthons Tagen nicht wieder
Dagewesene: der noch nicht zwciundzwanzigjührige junge Lehrer erhielt
einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Göttingen.
Göttingen mit seiner glänzenden Bibliothek, der Ort, wo Heyne so lange Jahre
erfolgreich gewirkt hatte, wo Heeren noch einen maßgebenden Einfluß ausübte,
wo eine Reihe der hervorragendsten Männer lehrte, das sollte fortan der
Boden sein, auf dem Müller wirken und schaffen durfte. Es war ein Wagnis
von Seiten der Universität, dem alten Stamm ein junges Reis aufzupfropfen;
ein Wagnis auch für den jungen Gelehrten selbst, dort an der Stätte der
Wissenschaft zu zeigen, was er vermochte. Aber das Wagnis gelang. Hoch¬
beglückt nahm Müller den Ruf an, und er rechtfertigte ihn muss glänzendste.
Wie sich Müllers Lehrgabe in seinem Schulamt geübt und befestigt hatte, so
waren es bald auch wissenschaftliche Werke, die zeigten, wie sehr Boeckh im
Recht gewesen war. Schon jetzt trat die geistige und wissenschaftliche Eigen¬
art Müllers deutlich hervor. Das Griechentum war der Mittelpunkt seiner
Gedanken und seiner Forschungen. Er ging ja darin zu weit, daß er diesem
einzigen Volke eine Ausnahmestellung zuweisen und es als geistig und künst¬
lerisch unabhängig hinstellen wollte von fremde», besonders von ägyptischen
Einflüssen; die neuere Forschung ist in vielen Einzelheiten zu andern Er¬
gebnissen gelangt. Aber der methodische Grundgedanke seiner Hauptschriften
ist richtig und wird es immer bleiben: die Forderung, das Griechentum vor
allem aus sich selbst zu erkennen, das griechische Volkstum nicht in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/379>, abgerufen am 05.06.2024.