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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens

Ordnung gestempelt. Denn da nur einer von den Kollegen die Funktions-
zulage erhalten kann, so werden die andern dadurch so lange herabgedrückt,
bis der Tod des ^Vordermanns einen von ihnen wieder zum "Oberlehrer"
erhebt und ihm die Fnnktionszulage verschafft. Dabei kann es kommen --
und solcher Fälle giebt es schon mehrere --, daß an der Anstalt zwei oder
drei Professoren sind, aber nur eiuer davon die Fuuktiouszulage genießt,
denn der Minister verleiht diesen Titel dem dienstültesten Drittel aller Ober¬
lehrer im Staate, die von den Provinzialschulkollegien dazu für geeignet
gehalten werden.

Gerade den Oberlehrern an solchen Schulen müßte der Staat entgegen¬
kommen; erstens leisten sie ihm genan dieselben Dienste wie die Lehrer an
"Vollanstaltcn," und zweitens verlangt auch der Staat von ihnen genan das¬
selbe, gleichviel, ob sie an einer städtischen oder einer staatlichen Schule sind.
Außerdem aber stehen sie ihren Amtsgenossen an "Vollanstalten" auch sonst
in Bezug auf Einkommen sehr nach. Da sich der größte Teil der "Nichtvoll-
anstalten" in kleinen Landstüdtchen befindet, so muß der Lehrer seinen Sohn,
wenn er studiren soll, nach auswärts auf die Schule bringen; ebenso muß die
Tochter, da an solchen Orten gewöhnlich höhere Mädchenschulen und vollends
Lehrerinnenseminare fehlen, zeitig das Elternhaus verlasfett. Muß der Sohn
des Königs Rock tragen, so hat ihn der Vater ebenfalls in eine andre Stadt
zu schicken. Wie leicht hat es da der Oberlehrer in einer großen Stadt! Mit
wie wenig Kosten kann er seine Kinder standesgemäß erziehen! Wie lange
kann er sie im Hause behalten! Aber auch mit dem Nebenerwerb, auf den ja
der Finanzminister die Oberlehrer verweist, ist es in einer kleinen Stadt
schlechter bestellt! als in einer großen, ja es ist ihm dort oft geradezu un¬
möglich, sich solchen zu verschaffen. In der großen Stadt giebt es: Einjährig-
Freiwilligen- und Fähnrichspressen, Privatmädchenschulen, Handels- und Fort¬
bildungsschulen u. a. in., wo sich ein Oberlehrer leicht ein dauerndes Ein¬
kommen sichern kann.

Traurig ist es für einen Oberlehrer ohne Fnnktionszulage auch insofern
bestellt, als er vom neunzehnten Dienstjahre an, d. h. gerade da, wo sich die
Ausgaben für die Kinder erst recht steigern, seinen Gehalt nur aller vier Jahre
um 300 Mark steigen sieht, statt wie bisher aller drei Jahre! Diese Umstünde
müssen außerordentlich niederdrückend auf den Oberlehrer an der "Nichtvoll-
anstalt" wirken. Es kann nicht zur Hebung seiner Berufsfreudigkeit beitragen,
wenn er den gleichaltrigen Kollegen vom vierzehnten Dienstjahre an im Genuß
von jährlich 900 Mark mehr sieht, nur deshalb, weil diesen der Zufall an
eine "Vollanstalt" verschlagen hat. Macht der preußische Staat auch bei andern
Beamten solche Unterschiede? Außer dem verschiednen Wohnungsgeldzuschuß
kennen wir keinen! Der Amtsrichter, der als Einzelrichter oder in einem
kleinen Kollegiuni seine Pflicht thut, bezieht genau dieselben Einkünfte wie


Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens

Ordnung gestempelt. Denn da nur einer von den Kollegen die Funktions-
zulage erhalten kann, so werden die andern dadurch so lange herabgedrückt,
bis der Tod des ^Vordermanns einen von ihnen wieder zum „Oberlehrer"
erhebt und ihm die Fnnktionszulage verschafft. Dabei kann es kommen —
und solcher Fälle giebt es schon mehrere —, daß an der Anstalt zwei oder
drei Professoren sind, aber nur eiuer davon die Fuuktiouszulage genießt,
denn der Minister verleiht diesen Titel dem dienstültesten Drittel aller Ober¬
lehrer im Staate, die von den Provinzialschulkollegien dazu für geeignet
gehalten werden.

Gerade den Oberlehrern an solchen Schulen müßte der Staat entgegen¬
kommen; erstens leisten sie ihm genan dieselben Dienste wie die Lehrer an
„Vollanstaltcn," und zweitens verlangt auch der Staat von ihnen genan das¬
selbe, gleichviel, ob sie an einer städtischen oder einer staatlichen Schule sind.
Außerdem aber stehen sie ihren Amtsgenossen an „Vollanstalten" auch sonst
in Bezug auf Einkommen sehr nach. Da sich der größte Teil der „Nichtvoll-
anstalten" in kleinen Landstüdtchen befindet, so muß der Lehrer seinen Sohn,
wenn er studiren soll, nach auswärts auf die Schule bringen; ebenso muß die
Tochter, da an solchen Orten gewöhnlich höhere Mädchenschulen und vollends
Lehrerinnenseminare fehlen, zeitig das Elternhaus verlasfett. Muß der Sohn
des Königs Rock tragen, so hat ihn der Vater ebenfalls in eine andre Stadt
zu schicken. Wie leicht hat es da der Oberlehrer in einer großen Stadt! Mit
wie wenig Kosten kann er seine Kinder standesgemäß erziehen! Wie lange
kann er sie im Hause behalten! Aber auch mit dem Nebenerwerb, auf den ja
der Finanzminister die Oberlehrer verweist, ist es in einer kleinen Stadt
schlechter bestellt! als in einer großen, ja es ist ihm dort oft geradezu un¬
möglich, sich solchen zu verschaffen. In der großen Stadt giebt es: Einjährig-
Freiwilligen- und Fähnrichspressen, Privatmädchenschulen, Handels- und Fort¬
bildungsschulen u. a. in., wo sich ein Oberlehrer leicht ein dauerndes Ein¬
kommen sichern kann.

