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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

Wenn der den Hof oder die Gemarkung rings umziehende Wald an die Zeit
erinnert, wo sich die Menschen mit Feuerbrand und primitivem Beil Raum
im dem die Hochebne einförmig bedeckenden Walde schufen, so erinnern die
Geweihe und "Gwichteln," die an der Wand der Wirtsstube düngen, an die
Wald- und Jngdfreude, die in den Abkömmlingen der altbairischen Hinter¬
wäldler lebendig geblieben ist. Schade, daß sie so oft keinen andern Weg weiß,
sich zu äußern als das Wildern, das nirgends in Deutschland so verbreitet
ist wie hier. Es sind oft nicht die schlechtesten, die wildern. Man hört Wohl
ans dein Vorleben eines besonders schneidigen und intelligenten Bauern die
vertrauliche Mitteilung in bewunderndem Ton: Das war einst der gefürchtetste
Wilderer weit und breit!

Von den Oberbaiern des Gebirges ist viel geschrieben worden, Kobell und
Stieler sind ihre Dichter, die Vauerntomödie hat sie weithin populär gemacht.
Vom Bauer der bairischen Hochebne meinte man, die Vauerndhuastien auf den
großen Höfen, die man von den Höhen des Wellenlaudes und ans umbuschten
Winkeln an den Flüssen und Teichen glänzend weiß herschauen sieht, könnten
höchstens einen Kauz wie Immermann interessiren. Nun giebt es in Vaiern
Käuze genng, aber gerade die litterarischen sind hier die seltenste Gattung.
Daß die Bauern der Hochebne aber höchstens Jmmermänner zweiter Klasse
gefunden haben, unter denen Maximilian Schmidt sehr lesenswerte Sachen ge¬
schrieben hat, ist immerhin überraschend. Wenn sie des Sonntags zur Kirche
gehen, die Männer im silberknvpfbesetzten Wams, in Lederhosen und dem rnnocn
niedern seidenhaarigen Hut, die Weiber im schwarzseidnen Kopftuch, das den
ganzen Rücken mit zwei breiten Flügeln bedeckt, nicht selten in schwerseidnem
Rock, aber immer in dunkeln Farben, von denen die roten Strümpfe abstechen,
ziehen stämmige Gestalten, entschlossene, harte Gesichter, doch auch manches
freundliche Auge an uns vorüber. Wenn ich Dichter wäre, das Unverhüllte
bis zum Rohen Wahre in diesen Gestalten würde mich viel tiefer ergreifen.
Jede ist ein Typus. Hier ist das Mädchen, hier das Weib, hier der Greis.
Keiner strebt, etwas andres zu sein. Wir wollen uns in andre Alters- und
Standesklassen versetzen oder betonen das Individuelle bis zur Übertreibung.
Hier dieser gebückt hinter den andern herschreitende Weißkopf ist so sehr Greis
wie des Odysseus alter Vater, und der Wirt ist so sehr Wirt wie der in
"Hermann und Dorothea." So wie die Höfe dieser Bauern immer unmittelbar
ins Gras hineingestellt sind, dessen Wiesen, wenn auch bnumbepflauzt, sich
nach allen Seiten weit ausbreiten, ehe die braunen Äcker beginnen, so heben
sich auch die Menschen unmittelbar von der Natur ab. Keine allzu häufige
Berührung mit den Nachbarn schleift sie ab, sie entwickeln frei, was in sie
hineingelegt ist.

Das in sie Hineingelegte ist nun allerdings von Landschaft zu Landschaft
sehr verschieden. Zwischen dem Oberbaiern und dem Niederbaiern ist mindestens


Altbairische Wanderungen

Wenn der den Hof oder die Gemarkung rings umziehende Wald an die Zeit
erinnert, wo sich die Menschen mit Feuerbrand und primitivem Beil Raum
im dem die Hochebne einförmig bedeckenden Walde schufen, so erinnern die
Geweihe und „Gwichteln," die an der Wand der Wirtsstube düngen, an die
Wald- und Jngdfreude, die in den Abkömmlingen der altbairischen Hinter¬
wäldler lebendig geblieben ist. Schade, daß sie so oft keinen andern Weg weiß,
sich zu äußern als das Wildern, das nirgends in Deutschland so verbreitet
ist wie hier. Es sind oft nicht die schlechtesten, die wildern. Man hört Wohl
ans dein Vorleben eines besonders schneidigen und intelligenten Bauern die
vertrauliche Mitteilung in bewunderndem Ton: Das war einst der gefürchtetste
Wilderer weit und breit!

