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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens

seine Amtsgenossen in einem größern Kollegium. Außerdem weiß der Richter,
wenn er eine Zeit lang in dem kleinen Orte verbracht hat, und seine Kinder
soweit herangewachsen sind, daß sie eine höhere Schule besuchen müssen, daß
ein Wunsch wegen Versetzung sobald als möglich erfüllt wird. Wie steht es
dagegen bei den städtischen Oberlehrern? Der ältere Oberlehrer meldet sich zuerst
an solchen städtischen Schulen in größern Orten, wo Stellen erledigt worden
sind. Dort wird er aber regelmäßig mit seiner Meldung abgewiesen werden.
Die Städte stellen möglichst junge Leute nu, denn erstens brauchen sie denen
weniger Gehalt zu zahlen, und sie werden auch nicht so schnell arbeitsunfähig.
Nachdem er um mehreremal vergeblich sein Heil versucht hat, verläßt er den
Weg der Selbsthilfe und kommt zum Proviuzialschnlrat mit der Bitte, ihn in
den Staatsdienst zu übernehmen. Er denkt: Der Staat, dem du bisher in
einer kleinen Stadt seine Kinder erzogen hast, wird ein Einsehen haben und
wird dich irgendwo bei der Menge der Schulen, über die er verfügt, unter¬
bringen können. Es scheint auch so etwas in der That öfter vou wohl¬
wollenden Schulrüteu geschehen zu sein, denn in der letzten Zeit sind vom
Minister dagegen so strenge Bestimmungen erlassen worden, daß es jetzt
geradezu unmöglich ist, in den Staatsdienst überzugehen. Man kann das
schon daraus sehen, daß der Minister verfügt hat, daß ihm über jeden der¬
artigen Fall Bericht eingeschickt werde, und daß er sich selbst die Entscheidung
darüber vorbehalten wolle. Dem abschlägig beschiedner Bittsteller wird nun
der menschenfreundliche Schulrat etwas Balsam auf die Wunde streichen. Er
wird sagen: Der Staat muß in dieser Beziehung etwas thun, es kann mit
den "Nichtvollanstalten" nicht so bleiben, warte nur noch einige Zeit; nach
ein paar Jahren wird Mangel eintreten, dann wird der Staat gern verdiente
Lehrer in seinen Dienst übernehmen. Aber auch die zweite Bemühung endet
ohne Erfolg.

Im Abgeordnetenhause ist von mehreren Seiten (Jmwallc, Wetekamp,
von Knapp und von Nichthofen) auf diese Übelstände hingewiesen worden,
der Abgeordnete Wetekamp nannte die Verleihung der Funktiouszulagen nach
der Zahl der Stellen geradezu eine Durchbrechung des Prinzips der Alters¬
zulagen, das jetzt allgemein durchgeführt werden soll; aber leider lautet die
Antwort des Kultusministers nicht so bindend, daß die Lehrer beruhigt in die
Zukunft sehen könnten. Der Minister bedauert in seiner Erwiderung, daß
für die uichtstaatlicheu Schulen noch keine Besoldungsgemeiuschaften eingerichtet
worden sind. Das Gesetz vom Jahre 1892 faßte diese Einrichtung für die
Städte, die höhere Schulen zu unterhalten haben, ins Auge, und im vergangnen
Jnhre wurde aus der Mitte der westfälischen Städte die Sache wieder an¬
geregt; aber bisher ist noch gar nichts in dieser Beziehung geschehen. Gewiß
würden Besoldungsgemeinschaften den Städten die Aufbringung der Lasten
erleichtern und gleichmüßiger gestalten, aber nur dann, wenn sie den ganzen
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renzboten IV 1897 3
Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens

seine Amtsgenossen in einem größern Kollegium. Außerdem weiß der Richter,
wenn er eine Zeit lang in dem kleinen Orte verbracht hat, und seine Kinder
soweit herangewachsen sind, daß sie eine höhere Schule besuchen müssen, daß
ein Wunsch wegen Versetzung sobald als möglich erfüllt wird. Wie steht es
dagegen bei den städtischen Oberlehrern? Der ältere Oberlehrer meldet sich zuerst
an solchen städtischen Schulen in größern Orten, wo Stellen erledigt worden
sind. Dort wird er aber regelmäßig mit seiner Meldung abgewiesen werden.
Die Städte stellen möglichst junge Leute nu, denn erstens brauchen sie denen
weniger Gehalt zu zahlen, und sie werden auch nicht so schnell arbeitsunfähig.
Nachdem er um mehreremal vergeblich sein Heil versucht hat, verläßt er den
Weg der Selbsthilfe und kommt zum Proviuzialschnlrat mit der Bitte, ihn in
den Staatsdienst zu übernehmen. Er denkt: Der Staat, dem du bisher in
einer kleinen Stadt seine Kinder erzogen hast, wird ein Einsehen haben und
wird dich irgendwo bei der Menge der Schulen, über die er verfügt, unter¬
bringen können. Es scheint auch so etwas in der That öfter vou wohl¬
wollenden Schulrüteu geschehen zu sein, denn in der letzten Zeit sind vom
Minister dagegen so strenge Bestimmungen erlassen worden, daß es jetzt
geradezu unmöglich ist, in den Staatsdienst überzugehen. Man kann das
schon daraus sehen, daß der Minister verfügt hat, daß ihm über jeden der¬
artigen Fall Bericht eingeschickt werde, und daß er sich selbst die Entscheidung
darüber vorbehalten wolle. Dem abschlägig beschiedner Bittsteller wird nun
der menschenfreundliche Schulrat etwas Balsam auf die Wunde streichen. Er
wird sagen: Der Staat muß in dieser Beziehung etwas thun, es kann mit
den „Nichtvollanstalten" nicht so bleiben, warte nur noch einige Zeit; nach
ein paar Jahren wird Mangel eintreten, dann wird der Staat gern verdiente
Lehrer in seinen Dienst übernehmen. Aber auch die zweite Bemühung endet
ohne Erfolg.

