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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Japanische Staatspolitik und deutsche Parteipolitik

gleich zu Deutschland im Kolonieverhältnis stehen. Da dieser Wunsch bei uns
einige Jahrzehnte zu spät rege geworden ist, so ist er zur Zeit nicht erfüllbar,
und wir müssen dauernd mit ansehen, wie unsre überschüssigen auswandernden
Arbeitskräfte andre Staaten in der Fähigkeit der Konkurrenz gegen unsre
Industrie und Landwirtschaft stärken. Die Besserung dieses Zustands können
wir nur von der Zukunft und von der Entwicklung einiger unsrer Kolonien
hoffen. Für den Unterhalt der im Lande bleibenden Bevölkerung ist die Er¬
haltung von Absatzgebieten und Erschließung neuer Märkte für unsre Industrie
eine Lebensfrage. Unser blühender Seehandel und die Entwicklung unsrer
Postdampfcrlinien dient der Lösung dieser Frage. Unser Seehandel bedarf
aber, seitdem er auch in den Augen unsrer Konkurrenten eine solche Bedeutung
erlangt hat, mehr des Schutzes und einer stärkern Sicherstellung als früher.
Unsre heftigsten Mitbewerber im Handelsverkehr und im Seehandel werden
natürlich die Staate" sein, die am dichtesten bevölkert sind, und die, die schon
jetzt weitsichtige Pläne für das zukünftige Wohl ihrer Völker verfolgen, also
England, Japan und die Vereinigten Staaten. Die deutschen Politiker, die
glaube", der deutsche Seehandel bedürfe auch in Zukunft nnr geringen Schutzes,
weil er sich bis jetzt fast ohne einen solchen beholfen ho.be, seien zunächst daran
erinnert, daß in den ersten zwölf Jahren nach Deutschlands Einigung unsre
Marine die Interessen des deutschen Handels im Auslande ganz außerordent¬
lich geschützt hat, und daß die gute Wirkung auf den Handel nicht ausblieb.
Unsre deutschen Kaufleute haben damals in Füllen ungerechter Behandlung in
überseeischen Republiken öfter damit gedroht: "Wir telegraphireu an Bismarck,"
weil sie wußten, daß bei gerechten Ansprüchen eine Unterstützung durch deutsche
Kriegsschiffe nicht ausblieb. Es sei nur auf die Thätigkeit der Augusta, der
Vineta und andrer Korvetten 1872 bis 1875 hingewiesen. Damals war
unsre Flotte verhältnismäßig stärker als heute. Jetzt ist der deutsche Handel
bis zur zweiten Stelle gewachsen, die Flotte aber wegen der schnellern
Vermehrung der fremden Seestreitkräfte bis auf die siebente Stelle zurück¬
gegangen.

Sind wir zur See als Gegner nicht achtbar und als Bundesgenossen im
Seekriege nicht wertvoll, so wird in dem Wirtschaftsinteressenkampfe des nächsten
Jahrhunderts unser Los im günstigsten Fall die Schädigung unsers Wohl¬
stands und Gedeihens und die Ausschließung vom Welthandel sein. Unser
Landheer kann uns nur gegen benachbarte Feinde schützen und denen Erfolge
abgewinnen; die Kämpfe um wirtschaftliche Interessen aber werden in Zukunft
zur See auch zwischen nicht benachbarten Staaten ausgefochten werden.

Fürst Bismarck soll in letzter Zeit im Privatgespräch gesagt haben, daß
für Deutschland in absehbarer Zeit noch immer das Wichtigste ein starkes, zu¬
verlässiges Heer von gedienten Leute" sei, die mit der besten Waffe ausgerüstet
seien- Moltke sei derselben Ansicht gewesen und ebenso wie der Fürst über-


Japanische Staatspolitik und deutsche Parteipolitik

gleich zu Deutschland im Kolonieverhältnis stehen. Da dieser Wunsch bei uns
einige Jahrzehnte zu spät rege geworden ist, so ist er zur Zeit nicht erfüllbar,
und wir müssen dauernd mit ansehen, wie unsre überschüssigen auswandernden
Arbeitskräfte andre Staaten in der Fähigkeit der Konkurrenz gegen unsre
Industrie und Landwirtschaft stärken. Die Besserung dieses Zustands können
wir nur von der Zukunft und von der Entwicklung einiger unsrer Kolonien
hoffen. Für den Unterhalt der im Lande bleibenden Bevölkerung ist die Er¬
haltung von Absatzgebieten und Erschließung neuer Märkte für unsre Industrie
eine Lebensfrage. Unser blühender Seehandel und die Entwicklung unsrer
Postdampfcrlinien dient der Lösung dieser Frage. Unser Seehandel bedarf
aber, seitdem er auch in den Augen unsrer Konkurrenten eine solche Bedeutung
erlangt hat, mehr des Schutzes und einer stärkern Sicherstellung als früher.
Unsre heftigsten Mitbewerber im Handelsverkehr und im Seehandel werden
natürlich die Staate» sein, die am dichtesten bevölkert sind, und die, die schon
jetzt weitsichtige Pläne für das zukünftige Wohl ihrer Völker verfolgen, also
England, Japan und die Vereinigten Staaten. Die deutschen Politiker, die
glaube», der deutsche Seehandel bedürfe auch in Zukunft nnr geringen Schutzes,
weil er sich bis jetzt fast ohne einen solchen beholfen ho.be, seien zunächst daran
erinnert, daß in den ersten zwölf Jahren nach Deutschlands Einigung unsre
Marine die Interessen des deutschen Handels im Auslande ganz außerordent¬
lich geschützt hat, und daß die gute Wirkung auf den Handel nicht ausblieb.
Unsre deutschen Kaufleute haben damals in Füllen ungerechter Behandlung in
überseeischen Republiken öfter damit gedroht: „Wir telegraphireu an Bismarck,"
weil sie wußten, daß bei gerechten Ansprüchen eine Unterstützung durch deutsche
Kriegsschiffe nicht ausblieb. Es sei nur auf die Thätigkeit der Augusta, der
Vineta und andrer Korvetten 1872 bis 1875 hingewiesen. Damals war
unsre Flotte verhältnismäßig stärker als heute. Jetzt ist der deutsche Handel
bis zur zweiten Stelle gewachsen, die Flotte aber wegen der schnellern
Vermehrung der fremden Seestreitkräfte bis auf die siebente Stelle zurück¬
gegangen.

