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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

der "aus dem Wald" kommenden Jlz verbindet: die Alpen vereinigen sich mit
dem Schwarzwald und dem Bcnrischen Wald.

So sind auch die Menschen von den Alpenfirsten bis über die Donau
hinaus viel ähnlicher, als der Grundunterschied ihrer Lebensbedingungen er¬
warten läßt. Der bairische Stamm bleibt sich merkwürdig gleich zwischen Lech
und Plattensee und zwischen der Oberpfalz und der südtirolischen Alpenwacht.
Wenn sich jeder Deutsche unter deutschgebildeten österreichischen Offizieren in
Nodnci, Agram oder Zara, oder wo es sonst in dem weiten Reich der Habs¬
burger sein möge, heimisch fühlt, wie er sich einst in Mailand und Ancona unter
ihnen heimisch fühlte, so sind es bairische Züge, die ihn anmuten. Oberflächlich
scheinen Wien und München sehr verschieden zu sein, ja noch immer mehr
auseinanderzugehen. Und doch, je größer München wird, desto mehr treten
wienerische Züge in seiner allmählich sich ausbildenden Großstadtphysiognvmie
hervor. Die zweite Großstadt des bairischen Stammes im Donauland wird
der ersten einst ähnlicher sein, als die norddeutschen Großstädte mit all ihrem
Verkehr unter einander gewordcu sind.

Heinrich Nov erzählt einmal eine Vision, die er im altbnjuvarischen, nun
längst verwelschten Cevedale vor einer Strohflaschc küstenländischen Weines
hatte. Die Bajuvaren waren wieder ausgelebt und traten der eine als Land¬
richter, der andre als Aufschläger, ein dritter als Bezirksarzt usw. zur Zeit des
Frühschoppens in die Wirtsstnbe. Sie hatten mit vereinten Kräften ein Füßchen
Bock aus einer berühmten Münchner Brauerei kommen lassen, das sie nun
mit heiterm Ernst auslachen und unter dem behaglichen Genuß von Vockwürstelu,
Radi und Fastenbretzeln bei Geigen- und Zitherklang und frohen Liedern aus¬
schlürften. So Hütte es allerdings sein können, wenn sich die alten Vaiern in
Friaul gehalten Hütten. Aber die heißere Sonne der Südalpen hat dem
Stamm nirgends gut gethan. Er hat sich selbst und alle seine alten Charakter¬
züge am besten im Gebirge und auf der Hochebne erhalten. Und noch mehr
gilt von ihm als von andern deutschen Stämmen, daß er die Stadtluft schlecht
verträgt. Der Baier ist Bauer bis ins Mark, und die cmmutenosten, behag¬
lichsten Züge Münchens gehören dem Untergrund von Ländlichkeit an, der der
Hauptstadt Baierns die Züge einer großen behaglichen Landstadt verlieh, als
sie schon 200000 Einwohner zählte. Der bairische Stamm bewohnt freilich
ein städtereiches Land, weil hier der Verkehr zwischen dem Süden und Norden
und dem Osten und Westen Europas durchflutet. Aber Baiern ist ein Land
der behaglichen Städte. Behaglich sind vor allem die unberührtesten: Lands¬
hut und Straubing. Welche Schweizerstadt hat so warme Freunde in der
ganzen Welt, wie Innsbruck und Salzburg? Das macht nicht bloß die Lage;
auch die breite Anlage, der wohlthuende Übergang ins Dorflinde und die an¬
spruchslose Art ihrer Bewohner trägt dazu bei, die wie ihre Städte nicht trotzig
ins Land hinunterschauen, sondern ganz damit zusammengehören. Salzburgs


Altbairische Wanderungen

der „aus dem Wald" kommenden Jlz verbindet: die Alpen vereinigen sich mit
dem Schwarzwald und dem Bcnrischen Wald.

So sind auch die Menschen von den Alpenfirsten bis über die Donau
hinaus viel ähnlicher, als der Grundunterschied ihrer Lebensbedingungen er¬
warten läßt. Der bairische Stamm bleibt sich merkwürdig gleich zwischen Lech
und Plattensee und zwischen der Oberpfalz und der südtirolischen Alpenwacht.
Wenn sich jeder Deutsche unter deutschgebildeten österreichischen Offizieren in
Nodnci, Agram oder Zara, oder wo es sonst in dem weiten Reich der Habs¬
burger sein möge, heimisch fühlt, wie er sich einst in Mailand und Ancona unter
ihnen heimisch fühlte, so sind es bairische Züge, die ihn anmuten. Oberflächlich
scheinen Wien und München sehr verschieden zu sein, ja noch immer mehr
auseinanderzugehen. Und doch, je größer München wird, desto mehr treten
wienerische Züge in seiner allmählich sich ausbildenden Großstadtphysiognvmie
hervor. Die zweite Großstadt des bairischen Stammes im Donauland wird
der ersten einst ähnlicher sein, als die norddeutschen Großstädte mit all ihrem
Verkehr unter einander gewordcu sind.

