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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckman

Benjamin kommt deshalb auf den Gedanken, einen neuen Rock für nenn Thaler
zu kaufen und ihn dann dem Alten für zwei Thaler zu verhandeln. Gesagt,
gethan. Moses geht fort, kehrt aber bald wieder zurück und bändigt seinem
verwunderten Jüngsten zwei Thaler ein: "Ich kriegte vier, zwei dir, zwei mir,
mag Gott uns oft so'n Nebbes geben." Wir haben hier eine ganz andre,
niedrigere Sphäre. Auch sonst steht Vrinckmans kunstvoll angelegte und fein
durchgearbeitete Erzählung höher als die rascher und flüchtiger hingeworfne
Anekdote Reuters. Man sieht, daß zwischen Läuschen und Lauschen doch ein
Unterschied ist, und daß es Brinckman an ernstem Willen und tieferer künst¬
lerischer Auffassung nicht gefehlt hat. Reuter erdrückte dann freilich mit der
Leichtigkeit seines Schaffens und der Masse seiner Stoffe und Einfälle seinen
Nebenbuhler schließlich auch auf diesem Gebiet.

Die dritte Geschichte Vrinckmans ist Peter Lurenz bi Abukir. Über die
Person seines Helden giebt uns der Dichter selber in einer ziemlich ausführ¬
lichen Einleitung Auskunft. Darnach ist Peter Lorenz ein in den dreißiger
Jahren verstorbner Schiffskapitän in Rostock gewesen, der zwar viel von der
Welt gesehen hatte, aber doch keine wahre Bildung und keinen sittlichen Gehalt
hatte. Darum begann er auch sich selbst mit allen Haupt- und Staatsaktionen
seiner Zeit in Verbindung zu bringen und konzentrirte zuletzt die ganze
Politik ausschließlich um seine Person. Er war eine Art von politischem
Münchhausen und hatte sich in seinem eignen Ideenkreise so sestgelogen, daß
er an sich selber glaubte. Die ungeheuerlichen Geschichten, die er namentlich
in der Seemannskneipe "Norwegen" alten Berufsgenossen vorzutragen pflegte,
erregten bald in weitern Kreisen Aufsehen und wurden auch litterarisch ver¬
wertet, besonders die beiden Histörchen, einmal wie der König von Dänemark
seiner Gemahlin zuruft: "Mnriken, Stab trift up un back Peter Lurenz en
Pannkanken (Pfannkuchen); hei het't bild (eilig)!" -- und dann die Schlacht
bei Austerlitz, wo Peter Lorenz mit 25000 Mann Kavallerie, 100 Trompeter
vorauf, in die Russen und Österreicher "hineinramcntet" und deu Tag zu
Gunsten seines Freundes und Duzbruders Napoleon entscheidet. Zu diesen
gesellt sich nun als drittes das Lüuschen von Peter Lorenz bei Abukir. Peter
Lorenz hat sich diesmal bei dem Brauer Block eingefunden, auch einem origi¬
nellen Kauz, und erzählt diesem zunächst von der großen Erfindung, die er
vor Jahren bei einer den ganzen Winter hindurch währenden Beschäftigung
mit der Nautik gemacht habe, nämlich von seiner "horizontalen Peilung und
dem submarinen Pegel mit den tummelten smaller." Der Nutzen dieser
gewaltigen Neuerung, dnrch die "die Navigation mit einem gewaltigen
Ruck gleich ein paar Jahrhunderte vorwärtsgeschoben worden ist," sollte sich
bei Abukir zeigen. Peter Lorenz befand sich um die Zeit als Superkargo
(kaufmännischer Vevollinüchtigter des Eigentümers) gerade auf der Kaatje
Nacitje, die Traubenrosinen von Smyrna nach Rotterdam bringen sollte, als


John Brinckman

Benjamin kommt deshalb auf den Gedanken, einen neuen Rock für nenn Thaler
zu kaufen und ihn dann dem Alten für zwei Thaler zu verhandeln. Gesagt,
gethan. Moses geht fort, kehrt aber bald wieder zurück und bändigt seinem
verwunderten Jüngsten zwei Thaler ein: „Ich kriegte vier, zwei dir, zwei mir,
mag Gott uns oft so'n Nebbes geben." Wir haben hier eine ganz andre,
niedrigere Sphäre. Auch sonst steht Vrinckmans kunstvoll angelegte und fein
durchgearbeitete Erzählung höher als die rascher und flüchtiger hingeworfne
Anekdote Reuters. Man sieht, daß zwischen Läuschen und Lauschen doch ein
Unterschied ist, und daß es Brinckman an ernstem Willen und tieferer künst¬
lerischer Auffassung nicht gefehlt hat. Reuter erdrückte dann freilich mit der
Leichtigkeit seines Schaffens und der Masse seiner Stoffe und Einfälle seinen
Nebenbuhler schließlich auch auf diesem Gebiet.

