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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Moderne Novellen

Ausstattung, in der Haltung einer weltförmigen Erzählung: Mammon, Roman
in drei Büchern von Sophie Barazetti (Köln, Albert Ahn). Der Roman
beginnt 1760 in Granada, bald darauf werden an Königs Geburtstag zwanzig
Juden verbrannt, ein Geschlechtsfluch treibt den Denunzianten des einen und
seine Nachkommenschaft unter mancherlei Schicksalen über Bremen, Lübeck
auch Heidelberg mit dem Schloßhotel, Studeuteukommersen usw. kommt
darin vor -- nach Berlin, und den letzten seines Stammes in ein kleines
thüringisches Städtchen, wo er nach unendlich vielen Werken mildthätiger Liebe
selig verstirbt. Seine Vorfahren find, als sie vor hundert Jahren dem Lande
der Inquisition den Rücken gewandt hatten, lutherisch geworden, er, ein junger
Doktor der Nationalökonomie und vor kurzem noch Heidelberger Korpsbursch,
hat eine katholische barmherzige Schwester geliebt, ohne sie doch des verschiednen
Glaubens wegen heiraten zu können, und nachdem sie an seinem Krankenlager,
zu dem sie herbeieilte, gestorben ist, vermacht er sein Vermögen, das "Blut¬
geld" des Ahnherrn für die Denunziation des verbrannten Juden, an wohl¬
thätige Stiftungen. Alle Einzelheiten, spanische sowohl wie Berliner, sind
unsäglich phantastisch, es klappt alles, auch das scheinbar Unmöglichste.
Aladdins Wunderlampe oder Fausts Zaubermantel sind gar nichts dagegen.
Es ist rührend und unterhaltend, aber der Leser wird sich wohl schon selbst
gesagt haben, daß irgend eine Art von Kritik dabei nur stören könnte.

Wir wollen uns lieber zur Abwechslung in die allereinfachste, mau darf
sogar sagen krasseste Wirklichkeit begeben, zu einem Roman von Nikolaus
Krauß, Lene (Berlin, Fontane u. Comp.). Der Schauplatz des Romans
ist die böhmisch-bairische Grenze, das Egerlaud. Lene ist eine arme Waise,
die im Hause ihrer Taute, einer Schullehrersfrau, aufwächst und dann unter
großen Entbehrungen als Dienstmagd von einem Bauernhof auf den andern
kommt, schwere Arbeiten zu leisten und alle erdenklichen Widerwärtigkeiten und
Roheiten zu ertrage" hat, bis sie ganz zuletzt, nachdem sie einer wirklichen
Liebe, weil sie einem Vnuernburschen zu arm war, entsagen mußte, aus Ver¬
nunft einen verwitweten Förster heiratet. "Ihrer Zukunft schritt sie entgegen.
Sie wußte nicht, was diese ihr bringen würde. Aber ihr Herz war voll be¬
seligender Gewißheit. Wie das Egerlaud hinter ihr lag, diese ährenstrotzcnde
Scholle, so schienen ihr auch die Fesseln der dienenden Sklavin abgefallen.
Für keinen Fremden brauchte sie mehr ihre Kraft, ihren Mut, ihre Frische
einzusetzen. Empor!" Das ist der Schluß, jäh und dunkel, ohne Gewißheit.
Vorher liegt in breitester Schilderung das arbeitsame Leben in seinem ein¬
förmigen Verlauf mit allen Einzelheiten: Pflügen, Säen, Pflanzen, Ernten,
Viehfüttern, mit Mühen und Ertragen und Sorgen. Die Unterhaltung wird
im Dialekt geführt und hält uns immer an allen diesen äußerlichen Dingen
fest, das Kostüm ist echt, die Erzählung verfolgt bis ins kleinste das Bild
dieser rauhen, freudlosen Wirklichkeit. Es ist nichts übertrieben, aber auch


Moderne Novellen

Ausstattung, in der Haltung einer weltförmigen Erzählung: Mammon, Roman
in drei Büchern von Sophie Barazetti (Köln, Albert Ahn). Der Roman
beginnt 1760 in Granada, bald darauf werden an Königs Geburtstag zwanzig
Juden verbrannt, ein Geschlechtsfluch treibt den Denunzianten des einen und
seine Nachkommenschaft unter mancherlei Schicksalen über Bremen, Lübeck
auch Heidelberg mit dem Schloßhotel, Studeuteukommersen usw. kommt
darin vor — nach Berlin, und den letzten seines Stammes in ein kleines
thüringisches Städtchen, wo er nach unendlich vielen Werken mildthätiger Liebe
selig verstirbt. Seine Vorfahren find, als sie vor hundert Jahren dem Lande
der Inquisition den Rücken gewandt hatten, lutherisch geworden, er, ein junger
Doktor der Nationalökonomie und vor kurzem noch Heidelberger Korpsbursch,
hat eine katholische barmherzige Schwester geliebt, ohne sie doch des verschiednen
Glaubens wegen heiraten zu können, und nachdem sie an seinem Krankenlager,
zu dem sie herbeieilte, gestorben ist, vermacht er sein Vermögen, das „Blut¬
geld" des Ahnherrn für die Denunziation des verbrannten Juden, an wohl¬
thätige Stiftungen. Alle Einzelheiten, spanische sowohl wie Berliner, sind
unsäglich phantastisch, es klappt alles, auch das scheinbar Unmöglichste.
Aladdins Wunderlampe oder Fausts Zaubermantel sind gar nichts dagegen.
Es ist rührend und unterhaltend, aber der Leser wird sich wohl schon selbst
gesagt haben, daß irgend eine Art von Kritik dabei nur stören könnte.

