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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Schulmißhandlungen

träglich einige Spuren von Mißhandlungen an ihrem Körper zu entdecken sein
sollten. Nicht bessern Erfolg haben die beim Rektor vorgebrachten Beschwerden
gehabt, wenn auch die Abweisung in der Form etwas rücksichtsvoller gewesen
sein mag. Bei den Lehrern scheint bisher die Auffassung geherrscht zu haben,
daß es unnütze Querelen seien, mit denen die meistens dem Stande der Arbeiter
oder Kleinbürger angehörenden Eltern sie belästigten; sie scheinen zu glauben,
daß die Eltern zu ängstlich und zimperlich mit ihren Kindern seien. Nach
dem letzten Vorfall muß diese Zimperlichkeit Wohl etwas anders beurteilt
werden. Aber so lauge wie möglich haben die Lehrer die Schwere des Ver¬
gehens in Abrede zu stellen und den Übelthäter in Schutz zu nehmen gesucht.
Der Rektor hat noch während der schweren Krankheit des Knaben eine em¬
pörende Gleichgiltigkeit gezeigt, ist erst nach seinem Tode ciugeschritte", indem
er den Lehrer vom Amte suspendirte. In der Lokalpresse erschienen noch vor
kurzer Zeit Artikel, die den Vorfall zu beschönigen suchten.

Ich weiß mich von jedem ungerechten Vorurteil gegen den Lehrerstand
frei. Aber solchen Ausschreitungen gegenüber ziemt dem Lehrerstande nicht
kollegialisches Mitgefühl, sondern der Abscheu, den jeder gerecht denkende Mensch
empfindet. Es ist eine ganz verkehrte Anschauung, daß man durch irgend
welche Beschönigung solcher Handlungen das Ansehen des Lehrerstands wahren
könne und solle. Der Lehrerstand selbst sollte um der Wahrung seines An¬
sehens willen nicht nur auf strenge Bestrafung des Schuldigen dringen, sondern
auch schonungslose Aufdeckung aller Vorgänge, die Anlaß zu Klagen gegeben
haben, und Untersuchung des Verhaltens einer Anzahl von Lehrern verlangen.
Aber da haperts. Mancher Lehrer muß, wenn er die That des Kollegen ver¬
urteilt, selbst ein ?awr xsc"g.ol sprechen, und dies Wort spricht sich schwer
aus. Mancher Lehrer, der die Peinigung der armen Kinder nicht mit der
Gefühllosigkeit getrieben hat, wie der nun seines Amts entsetzte Berufsgenosse,
hat doch öfter und härter gezüchtigt, als mit den Grundsätzen einer gerechten,
verständigen Erziehungsmethode vereinbar ist. Und wiederum hätte sich die
Gewohnheit harten Zttchtigens nicht so weit eingebürgert, wen" sie nicht durch
die Praxis der Gerichte befördert worden wäre. Duldsamkeit gegen Mißbrauch
des Züchtiguugsrechts ist mitschuldig an den mancherlei Ausschreitungen, die
vorgekommen sind. Dieser Duldsamkeit aber liegt Überschätzung des Wertes
körperlicher Züchtigungen als Erziehungsmittel zu Grunde. Wird das Übel
nicht tiefer angefaßt, als daß in diesem einen Falle der Schuldige bestraft
wird, so die Besserung nicht gründlich sein. Man ist duldsam gegen die
von Lehrern begangnen Gewaltthätigkeiten, weil man glaubt, das heran¬
wachsende Geschlecht bedürfe einer harten Zucht, weil man fürchtet, es könne
durch "falsche Humanität" verdorben werden. Dabei läßt man aber unbeachtet,
^' sich nicht die Gesinnung, die man der Jugend austreiben will, schon in
^cindluugen des Lehrers zeigt, und ob nicht dies Vorbild verderblicher auf die


Grenzboten IV tW? 42
Schulmißhandlungen

träglich einige Spuren von Mißhandlungen an ihrem Körper zu entdecken sein
sollten. Nicht bessern Erfolg haben die beim Rektor vorgebrachten Beschwerden
gehabt, wenn auch die Abweisung in der Form etwas rücksichtsvoller gewesen
sein mag. Bei den Lehrern scheint bisher die Auffassung geherrscht zu haben,
daß es unnütze Querelen seien, mit denen die meistens dem Stande der Arbeiter
oder Kleinbürger angehörenden Eltern sie belästigten; sie scheinen zu glauben,
daß die Eltern zu ängstlich und zimperlich mit ihren Kindern seien. Nach
dem letzten Vorfall muß diese Zimperlichkeit Wohl etwas anders beurteilt
werden. Aber so lauge wie möglich haben die Lehrer die Schwere des Ver¬
gehens in Abrede zu stellen und den Übelthäter in Schutz zu nehmen gesucht.
Der Rektor hat noch während der schweren Krankheit des Knaben eine em¬
pörende Gleichgiltigkeit gezeigt, ist erst nach seinem Tode ciugeschritte», indem
er den Lehrer vom Amte suspendirte. In der Lokalpresse erschienen noch vor
kurzer Zeit Artikel, die den Vorfall zu beschönigen suchten.

