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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens

giebt es doch im preußischen Staate immer noch zehn höhere Lehranstalten,
die noch den seit 1892 abgeschafften Stellenetat haben, und noch vier, die
keine Versorgung für die Hinterlassenen durchgeführt haben! Namentlich der
letzte Umstand ist um so bedauerlicher, da schon in der Thronrede vom
16. Januar 1894 ausdrücklich eine Vorlage verheißen wurde, die nicht bloß
den Ruhegehalt der Lehrer, sondern auch "das Witwen- und Waisengeld für
ihre Hiuterbliebnen an den öffentlichen, nichtstaatlichen Anstalten regeln sollte."
Mit welchen Hoffnungen auf Gleichstellung mit den staatlichen Amtsgenossen
unter solchen Umständen die Mehrzahl der städtischen Oberlehrer in die Zu¬
kunft sieht, kann man sich denken. Wie viel Jahre werden wir nun wieder
warten müssen, bis die Reihe an uns kommt? so lautet die bange Frage!

Da ist nun jetzt ein Hoffnungsstrahl in aller Gemüter gefallen, da die
Provinzialschulkollegien im Auftrage des Ministers an die Städte die Auf¬
forderung gerichtet haben, bei den unter ihrem Patronat stehenden Anstalten
gleiche Gehaltsverhültnisfe einzuführen. Daß die meisten Städte mit einem:
"Wir können nicht" antworten werden, ist ja vorauszusehen. Wie wird sich
aber dann der Kultusminister dazu verhalten? Wird er dem Abgeordneten¬
hause das schon vom Minister von Zedlitz verheißene Gesetz zur Gleichstellung
der Lehrer an den staatlichen und städtischen Anstalten bringen?

Möge diese Gehaltsangelegenheit geregelt werden, wie sie will, jedenfalls
wird man auch in Betreff der sogenannten Funktionsznlage neue Bestimmungen
treffen müssen; denn von den Oberlehrern an den städtischen Anstalten wird
diesem Punkte ein viel größeres Interesse zugewandt, als der Gehaltsaufbesfc-
rung überhaupt.

Das Gesetz über deu Normaletat des Jahres 1892 bestimmte, daß der
Hälfte der Oberlehrer an jeder Anstalt die sogenannte Funktionszulage von
900 Mark jährlich gewährt werden solle, an den "Nichtvvllanstalten" *) einem
Viertel der Oberlehrer. Die letztere Bestimmung rührt daher, daß die Unter¬
richtsverwaltung die Funktionszulage ursprünglich nur den Lehrern zugedacht
hatte, die in den obern Klassen unterrichteten. Streng genommen, hätte aber
dann kein Lehrer an "Nichtvollanstalten" die Funktionsznlage erhalten dürfen,
denn diese reichen ja nur bis zur Untersekunda, und die zählt noch zu den
mittlern Klaffen. Später ging man daher von dieser Bestimmung ab, und
jetzt kann die Zulage jeder Oberlehrer erhalten, der seine Pflicht thut, und
der die volle Lehrbefähigung für die obern Klassen hat oder, wenn er sie nicht
hat, sich als Lehrer und Erzieher besonders auszeichnet.

Hätte man an der ursprünglichen Bestimmung festgehalten, so hätte man
dadurch dieselben Übelstände wieder ins Leben gerufen, die man durch Be¬
seitigung des Stellenetats soeben abgeschafft hatte. Denn da einzelne Kollegien



") Vollcmstnlt und Nichtvollnustnlt -- herrliche Wörter! Wer hat die erfunden?
Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens

giebt es doch im preußischen Staate immer noch zehn höhere Lehranstalten,
die noch den seit 1892 abgeschafften Stellenetat haben, und noch vier, die
keine Versorgung für die Hinterlassenen durchgeführt haben! Namentlich der
letzte Umstand ist um so bedauerlicher, da schon in der Thronrede vom
16. Januar 1894 ausdrücklich eine Vorlage verheißen wurde, die nicht bloß
den Ruhegehalt der Lehrer, sondern auch „das Witwen- und Waisengeld für
ihre Hiuterbliebnen an den öffentlichen, nichtstaatlichen Anstalten regeln sollte."
Mit welchen Hoffnungen auf Gleichstellung mit den staatlichen Amtsgenossen
unter solchen Umständen die Mehrzahl der städtischen Oberlehrer in die Zu¬
kunft sieht, kann man sich denken. Wie viel Jahre werden wir nun wieder
warten müssen, bis die Reihe an uns kommt? so lautet die bange Frage!

Da ist nun jetzt ein Hoffnungsstrahl in aller Gemüter gefallen, da die
Provinzialschulkollegien im Auftrage des Ministers an die Städte die Auf¬
forderung gerichtet haben, bei den unter ihrem Patronat stehenden Anstalten
gleiche Gehaltsverhültnisfe einzuführen. Daß die meisten Städte mit einem:
„Wir können nicht" antworten werden, ist ja vorauszusehen. Wie wird sich
aber dann der Kultusminister dazu verhalten? Wird er dem Abgeordneten¬
hause das schon vom Minister von Zedlitz verheißene Gesetz zur Gleichstellung
der Lehrer an den staatlichen und städtischen Anstalten bringen?