Wir wollen uns lieber zur Abwechslung in die allereinfachste, mau darf
sogar sagen krasseste Wirklichkeit begeben, zu einem Roman von Nikolaus
Krauß, Lene (Berlin, Fontane u. Comp.). Der Schauplatz des Romans
ist die böhmisch-bairische Grenze, das Egerlaud. Lene ist eine arme Waise,
die im Hause ihrer Taute, einer Schullehrersfrau, aufwächst und dann unter
großen Entbehrungen als Dienstmagd von einem Bauernhof auf den andern
kommt, schwere Arbeiten zu leisten und alle erdenklichen Widerwärtigkeiten und
Roheiten zu ertrage» hat, bis sie ganz zuletzt, nachdem sie einer wirklichen
Liebe, weil sie einem Vnuernburschen zu arm war, entsagen mußte, aus Ver¬
nunft einen verwitweten Förster heiratet. „Ihrer Zukunft schritt sie entgegen.
Sie wußte nicht, was diese ihr bringen würde. Aber ihr Herz war voll be¬
seligender Gewißheit. Wie das Egerlaud hinter ihr lag, diese ährenstrotzcnde
Scholle, so schienen ihr auch die Fesseln der dienenden Sklavin abgefallen.
Für keinen Fremden brauchte sie mehr ihre Kraft, ihren Mut, ihre Frische
einzusetzen. Empor!" Das ist der Schluß, jäh und dunkel, ohne Gewißheit.
Vorher liegt in breitester Schilderung das arbeitsame Leben in seinem ein¬
förmigen Verlauf mit allen Einzelheiten: Pflügen, Säen, Pflanzen, Ernten,
Viehfüttern, mit Mühen und Ertragen und Sorgen. Die Unterhaltung wird
im Dialekt geführt und hält uns immer an allen diesen äußerlichen Dingen
fest, das Kostüm ist echt, die Erzählung verfolgt bis ins kleinste das Bild
dieser rauhen, freudlosen Wirklichkeit. Es ist nichts übertrieben, aber auch


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[0474] Moderne Novellen Ausstattung, in der Haltung einer weltförmigen Erzählung: Mammon, Roman in drei Büchern von Sophie Barazetti (Köln, Albert Ahn). Der Roman beginnt 1760 in Granada, bald darauf werden an Königs Geburtstag zwanzig Juden verbrannt, ein Geschlechtsfluch treibt den Denunzianten des einen und seine Nachkommenschaft unter mancherlei Schicksalen über Bremen, Lübeck auch Heidelberg mit dem Schloßhotel, Studeuteukommersen usw. kommt darin vor — nach Berlin, und den letzten seines Stammes in ein kleines thüringisches Städtchen, wo er nach unendlich vielen Werken mildthätiger Liebe selig verstirbt. Seine Vorfahren find, als sie vor hundert Jahren dem Lande der Inquisition den Rücken gewandt hatten, lutherisch geworden, er, ein junger Doktor der Nationalökonomie und vor kurzem noch Heidelberger Korpsbursch, hat eine katholische barmherzige Schwester geliebt, ohne sie doch des verschiednen Glaubens wegen heiraten zu können, und nachdem sie an seinem Krankenlager, zu dem sie herbeieilte, gestorben ist, vermacht er sein Vermögen, das „Blut¬ geld" des Ahnherrn für die Denunziation des verbrannten Juden, an wohl¬ thätige Stiftungen. Alle Einzelheiten, spanische sowohl wie Berliner, sind unsäglich phantastisch, es klappt alles, auch das scheinbar Unmöglichste. Aladdins Wunderlampe oder Fausts Zaubermantel sind gar nichts dagegen. Es ist rührend und unterhaltend, aber der Leser wird sich wohl schon selbst gesagt haben, daß irgend eine Art von Kritik dabei nur stören könnte. Wir wollen uns lieber zur Abwechslung in die allereinfachste, mau darf sogar sagen krasseste Wirklichkeit begeben, zu einem Roman von Nikolaus Krauß, Lene (Berlin, Fontane u. Comp.). Der Schauplatz des Romans ist die böhmisch-bairische Grenze, das Egerlaud. Lene ist eine arme Waise, die im Hause ihrer Taute, einer Schullehrersfrau, aufwächst und dann unter großen Entbehrungen als Dienstmagd von einem Bauernhof auf den andern kommt, schwere Arbeiten zu leisten und alle erdenklichen Widerwärtigkeiten und Roheiten zu ertrage» hat, bis sie ganz zuletzt, nachdem sie einer wirklichen Liebe, weil sie einem Vnuernburschen zu arm war, entsagen mußte, aus Ver¬ nunft einen verwitweten Förster heiratet. „Ihrer Zukunft schritt sie entgegen. Sie wußte nicht, was diese ihr bringen würde. Aber ihr Herz war voll be¬ seligender Gewißheit. Wie das Egerlaud hinter ihr lag, diese ährenstrotzcnde Scholle, so schienen ihr auch die Fesseln der dienenden Sklavin abgefallen. Für keinen Fremden brauchte sie mehr ihre Kraft, ihren Mut, ihre Frische einzusetzen. Empor!" Das ist der Schluß, jäh und dunkel, ohne Gewißheit. Vorher liegt in breitester Schilderung das arbeitsame Leben in seinem ein¬ förmigen Verlauf mit allen Einzelheiten: Pflügen, Säen, Pflanzen, Ernten, Viehfüttern, mit Mühen und Ertragen und Sorgen. Die Unterhaltung wird im Dialekt geführt und hält uns immer an allen diesen äußerlichen Dingen fest, das Kostüm ist echt, die Erzählung verfolgt bis ins kleinste das Bild dieser rauhen, freudlosen Wirklichkeit. Es ist nichts übertrieben, aber auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/474>, abgerufen am 15.06.2024.