Ich weiß mich von jedem ungerechten Vorurteil gegen den Lehrerstand
frei. Aber solchen Ausschreitungen gegenüber ziemt dem Lehrerstande nicht
kollegialisches Mitgefühl, sondern der Abscheu, den jeder gerecht denkende Mensch
empfindet. Es ist eine ganz verkehrte Anschauung, daß man durch irgend
welche Beschönigung solcher Handlungen das Ansehen des Lehrerstands wahren
könne und solle. Der Lehrerstand selbst sollte um der Wahrung seines An¬
sehens willen nicht nur auf strenge Bestrafung des Schuldigen dringen, sondern
auch schonungslose Aufdeckung aller Vorgänge, die Anlaß zu Klagen gegeben
haben, und Untersuchung des Verhaltens einer Anzahl von Lehrern verlangen.
Aber da haperts. Mancher Lehrer muß, wenn er die That des Kollegen ver¬
urteilt, selbst ein ?awr xsc«g.ol sprechen, und dies Wort spricht sich schwer
aus. Mancher Lehrer, der die Peinigung der armen Kinder nicht mit der
Gefühllosigkeit getrieben hat, wie der nun seines Amts entsetzte Berufsgenosse,
hat doch öfter und härter gezüchtigt, als mit den Grundsätzen einer gerechten,
verständigen Erziehungsmethode vereinbar ist. Und wiederum hätte sich die
Gewohnheit harten Zttchtigens nicht so weit eingebürgert, wen» sie nicht durch
die Praxis der Gerichte befördert worden wäre. Duldsamkeit gegen Mißbrauch
des Züchtiguugsrechts ist mitschuldig an den mancherlei Ausschreitungen, die
vorgekommen sind. Dieser Duldsamkeit aber liegt Überschätzung des Wertes
körperlicher Züchtigungen als Erziehungsmittel zu Grunde. Wird das Übel
nicht tiefer angefaßt, als daß in diesem einen Falle der Schuldige bestraft
wird, so die Besserung nicht gründlich sein. Man ist duldsam gegen die
von Lehrern begangnen Gewaltthätigkeiten, weil man glaubt, das heran¬
wachsende Geschlecht bedürfe einer harten Zucht, weil man fürchtet, es könne
durch „falsche Humanität" verdorben werden. Dabei läßt man aber unbeachtet,
^' sich nicht die Gesinnung, die man der Jugend austreiben will, schon in
^cindluugen des Lehrers zeigt, und ob nicht dies Vorbild verderblicher auf die


Grenzboten IV tW? 42
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[0339] Schulmißhandlungen träglich einige Spuren von Mißhandlungen an ihrem Körper zu entdecken sein sollten. Nicht bessern Erfolg haben die beim Rektor vorgebrachten Beschwerden gehabt, wenn auch die Abweisung in der Form etwas rücksichtsvoller gewesen sein mag. Bei den Lehrern scheint bisher die Auffassung geherrscht zu haben, daß es unnütze Querelen seien, mit denen die meistens dem Stande der Arbeiter oder Kleinbürger angehörenden Eltern sie belästigten; sie scheinen zu glauben, daß die Eltern zu ängstlich und zimperlich mit ihren Kindern seien. Nach dem letzten Vorfall muß diese Zimperlichkeit Wohl etwas anders beurteilt werden. Aber so lauge wie möglich haben die Lehrer die Schwere des Ver¬ gehens in Abrede zu stellen und den Übelthäter in Schutz zu nehmen gesucht. Der Rektor hat noch während der schweren Krankheit des Knaben eine em¬ pörende Gleichgiltigkeit gezeigt, ist erst nach seinem Tode ciugeschritte», indem er den Lehrer vom Amte suspendirte. In der Lokalpresse erschienen noch vor kurzer Zeit Artikel, die den Vorfall zu beschönigen suchten. Ich weiß mich von jedem ungerechten Vorurteil gegen den Lehrerstand frei. Aber solchen Ausschreitungen gegenüber ziemt dem Lehrerstande nicht kollegialisches Mitgefühl, sondern der Abscheu, den jeder gerecht denkende Mensch empfindet. Es ist eine ganz verkehrte Anschauung, daß man durch irgend welche Beschönigung solcher Handlungen das Ansehen des Lehrerstands wahren könne und solle. Der Lehrerstand selbst sollte um der Wahrung seines An¬ sehens willen nicht nur auf strenge Bestrafung des Schuldigen dringen, sondern auch schonungslose Aufdeckung aller Vorgänge, die Anlaß zu Klagen gegeben haben, und Untersuchung des Verhaltens einer Anzahl von Lehrern verlangen. Aber da haperts. Mancher Lehrer muß, wenn er die That des Kollegen ver¬ urteilt, selbst ein ?awr xsc«g.ol sprechen, und dies Wort spricht sich schwer aus. Mancher Lehrer, der die Peinigung der armen Kinder nicht mit der Gefühllosigkeit getrieben hat, wie der nun seines Amts entsetzte Berufsgenosse, hat doch öfter und härter gezüchtigt, als mit den Grundsätzen einer gerechten, verständigen Erziehungsmethode vereinbar ist. Und wiederum hätte sich die Gewohnheit harten Zttchtigens nicht so weit eingebürgert, wen» sie nicht durch die Praxis der Gerichte befördert worden wäre. Duldsamkeit gegen Mißbrauch des Züchtiguugsrechts ist mitschuldig an den mancherlei Ausschreitungen, die vorgekommen sind. Dieser Duldsamkeit aber liegt Überschätzung des Wertes körperlicher Züchtigungen als Erziehungsmittel zu Grunde. Wird das Übel nicht tiefer angefaßt, als daß in diesem einen Falle der Schuldige bestraft wird, so die Besserung nicht gründlich sein. Man ist duldsam gegen die von Lehrern begangnen Gewaltthätigkeiten, weil man glaubt, das heran¬ wachsende Geschlecht bedürfe einer harten Zucht, weil man fürchtet, es könne durch „falsche Humanität" verdorben werden. Dabei läßt man aber unbeachtet, ^' sich nicht die Gesinnung, die man der Jugend austreiben will, schon in ^cindluugen des Lehrers zeigt, und ob nicht dies Vorbild verderblicher auf die Grenzboten IV tW? 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/339>, abgerufen am 10.06.2024.