Möge diese Gehaltsangelegenheit geregelt werden, wie sie will, jedenfalls
wird man auch in Betreff der sogenannten Funktionsznlage neue Bestimmungen
treffen müssen; denn von den Oberlehrern an den städtischen Anstalten wird
diesem Punkte ein viel größeres Interesse zugewandt, als der Gehaltsaufbesfc-
rung überhaupt.

Das Gesetz über deu Normaletat des Jahres 1892 bestimmte, daß der
Hälfte der Oberlehrer an jeder Anstalt die sogenannte Funktionszulage von
900 Mark jährlich gewährt werden solle, an den „Nichtvvllanstalten" *) einem
Viertel der Oberlehrer. Die letztere Bestimmung rührt daher, daß die Unter¬
richtsverwaltung die Funktionszulage ursprünglich nur den Lehrern zugedacht
hatte, die in den obern Klassen unterrichteten. Streng genommen, hätte aber
dann kein Lehrer an „Nichtvollanstalten" die Funktionsznlage erhalten dürfen,
denn diese reichen ja nur bis zur Untersekunda, und die zählt noch zu den
mittlern Klaffen. Später ging man daher von dieser Bestimmung ab, und
jetzt kann die Zulage jeder Oberlehrer erhalten, der seine Pflicht thut, und
der die volle Lehrbefähigung für die obern Klassen hat oder, wenn er sie nicht
hat, sich als Lehrer und Erzieher besonders auszeichnet.

Hätte man an der ursprünglichen Bestimmung festgehalten, so hätte man
dadurch dieselben Übelstände wieder ins Leben gerufen, die man durch Be¬
seitigung des Stellenetats soeben abgeschafft hatte. Denn da einzelne Kollegien



") Vollcmstnlt und Nichtvollnustnlt — herrliche Wörter! Wer hat die erfunden?
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[0022] Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens giebt es doch im preußischen Staate immer noch zehn höhere Lehranstalten, die noch den seit 1892 abgeschafften Stellenetat haben, und noch vier, die keine Versorgung für die Hinterlassenen durchgeführt haben! Namentlich der letzte Umstand ist um so bedauerlicher, da schon in der Thronrede vom 16. Januar 1894 ausdrücklich eine Vorlage verheißen wurde, die nicht bloß den Ruhegehalt der Lehrer, sondern auch „das Witwen- und Waisengeld für ihre Hiuterbliebnen an den öffentlichen, nichtstaatlichen Anstalten regeln sollte." Mit welchen Hoffnungen auf Gleichstellung mit den staatlichen Amtsgenossen unter solchen Umständen die Mehrzahl der städtischen Oberlehrer in die Zu¬ kunft sieht, kann man sich denken. Wie viel Jahre werden wir nun wieder warten müssen, bis die Reihe an uns kommt? so lautet die bange Frage! Da ist nun jetzt ein Hoffnungsstrahl in aller Gemüter gefallen, da die Provinzialschulkollegien im Auftrage des Ministers an die Städte die Auf¬ forderung gerichtet haben, bei den unter ihrem Patronat stehenden Anstalten gleiche Gehaltsverhültnisfe einzuführen. Daß die meisten Städte mit einem: „Wir können nicht" antworten werden, ist ja vorauszusehen. Wie wird sich aber dann der Kultusminister dazu verhalten? Wird er dem Abgeordneten¬ hause das schon vom Minister von Zedlitz verheißene Gesetz zur Gleichstellung der Lehrer an den staatlichen und städtischen Anstalten bringen? Möge diese Gehaltsangelegenheit geregelt werden, wie sie will, jedenfalls wird man auch in Betreff der sogenannten Funktionsznlage neue Bestimmungen treffen müssen; denn von den Oberlehrern an den städtischen Anstalten wird diesem Punkte ein viel größeres Interesse zugewandt, als der Gehaltsaufbesfc- rung überhaupt. Das Gesetz über deu Normaletat des Jahres 1892 bestimmte, daß der Hälfte der Oberlehrer an jeder Anstalt die sogenannte Funktionszulage von 900 Mark jährlich gewährt werden solle, an den „Nichtvvllanstalten" *) einem Viertel der Oberlehrer. Die letztere Bestimmung rührt daher, daß die Unter¬ richtsverwaltung die Funktionszulage ursprünglich nur den Lehrern zugedacht hatte, die in den obern Klassen unterrichteten. Streng genommen, hätte aber dann kein Lehrer an „Nichtvollanstalten" die Funktionsznlage erhalten dürfen, denn diese reichen ja nur bis zur Untersekunda, und die zählt noch zu den mittlern Klaffen. Später ging man daher von dieser Bestimmung ab, und jetzt kann die Zulage jeder Oberlehrer erhalten, der seine Pflicht thut, und der die volle Lehrbefähigung für die obern Klassen hat oder, wenn er sie nicht hat, sich als Lehrer und Erzieher besonders auszeichnet. Hätte man an der ursprünglichen Bestimmung festgehalten, so hätte man dadurch dieselben Übelstände wieder ins Leben gerufen, die man durch Be¬ seitigung des Stellenetats soeben abgeschafft hatte. Denn da einzelne Kollegien ") Vollcmstnlt und Nichtvollnustnlt — herrliche Wörter! Wer hat die erfunden?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/22>, abgerufen am 26.05.2024.