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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbmrische Wanderungen

soviel Unterschied wie zwischen dem Unterfranken und dem Mittelfranken. Der
Oberbaier ist besonders nach dem Gebirge zu der germanischere von beiden.
In der Tölzer und Lenggrießcr Gegend und im Mangfallgebiet findet man
Leute, die zu den schönsten Vertretern germanischer Männlichkeit gehören. Nach
Salzburg hin überwiegen kleinere, dunklere Leute, von denen der Gendarm
und der Forstgehilfe, aus Gott weiß welcher Quelle schöpfend, als von "ver¬
drückten Welschen" sprechen. In Niederbaiern ist dann wieder einer der schwarz¬
haarigsten und dunkelängigsten Menschenschläge zu Hause, die es auf deutschem
Boden giebt, besonders von Regensburg gegen den Vairischen Wald und nach
Amberg und Schwandorf hin. Aus dieser Gegend kommen tüchtige Soldaten;
in ihr auch sitzt der "Kraftadel" roher Messerhelden. Nach Westen und Norden
gehen diese herrischen Schattirnngen allmählich in die Franken über. Gewöhn¬
lich versteht man unter Altbaiern die Kreise Oberbaiern, Niederbaiern und
Oberpfalz. In einzelnen Teilen entsprechen auch deren Grenzen dem alten
Baiernland; aber dem Ganzen gegenüber ist doch die geschichtlich wichtige und
bis in die Gegenwart herein wirksame Thatsache zu beherzigen, daß die öst¬
lichen Franken von den Baiern nicht scharf zu sondern sind, während zwischen
den westlichen Franken Unterfrmikcns und den Vcüern das ganze Schwabentum
liegt. Daher ein unmerklicher Übergang vom Altbaiern zum Mittel- und
Oberfranken. An Derbheit und Natürlichkeit kann es der Nürnberger mit dem
Münchner aufnehmen; und dem Wohlleben ist der östliche Franke in Stadt und
Land nicht abgeneigt, wenn er auch seine Lebensfreude uicht so laut und warm
kundgiebt wie der Nachbar im Süden. Er ist allerdings regsamer, auch eigen¬
sinniger und rechthaberischer. Es ist aber doch soviel Übereinstimmendes dies¬
seits und jenseits der Donau und Nab, daß die Verkittung der ostfränkischen mit
den altbairischen Gauen auffallend leicht vor sich gegangen ist. Keiner von den
Kleinstaaten, die Baiern bei der Auflösung des alten deutschen Reichs in sich auf¬
nahm, hat eine so glänzende Vergangenheit geopfert wie Nürnberg. Nürnberg ist
ohne Zweifel auch heute noch stolz ans seine Geschichte; es ist eine Persönlichkeit
unter den deutschen Städten, uicht bloß eine Anhäufung von Häusern und
Menschen. Es blickt auch nicht ohne Neid auf das von der Regierung und
dem Hof so begünstigte München, das überdies dnrch den Fremdenzufluß mit
leichterer Mühe Geld erwirbt als das mehr abseits gelegne Nürnberg. Der
Nürnberger Kaufmann spricht daher schaudernd von dem Leichtsinn und der
Genußsucht der Münchner. Die Hauptsache ist aber doch, daß sich Nürnberg
unter bairischer Herrschaft wohl fühlen gelernt und einen fröhlichen Aufschwung
genommen hat, wie es ihn in den letzten zwei Jahrhunderten seiner Selb¬
ständigkeit nicht erlebt hat. Die Kunstpflege der bairischen Könige hat Nürn¬
berg ebenso wohl gethan wie München, und soweit die ältere französisch-
zentralisirendc Verwaltung einen zweiten Mittelpunkt überhaupt zulassen konnte,
ist Nürnberg mehr als jede andre Stadt außer München begünstigt worden.


