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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

Schönheit wird auch von den Landleuten verstanden und gewürdigt. Unter
den Gegensätzen, deren Vereinigung gerade hier etwas so Wunderschönes ge¬
schaffen hat, sind einige auch dem kindlichsten Verständnis zugänglich. Dazu
gehört besonders der Blick ans die weite Ebene draußen und die schönen
Nvkokobauten innen. Es ist ein gewaltiger Reichtum, der hier entfaltet ist:
Verg und Ebene, Fluß und Wald, der graue Fels, der aus den weichen grünen
Matten hervorsteigt, dazu die Mischung von monumentalen und schlicht bürger¬
lichem Charakter. Die geschichtlichen Erinnerungen sind in Innsbruck nicht
unbedeutend, aber sie drängen sich nicht auf. Und trotz der unvergeßlichen
Grabwächter Peter Wischers in der Franziskaner-Hofkirche ist das größte
Monument das am Verg Isel dem Andre Hofer gesetzte, dem Sandwirt, der
in der stolzen Hofburg bäuerlich Hof hielt und mit dem beschränkt gesunden
Menschenverstande des Bauern das Land Tirol verwaltete. Der Baier, der
über die Grenze kommt, liebt nicht die scharfgeschnittnen, dunkeln Gesichter der
Beamten und die mancher Bürger, auf denen eine merkwürdige Mischung von
Beweglichkeit und Schlaffheit liegt, die eine mehr in den Augen, die andre
mehr im Mund; er findet sich erst in dem derben Tiroler Bauer wieder. Mit
Bedauern empfindet er aber, daß jene mit italienischem und slawischen Blute
versetzten eigentlichen Österreicher dem bairischen Stammverwandten den
Charakter etwas "verdrückt" habe", und selbst der bairische Holzknecht sieht
mit so etwas wie Mitleid auf seine Tiroler Genossen herab.

Als Ludwig I. seine Kunststadt München schuf, da war der Stamm, auf
den dieses neue Reis gepfropft wurde, durchaus uicht bloß eine Residenzstadt
wie Stuttgart und noch weniger wie Karlsruhe oder Darmstadt. München
war eine Stadt der Bauern und kleinen Bürger, eine Stadt voll Ehrlichkeit,
Frömmigkeit und alter Sitte, aber von wenig Strebsamkeit und Luxus. Die
sogenannten geistigen Interessen traten in den Hintergrund. Der Volkscharakter
des Münchners ist das konzentrirte Altbaierntum, zwar abgeschliffen, aber nicht
unkenntlich gemacht. Die beste Schilderung des "Müuchuers im sozialen
Licht," die 1877 Max Haushofer in einem nicht in die weitere Öffentlichkeit
gedrungnen Aufsatze gab, sagt von den Münchnern um 1830: Vielleicht in
keiner andern Stadt Deutschlands kam das Bauernelement so zum Durchbruch
als gerade in München. Menschen, die mit feineren Werkzeug Hantiren, scheinen
auch mehr mit Hobel und Feile bearbeitet; im alten München waren ton¬
angebende Werkzeuge die Geißel der Getreidebauern und die Axt des Flößers.
Da Schalles.") Davon ist nun viel abgebröckelt und fortgespült. Äußerlich



Das Schicksal dieses geistvollen Schriftchens ist auch bezeichnend. Mnx Haushofer
hatte es auf den Wunsch eines Ausschusses geschrieben, der mit der Herausgabe eines Führers
durch München für die im Jahre 1877 dort versammelten deutschen Naturforscher und Ärzte
beschäftigt war. Durch die bei aller Pietät offne Aussprache auch über die bairischen Stammes¬
fehler im Münchner fühlte sich ein gelehrter Münchner so gekränkt, daß er mit seinem Mal-
Altbairische Wanderungen

Schönheit wird auch von den Landleuten verstanden und gewürdigt. Unter
den Gegensätzen, deren Vereinigung gerade hier etwas so Wunderschönes ge¬
schaffen hat, sind einige auch dem kindlichsten Verständnis zugänglich. Dazu
gehört besonders der Blick ans die weite Ebene draußen und die schönen
Nvkokobauten innen. Es ist ein gewaltiger Reichtum, der hier entfaltet ist:
Verg und Ebene, Fluß und Wald, der graue Fels, der aus den weichen grünen
Matten hervorsteigt, dazu die Mischung von monumentalen und schlicht bürger¬
lichem Charakter. Die geschichtlichen Erinnerungen sind in Innsbruck nicht
unbedeutend, aber sie drängen sich nicht auf. Und trotz der unvergeßlichen
Grabwächter Peter Wischers in der Franziskaner-Hofkirche ist das größte
Monument das am Verg Isel dem Andre Hofer gesetzte, dem Sandwirt, der
in der stolzen Hofburg bäuerlich Hof hielt und mit dem beschränkt gesunden
Menschenverstande des Bauern das Land Tirol verwaltete. Der Baier, der
über die Grenze kommt, liebt nicht die scharfgeschnittnen, dunkeln Gesichter der
Beamten und die mancher Bürger, auf denen eine merkwürdige Mischung von
Beweglichkeit und Schlaffheit liegt, die eine mehr in den Augen, die andre
mehr im Mund; er findet sich erst in dem derben Tiroler Bauer wieder. Mit
Bedauern empfindet er aber, daß jene mit italienischem und slawischen Blute
versetzten eigentlichen Österreicher dem bairischen Stammverwandten den
Charakter etwas „verdrückt" habe», und selbst der bairische Holzknecht sieht
mit so etwas wie Mitleid auf seine Tiroler Genossen herab.