Von den Oberbaiern des Gebirges ist viel geschrieben worden, Kobell und
Stieler sind ihre Dichter, die Vauerntomödie hat sie weithin populär gemacht.
Vom Bauer der bairischen Hochebne meinte man, die Vauerndhuastien auf den
großen Höfen, die man von den Höhen des Wellenlaudes und ans umbuschten
Winkeln an den Flüssen und Teichen glänzend weiß herschauen sieht, könnten
höchstens einen Kauz wie Immermann interessiren. Nun giebt es in Vaiern
Käuze genng, aber gerade die litterarischen sind hier die seltenste Gattung.
Daß die Bauern der Hochebne aber höchstens Jmmermänner zweiter Klasse
gefunden haben, unter denen Maximilian Schmidt sehr lesenswerte Sachen ge¬
schrieben hat, ist immerhin überraschend. Wenn sie des Sonntags zur Kirche
gehen, die Männer im silberknvpfbesetzten Wams, in Lederhosen und dem rnnocn
niedern seidenhaarigen Hut, die Weiber im schwarzseidnen Kopftuch, das den
ganzen Rücken mit zwei breiten Flügeln bedeckt, nicht selten in schwerseidnem
Rock, aber immer in dunkeln Farben, von denen die roten Strümpfe abstechen,
ziehen stämmige Gestalten, entschlossene, harte Gesichter, doch auch manches
freundliche Auge an uns vorüber. Wenn ich Dichter wäre, das Unverhüllte
bis zum Rohen Wahre in diesen Gestalten würde mich viel tiefer ergreifen.
Jede ist ein Typus. Hier ist das Mädchen, hier das Weib, hier der Greis.
Keiner strebt, etwas andres zu sein. Wir wollen uns in andre Alters- und
Standesklassen versetzen oder betonen das Individuelle bis zur Übertreibung.
Hier dieser gebückt hinter den andern herschreitende Weißkopf ist so sehr Greis
wie des Odysseus alter Vater, und der Wirt ist so sehr Wirt wie der in
„Hermann und Dorothea." So wie die Höfe dieser Bauern immer unmittelbar
ins Gras hineingestellt sind, dessen Wiesen, wenn auch bnumbepflauzt, sich
nach allen Seiten weit ausbreiten, ehe die braunen Äcker beginnen, so heben
sich auch die Menschen unmittelbar von der Natur ab. Keine allzu häufige
Berührung mit den Nachbarn schleift sie ab, sie entwickeln frei, was in sie
hineingelegt ist.

Das in sie Hineingelegte ist nun allerdings von Landschaft zu Landschaft
sehr verschieden. Zwischen dem Oberbaiern und dem Niederbaiern ist mindestens


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[0149] Altbairische Wanderungen Wenn der den Hof oder die Gemarkung rings umziehende Wald an die Zeit erinnert, wo sich die Menschen mit Feuerbrand und primitivem Beil Raum im dem die Hochebne einförmig bedeckenden Walde schufen, so erinnern die Geweihe und „Gwichteln," die an der Wand der Wirtsstube düngen, an die Wald- und Jngdfreude, die in den Abkömmlingen der altbairischen Hinter¬ wäldler lebendig geblieben ist. Schade, daß sie so oft keinen andern Weg weiß, sich zu äußern als das Wildern, das nirgends in Deutschland so verbreitet ist wie hier. Es sind oft nicht die schlechtesten, die wildern. Man hört Wohl ans dein Vorleben eines besonders schneidigen und intelligenten Bauern die vertrauliche Mitteilung in bewunderndem Ton: Das war einst der gefürchtetste Wilderer weit und breit! Von den Oberbaiern des Gebirges ist viel geschrieben worden, Kobell und Stieler sind ihre Dichter, die Vauerntomödie hat sie weithin populär gemacht. Vom Bauer der bairischen Hochebne meinte man, die Vauerndhuastien auf den großen Höfen, die man von den Höhen des Wellenlaudes und ans umbuschten Winkeln an den Flüssen und Teichen glänzend weiß herschauen sieht, könnten höchstens einen Kauz wie Immermann interessiren. Nun giebt es in Vaiern Käuze genng, aber gerade die litterarischen sind hier die seltenste Gattung. Daß die Bauern der Hochebne aber höchstens Jmmermänner zweiter Klasse gefunden haben, unter denen Maximilian Schmidt sehr lesenswerte Sachen ge¬ schrieben hat, ist immerhin überraschend. Wenn sie des Sonntags zur Kirche gehen, die Männer im silberknvpfbesetzten Wams, in Lederhosen und dem rnnocn niedern seidenhaarigen Hut, die Weiber im schwarzseidnen Kopftuch, das den ganzen Rücken mit zwei breiten Flügeln bedeckt, nicht selten in schwerseidnem Rock, aber immer in dunkeln Farben, von denen die roten Strümpfe abstechen, ziehen stämmige Gestalten, entschlossene, harte Gesichter, doch auch manches freundliche Auge an uns vorüber. Wenn ich Dichter wäre, das Unverhüllte bis zum Rohen Wahre in diesen Gestalten würde mich viel tiefer ergreifen. Jede ist ein Typus. Hier ist das Mädchen, hier das Weib, hier der Greis. Keiner strebt, etwas andres zu sein. Wir wollen uns in andre Alters- und Standesklassen versetzen oder betonen das Individuelle bis zur Übertreibung. Hier dieser gebückt hinter den andern herschreitende Weißkopf ist so sehr Greis wie des Odysseus alter Vater, und der Wirt ist so sehr Wirt wie der in „Hermann und Dorothea." So wie die Höfe dieser Bauern immer unmittelbar ins Gras hineingestellt sind, dessen Wiesen, wenn auch bnumbepflauzt, sich nach allen Seiten weit ausbreiten, ehe die braunen Äcker beginnen, so heben sich auch die Menschen unmittelbar von der Natur ab. Keine allzu häufige Berührung mit den Nachbarn schleift sie ab, sie entwickeln frei, was in sie hineingelegt ist. Das in sie Hineingelegte ist nun allerdings von Landschaft zu Landschaft sehr verschieden. Zwischen dem Oberbaiern und dem Niederbaiern ist mindestens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/149>, abgerufen am 17.06.2024.