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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckinan

spruchsloser Musik fröhlich tanzen, sitzen die Vornehmern im Herrenstüble um
den eichnen Tisch und sprechen von diesem und jenem, bis der eine von den
Hofbauern den Schulmeister Jürrn schließlich zur Erzählung einer seiner Ge¬
schichten auffordert. Diese beginnt mit der längern und meisterhaften Schilde¬
rung eines Novembertages, die denen in Brinckmcms Gedichten ähnlich ist,
und führt dann aus, wie der Fuchs vergeblich den Dohnensteig durchgeht,
daun einen Hasen fängt und endlich zur Mergelgrnbe kommt, an dessen Ufer
der Schweinigel an einem Manseknochen nagt. Nach Anknüpfung eines harm¬
losen Gesprächs will er diesen heimtückisch überfallen, aber das mißglückt ihm,
denn der Igel rollt sich schnell zusammen. Der Fuchs wirft ihn deshalb ins
Wasser, wo der Arme ängstlich umherschwimmt und flehentlich um Gnade
bittet. Schon drohen ihn seine letzten Kräfte zu verlassen, da ist der Fuchs
plötzlich verschwunden: er hat den Edelmann mit Jägern, Tagelöhnern und
Hunden kommen sehen und darum eilig den Rückzug in seinen Bau angetreten.
Während nun der Gutsbesitzer mit seinen Leuten den Fuchs auszugraben an¬
fängt, reift in dem mißhandelten Igel ein Racheplan, und der Fuchs findet,
als er sich schließlich durch seine neue Notröhre davon machen will, die Öff¬
nung durch den Stachelknäuel seines Gegners verstopft. Er muß zurück und
wird dann bei seinem Ausbruch durch die Hauptröhre erschossen. Der Schluß
giebt einige Betrachtungen der Anwesenden über das Gehörte und die Be¬
endigung des Festes. Der Kern des Ganzen ist natürlich die Tiergeschichte,
und ihre lebendige Durchführung zeigt nicht bloß die ausgezeichnete Be¬
obachtungsgabe des Dichters, sondern im allgemeinen auch die alte Vorliebe
der Niederdeutschen für diese Gattung, die von dem alten Tierepos bis herab
auf Reuters Hanne Rute gut vertreten ist. Die Anekdote selber gipfelt in
dem Racheakt, und in diesem liegt zugleich auch der Humor; ein hübscher
Rahmen aber schließt das Geschichtchen kunstvoll ein, sodaß das Ganze wie
ein kleines Kabinettstück wirkt.

Das zweite und größere Läuschen: Moleche Spinkus un de Pelz berichtet
von einem drolligen Vorkommnis in Dämelows Judeukreisen und schildert
gleichzeitig zwei nationale Eigenschaften der Semiten, ihre Kindesliebe und
ihren Handels- und Schachergeist. Bei feierlicher Begehung des Pnrimfestes
in der Synagoge wird der Schächter der Gemeinde Moleche Spinkus infolge
der großen Kälte und seines schadhaften alten Kutschermantels, den er sich vor
vielen Jahren auf einer Auktion gekauft hat, ohnmächtig. Seine Söhne,
Simon und Helmann, bringen ihn nach Hause und stellen ihn dort mit liebe¬
vollster Fürsorge leidlich wieder her; aber sie haben auch erkannt, daß es mit
der mangelhaften Livree unmöglich so weitergehen kann. Freilich hat jeder
von ihnen dem Alten früher schon das Doppelte für die greuliche Schabracke
geboten, aber das Ehrgefühl des Vaters hat sich dagegen gesträubt, von seinen
Kindern etwas anzunehmen. Nun kommt dem Helmann, der in Wolle spekulirt


John Brinckinan

spruchsloser Musik fröhlich tanzen, sitzen die Vornehmern im Herrenstüble um
den eichnen Tisch und sprechen von diesem und jenem, bis der eine von den
Hofbauern den Schulmeister Jürrn schließlich zur Erzählung einer seiner Ge¬
schichten auffordert. Diese beginnt mit der längern und meisterhaften Schilde¬
rung eines Novembertages, die denen in Brinckmcms Gedichten ähnlich ist,
und führt dann aus, wie der Fuchs vergeblich den Dohnensteig durchgeht,
daun einen Hasen fängt und endlich zur Mergelgrnbe kommt, an dessen Ufer
der Schweinigel an einem Manseknochen nagt. Nach Anknüpfung eines harm¬
losen Gesprächs will er diesen heimtückisch überfallen, aber das mißglückt ihm,
denn der Igel rollt sich schnell zusammen. Der Fuchs wirft ihn deshalb ins
Wasser, wo der Arme ängstlich umherschwimmt und flehentlich um Gnade
bittet. Schon drohen ihn seine letzten Kräfte zu verlassen, da ist der Fuchs
plötzlich verschwunden: er hat den Edelmann mit Jägern, Tagelöhnern und
Hunden kommen sehen und darum eilig den Rückzug in seinen Bau angetreten.
Während nun der Gutsbesitzer mit seinen Leuten den Fuchs auszugraben an¬
fängt, reift in dem mißhandelten Igel ein Racheplan, und der Fuchs findet,
als er sich schließlich durch seine neue Notröhre davon machen will, die Öff¬
nung durch den Stachelknäuel seines Gegners verstopft. Er muß zurück und
wird dann bei seinem Ausbruch durch die Hauptröhre erschossen. Der Schluß
giebt einige Betrachtungen der Anwesenden über das Gehörte und die Be¬
endigung des Festes. Der Kern des Ganzen ist natürlich die Tiergeschichte,
und ihre lebendige Durchführung zeigt nicht bloß die ausgezeichnete Be¬
obachtungsgabe des Dichters, sondern im allgemeinen auch die alte Vorliebe
der Niederdeutschen für diese Gattung, die von dem alten Tierepos bis herab
auf Reuters Hanne Rute gut vertreten ist. Die Anekdote selber gipfelt in
dem Racheakt, und in diesem liegt zugleich auch der Humor; ein hübscher
Rahmen aber schließt das Geschichtchen kunstvoll ein, sodaß das Ganze wie
ein kleines Kabinettstück wirkt.

Das zweite und größere Läuschen: Moleche Spinkus un de Pelz berichtet
von einem drolligen Vorkommnis in Dämelows Judeukreisen und schildert
gleichzeitig zwei nationale Eigenschaften der Semiten, ihre Kindesliebe und
ihren Handels- und Schachergeist. Bei feierlicher Begehung des Pnrimfestes
in der Synagoge wird der Schächter der Gemeinde Moleche Spinkus infolge
der großen Kälte und seines schadhaften alten Kutschermantels, den er sich vor
vielen Jahren auf einer Auktion gekauft hat, ohnmächtig. Seine Söhne,
Simon und Helmann, bringen ihn nach Hause und stellen ihn dort mit liebe¬
vollster Fürsorge leidlich wieder her; aber sie haben auch erkannt, daß es mit
der mangelhaften Livree unmöglich so weitergehen kann. Freilich hat jeder
von ihnen dem Alten früher schon das Doppelte für die greuliche Schabracke
geboten, aber das Ehrgefühl des Vaters hat sich dagegen gesträubt, von seinen
Kindern etwas anzunehmen. Nun kommt dem Helmann, der in Wolle spekulirt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/138>, abgerufen am 17.06.2024.