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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Abermals zum Heimatschutz

Wie es die Verkopplung ist, zu rechtfertigen, von deren thatsächlichen Folgen
man sich daraufhin eine durchaus unzutreffende Vorstellung machen müßte.

Aus meiner eignen Erfahrung greife ich einiges heraus, das zeigen mag,
was die kahle Theorie, das "rationelle Prinzip" lediglich an praktischen Thor¬
heiten zu Wege bringt, wenn es, wie ich mich -- ich glaube mit vollstem
Recht -- ausgedrückt habe, der Natur rücksichtslos aufgczwängt wird. Man
rühmt mir die Geradlegung der Bäche unterhalb der Dörfer, die Abhilfe
von allen möglichen Übeln bringe, unter andern auch von Krankheiten. In
meiner Heimat ist auch der Bach unterhalb des Dorfes geradegelegt worden. Er
konnte seinen gewundnen Lauf nach wie vor durch eine mir gehörende Wiese
nehmen, wurde aber trotz meines Einspruchs in gerader Linie durch tiefes
Ackerland geführt. Jetzt nach Jahren ist die Unterwühlnng des Bodens so
weit gediehen, daß mit großen Kosten Vorkehrungen getroffen werden müssen,
um die weitere Abschwemmung des Ackers wenigstens vorläufig, wenn auch
ohne Aussicht auf dauernden Erfolg, zu verhindern. Von einem Abnehmen
der Krankheiten aber ist nichts zu spüren. Im Gegenteil: der Typhus wütet
seit zwei Jahren hier und in den benachbarten Dörfern, die sämtlich verkoppelt
haben, mit einer Heftigkeit, wie kaum je zuvor, und Diphtherie und Scharlach
fordern nach wie vor ihre Opfer. Auch eine so bedeutende Autorität wie der
verstorbne Oberforstmeister Burkhardt hat sich aufs entschiedenste gegen die
überhandnehmende Geradelegung natürlicher Wasserläufe ausgesprochen. Er
weist nach, daß sie das Wasser zu rasch abführt, und daß so das höher ge¬
legne Gelände, in dem keine Feuchtigkeit mehr verdunstet, oft in bedenklicher
Weise austrocknet.

Man hält mir ferner entgegen, die Waldspitzen würden nicht ohne trif¬
tigen Grund abgeschnitten, und man versicheri, sie seien dem Landmann ein
Greuel, und der Forstmann hasse sie nicht minder. Bei der Verkopplung in
meiner Heimat war das Abschneiden der sämtlichen Waldspitzen im Plane vor¬
gesehen, und die Forstgrenze demgemäß thatsächlich festgesetzt. Um jene zu
retten, erwarb ich durch Tausch die zwischenliegenden Wiesen und durfte infolge
dessen die Zuweisung der Waldspitzen selbst im Verkopplungsverfahren bean¬
spruchen. Dann erhielt ich mit Mühe die Erlaubnis, das Holz ans dem
Stamm, d. h. umgeschlagen zu kaufen, und so stehen die Bäume noch heute
als der schönste landschaftliche Schmuck des anmutigen Thalgrundes. Die
einspringenden Wiesen geben, mit Ausnahme eines verschwindend kleinen Flecks,
den ich aufforsten lassen werde, sehr guten Ertrag, da sie tiefern Boden haben,
während der Wald ans steinigen Erhebungen steht, in die der Berg ausläuft.
Ein erfahrner Forstmann aber äußerte noch vor kurzem, daß es kaum zu
glauben sei, wie man jemals habe daran denken können, diese Waldspitzen ab-
znforsten, wo es sich um nichts handle, als um Waldboden in des Wortes
eigentlichster Bedeutung. Und so könnte ich noch vieles anführen: zum Beispiel


Grenzboten IV 1897 15
Abermals zum Heimatschutz

Wie es die Verkopplung ist, zu rechtfertigen, von deren thatsächlichen Folgen
man sich daraufhin eine durchaus unzutreffende Vorstellung machen müßte.

Aus meiner eignen Erfahrung greife ich einiges heraus, das zeigen mag,
was die kahle Theorie, das „rationelle Prinzip" lediglich an praktischen Thor¬
heiten zu Wege bringt, wenn es, wie ich mich — ich glaube mit vollstem
Recht — ausgedrückt habe, der Natur rücksichtslos aufgczwängt wird. Man
rühmt mir die Geradlegung der Bäche unterhalb der Dörfer, die Abhilfe
von allen möglichen Übeln bringe, unter andern auch von Krankheiten. In
meiner Heimat ist auch der Bach unterhalb des Dorfes geradegelegt worden. Er
konnte seinen gewundnen Lauf nach wie vor durch eine mir gehörende Wiese
nehmen, wurde aber trotz meines Einspruchs in gerader Linie durch tiefes
Ackerland geführt. Jetzt nach Jahren ist die Unterwühlnng des Bodens so
weit gediehen, daß mit großen Kosten Vorkehrungen getroffen werden müssen,
um die weitere Abschwemmung des Ackers wenigstens vorläufig, wenn auch
ohne Aussicht auf dauernden Erfolg, zu verhindern. Von einem Abnehmen
der Krankheiten aber ist nichts zu spüren. Im Gegenteil: der Typhus wütet
seit zwei Jahren hier und in den benachbarten Dörfern, die sämtlich verkoppelt
haben, mit einer Heftigkeit, wie kaum je zuvor, und Diphtherie und Scharlach
fordern nach wie vor ihre Opfer. Auch eine so bedeutende Autorität wie der
verstorbne Oberforstmeister Burkhardt hat sich aufs entschiedenste gegen die
überhandnehmende Geradelegung natürlicher Wasserläufe ausgesprochen. Er
weist nach, daß sie das Wasser zu rasch abführt, und daß so das höher ge¬
legne Gelände, in dem keine Feuchtigkeit mehr verdunstet, oft in bedenklicher
Weise austrocknet.