Im Abgeordnetenhause ist von mehreren Seiten (Jmwallc, Wetekamp,
von Knapp und von Nichthofen) auf diese Übelstände hingewiesen worden,
der Abgeordnete Wetekamp nannte die Verleihung der Funktiouszulagen nach
der Zahl der Stellen geradezu eine Durchbrechung des Prinzips der Alters¬
zulagen, das jetzt allgemein durchgeführt werden soll; aber leider lautet die
Antwort des Kultusministers nicht so bindend, daß die Lehrer beruhigt in die
Zukunft sehen könnten. Der Minister bedauert in seiner Erwiderung, daß
für die uichtstaatlicheu Schulen noch keine Besoldungsgemeiuschaften eingerichtet
worden sind. Das Gesetz vom Jahre 1892 faßte diese Einrichtung für die
Städte, die höhere Schulen zu unterhalten haben, ins Auge, und im vergangnen
Jnhre wurde aus der Mitte der westfälischen Städte die Sache wieder an¬
geregt; aber bisher ist noch gar nichts in dieser Beziehung geschehen. Gewiß
würden Besoldungsgemeinschaften den Städten die Aufbringung der Lasten
erleichtern und gleichmüßiger gestalten, aber nur dann, wenn sie den ganzen
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[0025] Zur Lage der Lehrer an den höhern Schulen Preußens seine Amtsgenossen in einem größern Kollegium. Außerdem weiß der Richter, wenn er eine Zeit lang in dem kleinen Orte verbracht hat, und seine Kinder soweit herangewachsen sind, daß sie eine höhere Schule besuchen müssen, daß ein Wunsch wegen Versetzung sobald als möglich erfüllt wird. Wie steht es dagegen bei den städtischen Oberlehrern? Der ältere Oberlehrer meldet sich zuerst an solchen städtischen Schulen in größern Orten, wo Stellen erledigt worden sind. Dort wird er aber regelmäßig mit seiner Meldung abgewiesen werden. Die Städte stellen möglichst junge Leute nu, denn erstens brauchen sie denen weniger Gehalt zu zahlen, und sie werden auch nicht so schnell arbeitsunfähig. Nachdem er um mehreremal vergeblich sein Heil versucht hat, verläßt er den Weg der Selbsthilfe und kommt zum Proviuzialschnlrat mit der Bitte, ihn in den Staatsdienst zu übernehmen. Er denkt: Der Staat, dem du bisher in einer kleinen Stadt seine Kinder erzogen hast, wird ein Einsehen haben und wird dich irgendwo bei der Menge der Schulen, über die er verfügt, unter¬ bringen können. Es scheint auch so etwas in der That öfter vou wohl¬ wollenden Schulrüteu geschehen zu sein, denn in der letzten Zeit sind vom Minister dagegen so strenge Bestimmungen erlassen worden, daß es jetzt geradezu unmöglich ist, in den Staatsdienst überzugehen. Man kann das schon daraus sehen, daß der Minister verfügt hat, daß ihm über jeden der¬ artigen Fall Bericht eingeschickt werde, und daß er sich selbst die Entscheidung darüber vorbehalten wolle. Dem abschlägig beschiedner Bittsteller wird nun der menschenfreundliche Schulrat etwas Balsam auf die Wunde streichen. Er wird sagen: Der Staat muß in dieser Beziehung etwas thun, es kann mit den „Nichtvollanstalten" nicht so bleiben, warte nur noch einige Zeit; nach ein paar Jahren wird Mangel eintreten, dann wird der Staat gern verdiente Lehrer in seinen Dienst übernehmen. Aber auch die zweite Bemühung endet ohne Erfolg. Im Abgeordnetenhause ist von mehreren Seiten (Jmwallc, Wetekamp, von Knapp und von Nichthofen) auf diese Übelstände hingewiesen worden, der Abgeordnete Wetekamp nannte die Verleihung der Funktiouszulagen nach der Zahl der Stellen geradezu eine Durchbrechung des Prinzips der Alters¬ zulagen, das jetzt allgemein durchgeführt werden soll; aber leider lautet die Antwort des Kultusministers nicht so bindend, daß die Lehrer beruhigt in die Zukunft sehen könnten. Der Minister bedauert in seiner Erwiderung, daß für die uichtstaatlicheu Schulen noch keine Besoldungsgemeiuschaften eingerichtet worden sind. Das Gesetz vom Jahre 1892 faßte diese Einrichtung für die Städte, die höhere Schulen zu unterhalten haben, ins Auge, und im vergangnen Jnhre wurde aus der Mitte der westfälischen Städte die Sache wieder an¬ geregt; aber bisher ist noch gar nichts in dieser Beziehung geschehen. Gewiß würden Besoldungsgemeinschaften den Städten die Aufbringung der Lasten erleichtern und gleichmüßiger gestalten, aber nur dann, wenn sie den ganzen G renzboten IV 1897 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/25>, abgerufen am 26.05.2024.