Traurig ist es für einen Oberlehrer ohne Fnnktionszulage auch insofern
bestellt, als er vom neunzehnten Dienstjahre an, d. h. gerade da, wo sich die
Ausgaben für die Kinder erst recht steigern, seinen Gehalt nur aller vier Jahre
um 300 Mark steigen sieht, statt wie bisher aller drei Jahre! Diese Umstünde
müssen außerordentlich niederdrückend auf den Oberlehrer an der „Nichtvoll-
anstalt" wirken. Es kann nicht zur Hebung seiner Berufsfreudigkeit beitragen,
wenn er den gleichaltrigen Kollegen vom vierzehnten Dienstjahre an im Genuß
von jährlich 900 Mark mehr sieht, nur deshalb, weil diesen der Zufall an
eine „Vollanstalt" verschlagen hat. Macht der preußische Staat auch bei andern
Beamten solche Unterschiede? Außer dem verschiednen Wohnungsgeldzuschuß
kennen wir keinen! Der Amtsrichter, der als Einzelrichter oder in einem
kleinen Kollegiuni seine Pflicht thut, bezieht genau dieselben Einkünfte wie


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[0024] Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens Ordnung gestempelt. Denn da nur einer von den Kollegen die Funktions- zulage erhalten kann, so werden die andern dadurch so lange herabgedrückt, bis der Tod des ^Vordermanns einen von ihnen wieder zum „Oberlehrer" erhebt und ihm die Fnnktionszulage verschafft. Dabei kann es kommen — und solcher Fälle giebt es schon mehrere —, daß an der Anstalt zwei oder drei Professoren sind, aber nur eiuer davon die Fuuktiouszulage genießt, denn der Minister verleiht diesen Titel dem dienstültesten Drittel aller Ober¬ lehrer im Staate, die von den Provinzialschulkollegien dazu für geeignet gehalten werden. Gerade den Oberlehrern an solchen Schulen müßte der Staat entgegen¬ kommen; erstens leisten sie ihm genan dieselben Dienste wie die Lehrer an „Vollanstaltcn," und zweitens verlangt auch der Staat von ihnen genan das¬ selbe, gleichviel, ob sie an einer städtischen oder einer staatlichen Schule sind. Außerdem aber stehen sie ihren Amtsgenossen an „Vollanstalten" auch sonst in Bezug auf Einkommen sehr nach. Da sich der größte Teil der „Nichtvoll- anstalten" in kleinen Landstüdtchen befindet, so muß der Lehrer seinen Sohn, wenn er studiren soll, nach auswärts auf die Schule bringen; ebenso muß die Tochter, da an solchen Orten gewöhnlich höhere Mädchenschulen und vollends Lehrerinnenseminare fehlen, zeitig das Elternhaus verlasfett. Muß der Sohn des Königs Rock tragen, so hat ihn der Vater ebenfalls in eine andre Stadt zu schicken. Wie leicht hat es da der Oberlehrer in einer großen Stadt! Mit wie wenig Kosten kann er seine Kinder standesgemäß erziehen! Wie lange kann er sie im Hause behalten! Aber auch mit dem Nebenerwerb, auf den ja der Finanzminister die Oberlehrer verweist, ist es in einer kleinen Stadt schlechter bestellt! als in einer großen, ja es ist ihm dort oft geradezu un¬ möglich, sich solchen zu verschaffen. In der großen Stadt giebt es: Einjährig- Freiwilligen- und Fähnrichspressen, Privatmädchenschulen, Handels- und Fort¬ bildungsschulen u. a. in., wo sich ein Oberlehrer leicht ein dauerndes Ein¬ kommen sichern kann. Traurig ist es für einen Oberlehrer ohne Fnnktionszulage auch insofern bestellt, als er vom neunzehnten Dienstjahre an, d. h. gerade da, wo sich die Ausgaben für die Kinder erst recht steigern, seinen Gehalt nur aller vier Jahre um 300 Mark steigen sieht, statt wie bisher aller drei Jahre! Diese Umstünde müssen außerordentlich niederdrückend auf den Oberlehrer an der „Nichtvoll- anstalt" wirken. Es kann nicht zur Hebung seiner Berufsfreudigkeit beitragen, wenn er den gleichaltrigen Kollegen vom vierzehnten Dienstjahre an im Genuß von jährlich 900 Mark mehr sieht, nur deshalb, weil diesen der Zufall an eine „Vollanstalt" verschlagen hat. Macht der preußische Staat auch bei andern Beamten solche Unterschiede? Außer dem verschiednen Wohnungsgeldzuschuß kennen wir keinen! Der Amtsrichter, der als Einzelrichter oder in einem kleinen Kollegiuni seine Pflicht thut, bezieht genau dieselben Einkünfte wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/24>, abgerufen am 19.05.2024.