Sind wir zur See als Gegner nicht achtbar und als Bundesgenossen im
Seekriege nicht wertvoll, so wird in dem Wirtschaftsinteressenkampfe des nächsten
Jahrhunderts unser Los im günstigsten Fall die Schädigung unsers Wohl¬
stands und Gedeihens und die Ausschließung vom Welthandel sein. Unser
Landheer kann uns nur gegen benachbarte Feinde schützen und denen Erfolge
abgewinnen; die Kämpfe um wirtschaftliche Interessen aber werden in Zukunft
zur See auch zwischen nicht benachbarten Staaten ausgefochten werden.

Fürst Bismarck soll in letzter Zeit im Privatgespräch gesagt haben, daß
für Deutschland in absehbarer Zeit noch immer das Wichtigste ein starkes, zu¬
verlässiges Heer von gedienten Leute» sei, die mit der besten Waffe ausgerüstet
seien- Moltke sei derselben Ansicht gewesen und ebenso wie der Fürst über-


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[0116] Japanische Staatspolitik und deutsche Parteipolitik gleich zu Deutschland im Kolonieverhältnis stehen. Da dieser Wunsch bei uns einige Jahrzehnte zu spät rege geworden ist, so ist er zur Zeit nicht erfüllbar, und wir müssen dauernd mit ansehen, wie unsre überschüssigen auswandernden Arbeitskräfte andre Staaten in der Fähigkeit der Konkurrenz gegen unsre Industrie und Landwirtschaft stärken. Die Besserung dieses Zustands können wir nur von der Zukunft und von der Entwicklung einiger unsrer Kolonien hoffen. Für den Unterhalt der im Lande bleibenden Bevölkerung ist die Er¬ haltung von Absatzgebieten und Erschließung neuer Märkte für unsre Industrie eine Lebensfrage. Unser blühender Seehandel und die Entwicklung unsrer Postdampfcrlinien dient der Lösung dieser Frage. Unser Seehandel bedarf aber, seitdem er auch in den Augen unsrer Konkurrenten eine solche Bedeutung erlangt hat, mehr des Schutzes und einer stärkern Sicherstellung als früher. Unsre heftigsten Mitbewerber im Handelsverkehr und im Seehandel werden natürlich die Staate» sein, die am dichtesten bevölkert sind, und die, die schon jetzt weitsichtige Pläne für das zukünftige Wohl ihrer Völker verfolgen, also England, Japan und die Vereinigten Staaten. Die deutschen Politiker, die glaube», der deutsche Seehandel bedürfe auch in Zukunft nnr geringen Schutzes, weil er sich bis jetzt fast ohne einen solchen beholfen ho.be, seien zunächst daran erinnert, daß in den ersten zwölf Jahren nach Deutschlands Einigung unsre Marine die Interessen des deutschen Handels im Auslande ganz außerordent¬ lich geschützt hat, und daß die gute Wirkung auf den Handel nicht ausblieb. Unsre deutschen Kaufleute haben damals in Füllen ungerechter Behandlung in überseeischen Republiken öfter damit gedroht: „Wir telegraphireu an Bismarck," weil sie wußten, daß bei gerechten Ansprüchen eine Unterstützung durch deutsche Kriegsschiffe nicht ausblieb. Es sei nur auf die Thätigkeit der Augusta, der Vineta und andrer Korvetten 1872 bis 1875 hingewiesen. Damals war unsre Flotte verhältnismäßig stärker als heute. Jetzt ist der deutsche Handel bis zur zweiten Stelle gewachsen, die Flotte aber wegen der schnellern Vermehrung der fremden Seestreitkräfte bis auf die siebente Stelle zurück¬ gegangen. Sind wir zur See als Gegner nicht achtbar und als Bundesgenossen im Seekriege nicht wertvoll, so wird in dem Wirtschaftsinteressenkampfe des nächsten Jahrhunderts unser Los im günstigsten Fall die Schädigung unsers Wohl¬ stands und Gedeihens und die Ausschließung vom Welthandel sein. Unser Landheer kann uns nur gegen benachbarte Feinde schützen und denen Erfolge abgewinnen; die Kämpfe um wirtschaftliche Interessen aber werden in Zukunft zur See auch zwischen nicht benachbarten Staaten ausgefochten werden. Fürst Bismarck soll in letzter Zeit im Privatgespräch gesagt haben, daß für Deutschland in absehbarer Zeit noch immer das Wichtigste ein starkes, zu¬ verlässiges Heer von gedienten Leute» sei, die mit der besten Waffe ausgerüstet seien- Moltke sei derselben Ansicht gewesen und ebenso wie der Fürst über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/116>, abgerufen am 17.06.2024.