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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Japanische Staatspolitik und deutsche Parteipolitik

zeugt, daß die über unsern Kolonialbesitz entscheidenden Schlachten auf dem
europäische" Festlande geschlagen werden würden. Daß viele unsrer alten
Staatsmänner und Heerführer so denken, erscheint verstündlich, weil sie ihre
Erfolge nur durch die Armee für eine damals noch reine Landmacht errungen
haben und die von einer in Zukunft stärkern Seemacht zu erringenden Erfolge
zu gering anschlagen, weil der Seeverkehr und das Meer, nach altpreußischer
Ansicht, nicht "ihr Element" ist. Wir gehen aber einer andern Zeit mit
andern Lebensbedingungen für unser Volk entgegen, und wenn wir nicht recht¬
zeitig auf dem Posten sind, so wird Deutschland auch in Zukunft, wie schon
so oft in frühern Zeiten, zu spät kommen. Die Fortschritte unsrer Industrie
und der mit der Notwendigkeit ihrer Ausfuhr gewachsene Handelsverkehr,
sowie die Vermehrung der Seestreitkräfte des Auslands dulden nicht länger,
daß Deutschland nur zu Lande Großmacht bleibe, und ohne die verdienten
Gründer unsers Reichs belehren zu wollen und den hohen Wert eines starken
Heeres zu verkennen, müssen doch die mitten im heutigen Leben stehenden
Fachmänner erklären, daß ihre Ansichten über den Wert der Seemacht sür
Deutschland und für seine Zukunft wesentlich andre sind. Übrigens sind die
Ansichten unsers Altreichskanzlers der Flvttenvermehrung nicht ungünstig, da
er die Notwendigkeit eines vollen Handelsschutzes in der ganzen Welt betont
und gleich im Anfang der ihm in den Mund gelegten Äußerungen unum¬
wunden ausspricht, daß das, was nach Ansicht nüchterner Fachmänner nötig
ist, auch bewilligt werden müsse. Der Fürst unterscheidet hierbei offen die
klaren, nüchternen Ansichten der durch ihren Beruf für das Wohl des Vater¬
landes verantwortlichen Fachmänner von laienhaften Wünschen und den Be¬
strebungen unverantwortlicher, fremdartige Zwecke verfolgender Parteimünner.
Andre Äußerungen von ihm könnten nur verständlich werden, wenn der nähere
Zusammenhang und die Fragen und Absichten des Berichterstatters zugleich
mitgeteilt wären. Der Schlußsatz, wo Fürst Bismarck zuerst vor Knauserei
warnt und dann zugleich vor phantastischen Plänen, scheint anzudeuten, daß
auch er von den von Feinden der Flottenvermehrnng aus Mangel an Sach¬
kenntnis oder aus Bosheit erfundnen und verbreiteten Märchen gehört hat,
daß das Ziel der Flottenfreunde die Schaffung einer der englischen nahe¬
kommenden deutsche" Flotte sei. Vor solchen unsinnigen Plänen kann er
natürlich nur warum.

Daß Fürst Bismarck Freude empfinden sollte über die Art und Weise,
wie seine wirklich gethanen oder ihm nur zugeschriebnen Äußerungen von einer
Presse, die ihn früher, vor und nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst,
oft in der gehässigsten Weise angegriffen hat, ausgebeutet werden, ist unwahr¬
scheinlich. Noch weniger kann es ihn freuen, wenn diese Presse aus Sätzen,
die aus dem Zusammenhang herausgerissen sind, Schlagwörter von der Art
der "uferlosen Flottenpläne" herausfischt, um einem in Seeangclegenheiten


Japanische Staatspolitik und deutsche Parteipolitik

zeugt, daß die über unsern Kolonialbesitz entscheidenden Schlachten auf dem
europäische» Festlande geschlagen werden würden. Daß viele unsrer alten
Staatsmänner und Heerführer so denken, erscheint verstündlich, weil sie ihre
Erfolge nur durch die Armee für eine damals noch reine Landmacht errungen
haben und die von einer in Zukunft stärkern Seemacht zu erringenden Erfolge
zu gering anschlagen, weil der Seeverkehr und das Meer, nach altpreußischer
Ansicht, nicht „ihr Element" ist. Wir gehen aber einer andern Zeit mit
andern Lebensbedingungen für unser Volk entgegen, und wenn wir nicht recht¬
zeitig auf dem Posten sind, so wird Deutschland auch in Zukunft, wie schon
so oft in frühern Zeiten, zu spät kommen. Die Fortschritte unsrer Industrie
und der mit der Notwendigkeit ihrer Ausfuhr gewachsene Handelsverkehr,
sowie die Vermehrung der Seestreitkräfte des Auslands dulden nicht länger,
daß Deutschland nur zu Lande Großmacht bleibe, und ohne die verdienten
Gründer unsers Reichs belehren zu wollen und den hohen Wert eines starken
Heeres zu verkennen, müssen doch die mitten im heutigen Leben stehenden
Fachmänner erklären, daß ihre Ansichten über den Wert der Seemacht sür
Deutschland und für seine Zukunft wesentlich andre sind. Übrigens sind die
Ansichten unsers Altreichskanzlers der Flvttenvermehrung nicht ungünstig, da
er die Notwendigkeit eines vollen Handelsschutzes in der ganzen Welt betont
und gleich im Anfang der ihm in den Mund gelegten Äußerungen unum¬
wunden ausspricht, daß das, was nach Ansicht nüchterner Fachmänner nötig
ist, auch bewilligt werden müsse. Der Fürst unterscheidet hierbei offen die
klaren, nüchternen Ansichten der durch ihren Beruf für das Wohl des Vater¬
landes verantwortlichen Fachmänner von laienhaften Wünschen und den Be¬
strebungen unverantwortlicher, fremdartige Zwecke verfolgender Parteimünner.
Andre Äußerungen von ihm könnten nur verständlich werden, wenn der nähere
Zusammenhang und die Fragen und Absichten des Berichterstatters zugleich
mitgeteilt wären. Der Schlußsatz, wo Fürst Bismarck zuerst vor Knauserei
warnt und dann zugleich vor phantastischen Plänen, scheint anzudeuten, daß
auch er von den von Feinden der Flottenvermehrnng aus Mangel an Sach¬
kenntnis oder aus Bosheit erfundnen und verbreiteten Märchen gehört hat,
daß das Ziel der Flottenfreunde die Schaffung einer der englischen nahe¬
kommenden deutsche» Flotte sei. Vor solchen unsinnigen Plänen kann er
natürlich nur warum.

Daß Fürst Bismarck Freude empfinden sollte über die Art und Weise,
wie seine wirklich gethanen oder ihm nur zugeschriebnen Äußerungen von einer
Presse, die ihn früher, vor und nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst,
oft in der gehässigsten Weise angegriffen hat, ausgebeutet werden, ist unwahr¬
scheinlich. Noch weniger kann es ihn freuen, wenn diese Presse aus Sätzen,
die aus dem Zusammenhang herausgerissen sind, Schlagwörter von der Art
der „uferlosen Flottenpläne" herausfischt, um einem in Seeangclegenheiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/117>, abgerufen am 17.06.2024.