Die dritte Geschichte Vrinckmans ist Peter Lurenz bi Abukir. Über die
Person seines Helden giebt uns der Dichter selber in einer ziemlich ausführ¬
lichen Einleitung Auskunft. Darnach ist Peter Lorenz ein in den dreißiger
Jahren verstorbner Schiffskapitän in Rostock gewesen, der zwar viel von der
Welt gesehen hatte, aber doch keine wahre Bildung und keinen sittlichen Gehalt
hatte. Darum begann er auch sich selbst mit allen Haupt- und Staatsaktionen
seiner Zeit in Verbindung zu bringen und konzentrirte zuletzt die ganze
Politik ausschließlich um seine Person. Er war eine Art von politischem
Münchhausen und hatte sich in seinem eignen Ideenkreise so sestgelogen, daß
er an sich selber glaubte. Die ungeheuerlichen Geschichten, die er namentlich
in der Seemannskneipe „Norwegen" alten Berufsgenossen vorzutragen pflegte,
erregten bald in weitern Kreisen Aufsehen und wurden auch litterarisch ver¬
wertet, besonders die beiden Histörchen, einmal wie der König von Dänemark
seiner Gemahlin zuruft: „Mnriken, Stab trift up un back Peter Lurenz en
Pannkanken (Pfannkuchen); hei het't bild (eilig)!" — und dann die Schlacht
bei Austerlitz, wo Peter Lorenz mit 25000 Mann Kavallerie, 100 Trompeter
vorauf, in die Russen und Österreicher „hineinramcntet" und deu Tag zu
Gunsten seines Freundes und Duzbruders Napoleon entscheidet. Zu diesen
gesellt sich nun als drittes das Lüuschen von Peter Lorenz bei Abukir. Peter
Lorenz hat sich diesmal bei dem Brauer Block eingefunden, auch einem origi¬
nellen Kauz, und erzählt diesem zunächst von der großen Erfindung, die er
vor Jahren bei einer den ganzen Winter hindurch währenden Beschäftigung
mit der Nautik gemacht habe, nämlich von seiner „horizontalen Peilung und
dem submarinen Pegel mit den tummelten smaller." Der Nutzen dieser
gewaltigen Neuerung, dnrch die „die Navigation mit einem gewaltigen
Ruck gleich ein paar Jahrhunderte vorwärtsgeschoben worden ist," sollte sich
bei Abukir zeigen. Peter Lorenz befand sich um die Zeit als Superkargo
(kaufmännischer Vevollinüchtigter des Eigentümers) gerade auf der Kaatje
Nacitje, die Traubenrosinen von Smyrna nach Rotterdam bringen sollte, als


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[0140] John Brinckman Benjamin kommt deshalb auf den Gedanken, einen neuen Rock für nenn Thaler zu kaufen und ihn dann dem Alten für zwei Thaler zu verhandeln. Gesagt, gethan. Moses geht fort, kehrt aber bald wieder zurück und bändigt seinem verwunderten Jüngsten zwei Thaler ein: „Ich kriegte vier, zwei dir, zwei mir, mag Gott uns oft so'n Nebbes geben." Wir haben hier eine ganz andre, niedrigere Sphäre. Auch sonst steht Vrinckmans kunstvoll angelegte und fein durchgearbeitete Erzählung höher als die rascher und flüchtiger hingeworfne Anekdote Reuters. Man sieht, daß zwischen Läuschen und Lauschen doch ein Unterschied ist, und daß es Brinckman an ernstem Willen und tieferer künst¬ lerischer Auffassung nicht gefehlt hat. Reuter erdrückte dann freilich mit der Leichtigkeit seines Schaffens und der Masse seiner Stoffe und Einfälle seinen Nebenbuhler schließlich auch auf diesem Gebiet. Die dritte Geschichte Vrinckmans ist Peter Lurenz bi Abukir. Über die Person seines Helden giebt uns der Dichter selber in einer ziemlich ausführ¬ lichen Einleitung Auskunft. Darnach ist Peter Lorenz ein in den dreißiger Jahren verstorbner Schiffskapitän in Rostock gewesen, der zwar viel von der Welt gesehen hatte, aber doch keine wahre Bildung und keinen sittlichen Gehalt hatte. Darum begann er auch sich selbst mit allen Haupt- und Staatsaktionen seiner Zeit in Verbindung zu bringen und konzentrirte zuletzt die ganze Politik ausschließlich um seine Person. Er war eine Art von politischem Münchhausen und hatte sich in seinem eignen Ideenkreise so sestgelogen, daß er an sich selber glaubte. Die ungeheuerlichen Geschichten, die er namentlich in der Seemannskneipe „Norwegen" alten Berufsgenossen vorzutragen pflegte, erregten bald in weitern Kreisen Aufsehen und wurden auch litterarisch ver¬ wertet, besonders die beiden Histörchen, einmal wie der König von Dänemark seiner Gemahlin zuruft: „Mnriken, Stab trift up un back Peter Lurenz en Pannkanken (Pfannkuchen); hei het't bild (eilig)!" — und dann die Schlacht bei Austerlitz, wo Peter Lorenz mit 25000 Mann Kavallerie, 100 Trompeter vorauf, in die Russen und Österreicher „hineinramcntet" und deu Tag zu Gunsten seines Freundes und Duzbruders Napoleon entscheidet. Zu diesen gesellt sich nun als drittes das Lüuschen von Peter Lorenz bei Abukir. Peter Lorenz hat sich diesmal bei dem Brauer Block eingefunden, auch einem origi¬ nellen Kauz, und erzählt diesem zunächst von der großen Erfindung, die er vor Jahren bei einer den ganzen Winter hindurch währenden Beschäftigung mit der Nautik gemacht habe, nämlich von seiner „horizontalen Peilung und dem submarinen Pegel mit den tummelten smaller." Der Nutzen dieser gewaltigen Neuerung, dnrch die „die Navigation mit einem gewaltigen Ruck gleich ein paar Jahrhunderte vorwärtsgeschoben worden ist," sollte sich bei Abukir zeigen. Peter Lorenz befand sich um die Zeit als Superkargo (kaufmännischer Vevollinüchtigter des Eigentümers) gerade auf der Kaatje Nacitje, die Traubenrosinen von Smyrna nach Rotterdam bringen sollte, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/140>, abgerufen am 17.06.2024.