Man hält mir ferner entgegen, die Waldspitzen würden nicht ohne trif¬
tigen Grund abgeschnitten, und man versicheri, sie seien dem Landmann ein
Greuel, und der Forstmann hasse sie nicht minder. Bei der Verkopplung in
meiner Heimat war das Abschneiden der sämtlichen Waldspitzen im Plane vor¬
gesehen, und die Forstgrenze demgemäß thatsächlich festgesetzt. Um jene zu
retten, erwarb ich durch Tausch die zwischenliegenden Wiesen und durfte infolge
dessen die Zuweisung der Waldspitzen selbst im Verkopplungsverfahren bean¬
spruchen. Dann erhielt ich mit Mühe die Erlaubnis, das Holz ans dem
Stamm, d. h. umgeschlagen zu kaufen, und so stehen die Bäume noch heute
als der schönste landschaftliche Schmuck des anmutigen Thalgrundes. Die
einspringenden Wiesen geben, mit Ausnahme eines verschwindend kleinen Flecks,
den ich aufforsten lassen werde, sehr guten Ertrag, da sie tiefern Boden haben,
während der Wald ans steinigen Erhebungen steht, in die der Berg ausläuft.
Ein erfahrner Forstmann aber äußerte noch vor kurzem, daß es kaum zu
glauben sei, wie man jemals habe daran denken können, diese Waldspitzen ab-
znforsten, wo es sich um nichts handle, als um Waldboden in des Wortes
eigentlichster Bedeutung. Und so könnte ich noch vieles anführen: zum Beispiel


Grenzboten IV 1897 15
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[0121] Abermals zum Heimatschutz Wie es die Verkopplung ist, zu rechtfertigen, von deren thatsächlichen Folgen man sich daraufhin eine durchaus unzutreffende Vorstellung machen müßte. Aus meiner eignen Erfahrung greife ich einiges heraus, das zeigen mag, was die kahle Theorie, das „rationelle Prinzip" lediglich an praktischen Thor¬ heiten zu Wege bringt, wenn es, wie ich mich — ich glaube mit vollstem Recht — ausgedrückt habe, der Natur rücksichtslos aufgczwängt wird. Man rühmt mir die Geradlegung der Bäche unterhalb der Dörfer, die Abhilfe von allen möglichen Übeln bringe, unter andern auch von Krankheiten. In meiner Heimat ist auch der Bach unterhalb des Dorfes geradegelegt worden. Er konnte seinen gewundnen Lauf nach wie vor durch eine mir gehörende Wiese nehmen, wurde aber trotz meines Einspruchs in gerader Linie durch tiefes Ackerland geführt. Jetzt nach Jahren ist die Unterwühlnng des Bodens so weit gediehen, daß mit großen Kosten Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die weitere Abschwemmung des Ackers wenigstens vorläufig, wenn auch ohne Aussicht auf dauernden Erfolg, zu verhindern. Von einem Abnehmen der Krankheiten aber ist nichts zu spüren. Im Gegenteil: der Typhus wütet seit zwei Jahren hier und in den benachbarten Dörfern, die sämtlich verkoppelt haben, mit einer Heftigkeit, wie kaum je zuvor, und Diphtherie und Scharlach fordern nach wie vor ihre Opfer. Auch eine so bedeutende Autorität wie der verstorbne Oberforstmeister Burkhardt hat sich aufs entschiedenste gegen die überhandnehmende Geradelegung natürlicher Wasserläufe ausgesprochen. Er weist nach, daß sie das Wasser zu rasch abführt, und daß so das höher ge¬ legne Gelände, in dem keine Feuchtigkeit mehr verdunstet, oft in bedenklicher Weise austrocknet. Man hält mir ferner entgegen, die Waldspitzen würden nicht ohne trif¬ tigen Grund abgeschnitten, und man versicheri, sie seien dem Landmann ein Greuel, und der Forstmann hasse sie nicht minder. Bei der Verkopplung in meiner Heimat war das Abschneiden der sämtlichen Waldspitzen im Plane vor¬ gesehen, und die Forstgrenze demgemäß thatsächlich festgesetzt. Um jene zu retten, erwarb ich durch Tausch die zwischenliegenden Wiesen und durfte infolge dessen die Zuweisung der Waldspitzen selbst im Verkopplungsverfahren bean¬ spruchen. Dann erhielt ich mit Mühe die Erlaubnis, das Holz ans dem Stamm, d. h. umgeschlagen zu kaufen, und so stehen die Bäume noch heute als der schönste landschaftliche Schmuck des anmutigen Thalgrundes. Die einspringenden Wiesen geben, mit Ausnahme eines verschwindend kleinen Flecks, den ich aufforsten lassen werde, sehr guten Ertrag, da sie tiefern Boden haben, während der Wald ans steinigen Erhebungen steht, in die der Berg ausläuft. Ein erfahrner Forstmann aber äußerte noch vor kurzem, daß es kaum zu glauben sei, wie man jemals habe daran denken können, diese Waldspitzen ab- znforsten, wo es sich um nichts handle, als um Waldboden in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Und so könnte ich noch vieles anführen: zum Beispiel Grenzboten IV 1897 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/121>, abgerufen am 17.06.2024.