Als Ludwig I. seine Kunststadt München schuf, da war der Stamm, auf
den dieses neue Reis gepfropft wurde, durchaus uicht bloß eine Residenzstadt
wie Stuttgart und noch weniger wie Karlsruhe oder Darmstadt. München
war eine Stadt der Bauern und kleinen Bürger, eine Stadt voll Ehrlichkeit,
Frömmigkeit und alter Sitte, aber von wenig Strebsamkeit und Luxus. Die
sogenannten geistigen Interessen traten in den Hintergrund. Der Volkscharakter
des Münchners ist das konzentrirte Altbaierntum, zwar abgeschliffen, aber nicht
unkenntlich gemacht. Die beste Schilderung des „Müuchuers im sozialen
Licht," die 1877 Max Haushofer in einem nicht in die weitere Öffentlichkeit
gedrungnen Aufsatze gab, sagt von den Münchnern um 1830: Vielleicht in
keiner andern Stadt Deutschlands kam das Bauernelement so zum Durchbruch
als gerade in München. Menschen, die mit feineren Werkzeug Hantiren, scheinen
auch mehr mit Hobel und Feile bearbeitet; im alten München waren ton¬
angebende Werkzeuge die Geißel der Getreidebauern und die Axt des Flößers.
Da Schalles.") Davon ist nun viel abgebröckelt und fortgespült. Äußerlich



Das Schicksal dieses geistvollen Schriftchens ist auch bezeichnend. Mnx Haushofer
hatte es auf den Wunsch eines Ausschusses geschrieben, der mit der Herausgabe eines Führers
durch München für die im Jahre 1877 dort versammelten deutschen Naturforscher und Ärzte
beschäftigt war. Durch die bei aller Pietät offne Aussprache auch über die bairischen Stammes¬
fehler im Münchner fühlte sich ein gelehrter Münchner so gekränkt, daß er mit seinem Mal-
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[0144] Altbairische Wanderungen Schönheit wird auch von den Landleuten verstanden und gewürdigt. Unter den Gegensätzen, deren Vereinigung gerade hier etwas so Wunderschönes ge¬ schaffen hat, sind einige auch dem kindlichsten Verständnis zugänglich. Dazu gehört besonders der Blick ans die weite Ebene draußen und die schönen Nvkokobauten innen. Es ist ein gewaltiger Reichtum, der hier entfaltet ist: Verg und Ebene, Fluß und Wald, der graue Fels, der aus den weichen grünen Matten hervorsteigt, dazu die Mischung von monumentalen und schlicht bürger¬ lichem Charakter. Die geschichtlichen Erinnerungen sind in Innsbruck nicht unbedeutend, aber sie drängen sich nicht auf. Und trotz der unvergeßlichen Grabwächter Peter Wischers in der Franziskaner-Hofkirche ist das größte Monument das am Verg Isel dem Andre Hofer gesetzte, dem Sandwirt, der in der stolzen Hofburg bäuerlich Hof hielt und mit dem beschränkt gesunden Menschenverstande des Bauern das Land Tirol verwaltete. Der Baier, der über die Grenze kommt, liebt nicht die scharfgeschnittnen, dunkeln Gesichter der Beamten und die mancher Bürger, auf denen eine merkwürdige Mischung von Beweglichkeit und Schlaffheit liegt, die eine mehr in den Augen, die andre mehr im Mund; er findet sich erst in dem derben Tiroler Bauer wieder. Mit Bedauern empfindet er aber, daß jene mit italienischem und slawischen Blute versetzten eigentlichen Österreicher dem bairischen Stammverwandten den Charakter etwas „verdrückt" habe», und selbst der bairische Holzknecht sieht mit so etwas wie Mitleid auf seine Tiroler Genossen herab. Als Ludwig I. seine Kunststadt München schuf, da war der Stamm, auf den dieses neue Reis gepfropft wurde, durchaus uicht bloß eine Residenzstadt wie Stuttgart und noch weniger wie Karlsruhe oder Darmstadt. München war eine Stadt der Bauern und kleinen Bürger, eine Stadt voll Ehrlichkeit, Frömmigkeit und alter Sitte, aber von wenig Strebsamkeit und Luxus. Die sogenannten geistigen Interessen traten in den Hintergrund. Der Volkscharakter des Münchners ist das konzentrirte Altbaierntum, zwar abgeschliffen, aber nicht unkenntlich gemacht. Die beste Schilderung des „Müuchuers im sozialen Licht," die 1877 Max Haushofer in einem nicht in die weitere Öffentlichkeit gedrungnen Aufsatze gab, sagt von den Münchnern um 1830: Vielleicht in keiner andern Stadt Deutschlands kam das Bauernelement so zum Durchbruch als gerade in München. Menschen, die mit feineren Werkzeug Hantiren, scheinen auch mehr mit Hobel und Feile bearbeitet; im alten München waren ton¬ angebende Werkzeuge die Geißel der Getreidebauern und die Axt des Flößers. Da Schalles.") Davon ist nun viel abgebröckelt und fortgespült. Äußerlich Das Schicksal dieses geistvollen Schriftchens ist auch bezeichnend. Mnx Haushofer hatte es auf den Wunsch eines Ausschusses geschrieben, der mit der Herausgabe eines Führers durch München für die im Jahre 1877 dort versammelten deutschen Naturforscher und Ärzte beschäftigt war. Durch die bei aller Pietät offne Aussprache auch über die bairischen Stammes¬ fehler im Münchner fühlte sich ein gelehrter Münchner so gekränkt, daß er mit seinem Mal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/144>, abgerufen am 17.06.2024.