Heinrich Nov erzählt einmal eine Vision, die er im altbnjuvarischen, nun
längst verwelschten Cevedale vor einer Strohflaschc küstenländischen Weines
hatte. Die Bajuvaren waren wieder ausgelebt und traten der eine als Land¬
richter, der andre als Aufschläger, ein dritter als Bezirksarzt usw. zur Zeit des
Frühschoppens in die Wirtsstnbe. Sie hatten mit vereinten Kräften ein Füßchen
Bock aus einer berühmten Münchner Brauerei kommen lassen, das sie nun
mit heiterm Ernst auslachen und unter dem behaglichen Genuß von Vockwürstelu,
Radi und Fastenbretzeln bei Geigen- und Zitherklang und frohen Liedern aus¬
schlürften. So Hütte es allerdings sein können, wenn sich die alten Vaiern in
Friaul gehalten Hütten. Aber die heißere Sonne der Südalpen hat dem
Stamm nirgends gut gethan. Er hat sich selbst und alle seine alten Charakter¬
züge am besten im Gebirge und auf der Hochebne erhalten. Und noch mehr
gilt von ihm als von andern deutschen Stämmen, daß er die Stadtluft schlecht
verträgt. Der Baier ist Bauer bis ins Mark, und die cmmutenosten, behag¬
lichsten Züge Münchens gehören dem Untergrund von Ländlichkeit an, der der
Hauptstadt Baierns die Züge einer großen behaglichen Landstadt verlieh, als
sie schon 200000 Einwohner zählte. Der bairische Stamm bewohnt freilich
ein städtereiches Land, weil hier der Verkehr zwischen dem Süden und Norden
und dem Osten und Westen Europas durchflutet. Aber Baiern ist ein Land
der behaglichen Städte. Behaglich sind vor allem die unberührtesten: Lands¬
hut und Straubing. Welche Schweizerstadt hat so warme Freunde in der
ganzen Welt, wie Innsbruck und Salzburg? Das macht nicht bloß die Lage;
auch die breite Anlage, der wohlthuende Übergang ins Dorflinde und die an¬
spruchslose Art ihrer Bewohner trägt dazu bei, die wie ihre Städte nicht trotzig
ins Land hinunterschauen, sondern ganz damit zusammengehören. Salzburgs


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[0143] Altbairische Wanderungen der „aus dem Wald" kommenden Jlz verbindet: die Alpen vereinigen sich mit dem Schwarzwald und dem Bcnrischen Wald. So sind auch die Menschen von den Alpenfirsten bis über die Donau hinaus viel ähnlicher, als der Grundunterschied ihrer Lebensbedingungen er¬ warten läßt. Der bairische Stamm bleibt sich merkwürdig gleich zwischen Lech und Plattensee und zwischen der Oberpfalz und der südtirolischen Alpenwacht. Wenn sich jeder Deutsche unter deutschgebildeten österreichischen Offizieren in Nodnci, Agram oder Zara, oder wo es sonst in dem weiten Reich der Habs¬ burger sein möge, heimisch fühlt, wie er sich einst in Mailand und Ancona unter ihnen heimisch fühlte, so sind es bairische Züge, die ihn anmuten. Oberflächlich scheinen Wien und München sehr verschieden zu sein, ja noch immer mehr auseinanderzugehen. Und doch, je größer München wird, desto mehr treten wienerische Züge in seiner allmählich sich ausbildenden Großstadtphysiognvmie hervor. Die zweite Großstadt des bairischen Stammes im Donauland wird der ersten einst ähnlicher sein, als die norddeutschen Großstädte mit all ihrem Verkehr unter einander gewordcu sind. Heinrich Nov erzählt einmal eine Vision, die er im altbnjuvarischen, nun längst verwelschten Cevedale vor einer Strohflaschc küstenländischen Weines hatte. Die Bajuvaren waren wieder ausgelebt und traten der eine als Land¬ richter, der andre als Aufschläger, ein dritter als Bezirksarzt usw. zur Zeit des Frühschoppens in die Wirtsstnbe. Sie hatten mit vereinten Kräften ein Füßchen Bock aus einer berühmten Münchner Brauerei kommen lassen, das sie nun mit heiterm Ernst auslachen und unter dem behaglichen Genuß von Vockwürstelu, Radi und Fastenbretzeln bei Geigen- und Zitherklang und frohen Liedern aus¬ schlürften. So Hütte es allerdings sein können, wenn sich die alten Vaiern in Friaul gehalten Hütten. Aber die heißere Sonne der Südalpen hat dem Stamm nirgends gut gethan. Er hat sich selbst und alle seine alten Charakter¬ züge am besten im Gebirge und auf der Hochebne erhalten. Und noch mehr gilt von ihm als von andern deutschen Stämmen, daß er die Stadtluft schlecht verträgt. Der Baier ist Bauer bis ins Mark, und die cmmutenosten, behag¬ lichsten Züge Münchens gehören dem Untergrund von Ländlichkeit an, der der Hauptstadt Baierns die Züge einer großen behaglichen Landstadt verlieh, als sie schon 200000 Einwohner zählte. Der bairische Stamm bewohnt freilich ein städtereiches Land, weil hier der Verkehr zwischen dem Süden und Norden und dem Osten und Westen Europas durchflutet. Aber Baiern ist ein Land der behaglichen Städte. Behaglich sind vor allem die unberührtesten: Lands¬ hut und Straubing. Welche Schweizerstadt hat so warme Freunde in der ganzen Welt, wie Innsbruck und Salzburg? Das macht nicht bloß die Lage; auch die breite Anlage, der wohlthuende Übergang ins Dorflinde und die an¬ spruchslose Art ihrer Bewohner trägt dazu bei, die wie ihre Städte nicht trotzig ins Land hinunterschauen, sondern ganz damit zusammengehören. Salzburgs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/143>, abgerufen am 17.06.2024.