Altbmrische Wanderungen

soviel Unterschied wie zwischen dem Unterfranken und dem Mittelfranken. Der
Oberbaier ist besonders nach dem Gebirge zu der germanischere von beiden.
In der Tölzer und Lenggrießcr Gegend und im Mangfallgebiet findet man
Leute, die zu den schönsten Vertretern germanischer Männlichkeit gehören. Nach
Salzburg hin überwiegen kleinere, dunklere Leute, von denen der Gendarm
und der Forstgehilfe, aus Gott weiß welcher Quelle schöpfend, als von „ver¬
drückten Welschen" sprechen. In Niederbaiern ist dann wieder einer der schwarz¬
haarigsten und dunkelängigsten Menschenschläge zu Hause, die es auf deutschem
Boden giebt, besonders von Regensburg gegen den Vairischen Wald und nach
Amberg und Schwandorf hin. Aus dieser Gegend kommen tüchtige Soldaten;
in ihr auch sitzt der „Kraftadel" roher Messerhelden. Nach Westen und Norden
gehen diese herrischen Schattirnngen allmählich in die Franken über. Gewöhn¬
lich versteht man unter Altbaiern die Kreise Oberbaiern, Niederbaiern und
Oberpfalz. In einzelnen Teilen entsprechen auch deren Grenzen dem alten
Baiernland; aber dem Ganzen gegenüber ist doch die geschichtlich wichtige und
bis in die Gegenwart herein wirksame Thatsache zu beherzigen, daß die öst¬
lichen Franken von den Baiern nicht scharf zu sondern sind, während zwischen
den westlichen Franken Unterfrmikcns und den Vcüern das ganze Schwabentum
liegt. Daher ein unmerklicher Übergang vom Altbaiern zum Mittel- und
Oberfranken. An Derbheit und Natürlichkeit kann es der Nürnberger mit dem
Münchner aufnehmen; und dem Wohlleben ist der östliche Franke in Stadt und
Land nicht abgeneigt, wenn er auch seine Lebensfreude uicht so laut und warm
kundgiebt wie der Nachbar im Süden. Er ist allerdings regsamer, auch eigen¬
sinniger und rechthaberischer. Es ist aber doch soviel Übereinstimmendes dies¬
seits und jenseits der Donau und Nab, daß die Verkittung der ostfränkischen mit
den altbairischen Gauen auffallend leicht vor sich gegangen ist. Keiner von den
Kleinstaaten, die Baiern bei der Auflösung des alten deutschen Reichs in sich auf¬
nahm, hat eine so glänzende Vergangenheit geopfert wie Nürnberg. Nürnberg ist
ohne Zweifel auch heute noch stolz ans seine Geschichte; es ist eine Persönlichkeit
unter den deutschen Städten, uicht bloß eine Anhäufung von Häusern und
Menschen. Es blickt auch nicht ohne Neid auf das von der Regierung und
dem Hof so begünstigte München, das überdies dnrch den Fremdenzufluß mit
leichterer Mühe Geld erwirbt als das mehr abseits gelegne Nürnberg. Der
Nürnberger Kaufmann spricht daher schaudernd von dem Leichtsinn und der
Genußsucht der Münchner. Die Hauptsache ist aber doch, daß sich Nürnberg
unter bairischer Herrschaft wohl fühlen gelernt und einen fröhlichen Aufschwung
genommen hat, wie es ihn in den letzten zwei Jahrhunderten seiner Selb¬
ständigkeit nicht erlebt hat. Die Kunstpflege der bairischen Könige hat Nürn¬
berg ebenso wohl gethan wie München, und soweit die ältere französisch-
zentralisirendc Verwaltung einen zweiten Mittelpunkt überhaupt zulassen konnte,
ist Nürnberg mehr als jede andre Stadt außer München begünstigt worden.


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[0150] Altbmrische Wanderungen soviel Unterschied wie zwischen dem Unterfranken und dem Mittelfranken. Der Oberbaier ist besonders nach dem Gebirge zu der germanischere von beiden. In der Tölzer und Lenggrießcr Gegend und im Mangfallgebiet findet man Leute, die zu den schönsten Vertretern germanischer Männlichkeit gehören. Nach Salzburg hin überwiegen kleinere, dunklere Leute, von denen der Gendarm und der Forstgehilfe, aus Gott weiß welcher Quelle schöpfend, als von „ver¬ drückten Welschen" sprechen. In Niederbaiern ist dann wieder einer der schwarz¬ haarigsten und dunkelängigsten Menschenschläge zu Hause, die es auf deutschem Boden giebt, besonders von Regensburg gegen den Vairischen Wald und nach Amberg und Schwandorf hin. Aus dieser Gegend kommen tüchtige Soldaten; in ihr auch sitzt der „Kraftadel" roher Messerhelden. Nach Westen und Norden gehen diese herrischen Schattirnngen allmählich in die Franken über. Gewöhn¬ lich versteht man unter Altbaiern die Kreise Oberbaiern, Niederbaiern und Oberpfalz. In einzelnen Teilen entsprechen auch deren Grenzen dem alten Baiernland; aber dem Ganzen gegenüber ist doch die geschichtlich wichtige und bis in die Gegenwart herein wirksame Thatsache zu beherzigen, daß die öst¬ lichen Franken von den Baiern nicht scharf zu sondern sind, während zwischen den westlichen Franken Unterfrmikcns und den Vcüern das ganze Schwabentum liegt. Daher ein unmerklicher Übergang vom Altbaiern zum Mittel- und Oberfranken. An Derbheit und Natürlichkeit kann es der Nürnberger mit dem Münchner aufnehmen; und dem Wohlleben ist der östliche Franke in Stadt und Land nicht abgeneigt, wenn er auch seine Lebensfreude uicht so laut und warm kundgiebt wie der Nachbar im Süden. Er ist allerdings regsamer, auch eigen¬ sinniger und rechthaberischer. Es ist aber doch soviel Übereinstimmendes dies¬ seits und jenseits der Donau und Nab, daß die Verkittung der ostfränkischen mit den altbairischen Gauen auffallend leicht vor sich gegangen ist. Keiner von den Kleinstaaten, die Baiern bei der Auflösung des alten deutschen Reichs in sich auf¬ nahm, hat eine so glänzende Vergangenheit geopfert wie Nürnberg. Nürnberg ist ohne Zweifel auch heute noch stolz ans seine Geschichte; es ist eine Persönlichkeit unter den deutschen Städten, uicht bloß eine Anhäufung von Häusern und Menschen. Es blickt auch nicht ohne Neid auf das von der Regierung und dem Hof so begünstigte München, das überdies dnrch den Fremdenzufluß mit leichterer Mühe Geld erwirbt als das mehr abseits gelegne Nürnberg. Der Nürnberger Kaufmann spricht daher schaudernd von dem Leichtsinn und der Genußsucht der Münchner. Die Hauptsache ist aber doch, daß sich Nürnberg unter bairischer Herrschaft wohl fühlen gelernt und einen fröhlichen Aufschwung genommen hat, wie es ihn in den letzten zwei Jahrhunderten seiner Selb¬ ständigkeit nicht erlebt hat. Die Kunstpflege der bairischen Könige hat Nürn¬ berg ebenso wohl gethan wie München, und soweit die ältere französisch- zentralisirendc Verwaltung einen zweiten Mittelpunkt überhaupt zulassen konnte, ist Nürnberg mehr als jede andre Stadt außer München begünstigt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/150>, abgerufen am 17.06.2024.