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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckmcin

mögen sich nicht weit über die Nachahmer erheben, die z. B. auch Heine mit
seinem Ton gehabt hat. Aber von dieser Schar unterscheidet sich Brinckmcm
doch wesentlich, und wenn er auch nicht unbedingt in der ersten Reihe
steht, so hat er doch in seinen kleinen Liedern und besonders in seinen Land¬
schafts- und Stimmungsbildern so viel eigenartiges und schönes geschaffen,
daß er die ihn allmählich überschattende Vergessenheit nicht verdient. Er hat
nach seinem Meister einen besondern Zweig der lyrischen Dichtung so hervor¬
ragend gepflegt und mit Hilfe einer edeln Sprache und einer großartigen
Weise, die Dinge zu erfassen und zu vergleichen, so ausgebildet, daß er auf
diesem Gebiete fast ein Meister seines Meisters geworden ist.

Die Prosnischen Werke Brinckmcms in plattdeutscher Sprache liegen in
drei Bünden vor: 1. Kleine Erzählungen (Boß un Swinegel, Höger up,
Moleche Spinkus un de Pelz, de General-Reeber, Peter Lurenz bi Abukir),
3. Auflage, Rostock, Werther, 1895; 2. Uns' Herrgott up Reisen init einem
neuen Titelblatt versehen und als neue billige Ausgabe bezeichnet, ebenda,
1894); und 3. Kasper-Ohm un ick (desgl. 5. Auflage, 1894).

Beginnen wir mit den kleinern Erzählungen.

Mit Recht behauptet Adolf Wilbrcmdt in seiner vortrefflichen Biographie
Reuters, wie den Italiener die oonvörs^loro, den Perser und Araber der
Bortrag seiner phantastischen Märchen beglücke, so sei des Mecklenburgers
Urbehagcn, drollige "Geschichten" erzählen zu hören -- sie mögen so alt sein,
wie sie wollen, jedermann möge sie kennen: der lebendige, künstlerisch-humo¬
ristische Vortrag mache sie neu. Dazu kommt, daß der Mecklenburger als
solcher auch ein angebornes Talent hat, Kleinigkeiten behaglich und plastisch
zu gestalten. Schon die Art, wie er die Dinge sieht und, wenn sie ihm ferner
liege", in seine Sphäre hinein- oder hinabzieht, wirkt überaus komisch und ist
mich bei untergeordneten Personen drastisch-humoristisch. So entsinne ich mich
deutlich, welches fast künstlerische Vergnügen es mir vor einigen Jahren machte,
als ein übrigens nicht gerade angenehmer und sonst unbedeutender Versicherungs¬
agent, der aus Mecklenburg stammte, sich mir gegenüber in höchst naiver Weise
über die Bedenklichkeiten der Schöpfungswunder anstieß. In Reuters freilich
nicht gleichwertigen, aber doch immer noch nicht genug gewürdigten Lauschen
un Rimels feiert diese Nationaleigenschaft der Mecklenburger ihre Triumphe.
Aber auch Brinckmcm besitzt sie in ganz hervorragendem Maße; das zeigt
-- abgesehen von einzelnen, oben kurz hervorgehobnen Gedichten -- gleich sein
Läuschen: Voß un Swinegel ore den Brüder geiht üm (das Necken geht
um wie du mir, so ich dir).

Die kleine Erzählung ist breiter und kunstvoller angelegt als die meisten
in Reuters Läuschen un Rimels. Sie führt uns zunächst in einen Dvrflrug,
wo die Leute eines "richtigen" Edelmannes zusammen mit den Honoratioren
des Dorfes das Erntefest feiern. Während die Knechte und Mägde bei cm-


Grenzboten IV 1897 17
John Brinckmcin

mögen sich nicht weit über die Nachahmer erheben, die z. B. auch Heine mit
seinem Ton gehabt hat. Aber von dieser Schar unterscheidet sich Brinckmcm
doch wesentlich, und wenn er auch nicht unbedingt in der ersten Reihe
steht, so hat er doch in seinen kleinen Liedern und besonders in seinen Land¬
schafts- und Stimmungsbildern so viel eigenartiges und schönes geschaffen,
daß er die ihn allmählich überschattende Vergessenheit nicht verdient. Er hat
nach seinem Meister einen besondern Zweig der lyrischen Dichtung so hervor¬
ragend gepflegt und mit Hilfe einer edeln Sprache und einer großartigen
Weise, die Dinge zu erfassen und zu vergleichen, so ausgebildet, daß er auf
diesem Gebiete fast ein Meister seines Meisters geworden ist.

Die Prosnischen Werke Brinckmcms in plattdeutscher Sprache liegen in
drei Bünden vor: 1. Kleine Erzählungen (Boß un Swinegel, Höger up,
Moleche Spinkus un de Pelz, de General-Reeber, Peter Lurenz bi Abukir),
3. Auflage, Rostock, Werther, 1895; 2. Uns' Herrgott up Reisen init einem
neuen Titelblatt versehen und als neue billige Ausgabe bezeichnet, ebenda,
1894); und 3. Kasper-Ohm un ick (desgl. 5. Auflage, 1894).

Beginnen wir mit den kleinern Erzählungen.

Mit Recht behauptet Adolf Wilbrcmdt in seiner vortrefflichen Biographie
Reuters, wie den Italiener die oonvörs^loro, den Perser und Araber der
Bortrag seiner phantastischen Märchen beglücke, so sei des Mecklenburgers
Urbehagcn, drollige „Geschichten" erzählen zu hören — sie mögen so alt sein,
wie sie wollen, jedermann möge sie kennen: der lebendige, künstlerisch-humo¬
ristische Vortrag mache sie neu. Dazu kommt, daß der Mecklenburger als
solcher auch ein angebornes Talent hat, Kleinigkeiten behaglich und plastisch
zu gestalten. Schon die Art, wie er die Dinge sieht und, wenn sie ihm ferner
liege», in seine Sphäre hinein- oder hinabzieht, wirkt überaus komisch und ist
mich bei untergeordneten Personen drastisch-humoristisch. So entsinne ich mich
deutlich, welches fast künstlerische Vergnügen es mir vor einigen Jahren machte,
als ein übrigens nicht gerade angenehmer und sonst unbedeutender Versicherungs¬
agent, der aus Mecklenburg stammte, sich mir gegenüber in höchst naiver Weise
über die Bedenklichkeiten der Schöpfungswunder anstieß. In Reuters freilich
nicht gleichwertigen, aber doch immer noch nicht genug gewürdigten Lauschen
un Rimels feiert diese Nationaleigenschaft der Mecklenburger ihre Triumphe.
Aber auch Brinckmcm besitzt sie in ganz hervorragendem Maße; das zeigt
— abgesehen von einzelnen, oben kurz hervorgehobnen Gedichten — gleich sein
Läuschen: Voß un Swinegel ore den Brüder geiht üm (das Necken geht
um wie du mir, so ich dir).

Die kleine Erzählung ist breiter und kunstvoller angelegt als die meisten
in Reuters Läuschen un Rimels. Sie führt uns zunächst in einen Dvrflrug,
wo die Leute eines „richtigen" Edelmannes zusammen mit den Honoratioren
des Dorfes das Erntefest feiern. Während die Knechte und Mägde bei cm-


Grenzboten IV 1897 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/137>, abgerufen am 17.06.2024.