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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus Maximilian Klingers Leben

beseitigen gesucht und freute sich herzlich, als die Angelegenheit der bevor¬
stehenden Vermählung der Großfürstin Marie mit dem Erbprinzen von Weimar
Abgesandte zwischen beiden Höfen hin und her führte, plötzlich den jungen Voigt
mit einem kleinen Empfehlungsbillet Goethes bei sich eintreten zu sehen.
Daraus folgten Grüße, Briefe, litterarische Zusendungen hin und wieder, aber
von Klingcrs Seite kommt alles schneller und stets mehr, und alles ist herz¬
licher, während von Goethe nur ein einziger warm gehaltner Brief (1824)
vorhanden ist. zufällig aus demselben Jahre, in das jene klassische Äußerung
über die Jugendfrenndschaft gehört. Zu einem Wiedersehen, das Klinger in
den ersten Jahren nach der Annäherung ernstlich hoffte, Goethe wenigstens zu
wünschen behauptete, kam es nicht, zum Glück sür beide, namentlich für Klinger,
für den die Enttäuschung wohl am größten gewesen wäre. Inzwischen ließ
sich Goethe über Klingers neuere Schriften unterrichten, die er für die Fort¬
setzung von Dichtung und Wahrheit lesen müsse (1814), aber er las sie nicht,
und es blieb bei dem Denkmal, das er dem Jugendgenossen kurz vorher im
dritten Teil des Werkes gesetzt hatte. Klinger empfand die Abkühlung auf
der andern Seite mit Verstimmung, er giebt dem manchmal einen köstlich
sarkastischen Ausdruck, aber seine Bewunderung gewinnt immer wieder die
Oberhand, es zieht ihn immer wieder hin zu Goethe, und es ist wenigstens
gut für den endlichen Abschluß des Verhältnisses, daß ja Goethe, als Klinger
uicht lange vor ihm starb, die Nachricht mit einer aufrichtigen Anerkennung
des Verstorbnen aufnahm.

Sie waren weit aus einander gekommen seit jenen Tagen, wo Goethe
Klinger, den tüchtigen, armen Kameraden, mit einem herzlichen Empfehlungs¬
brief auf die Universität Gießen zu Höpfner schickte. Klingers Briefe an die
verschiedensten Empfänger sagen hier mit wenigen Worten alles. Wir wollen
diese Chronik selbst reden lassen. 1790 (an Schleiermacher in Darmstadt):
"Hüte dich vor Apathie, sie ist das Grab des Herzens, des Geistes und end¬
lich des Körpers; je mehr Bilder vor unserm Geist, je mehr Dasein. Glück¬
liche Zeit, da ich nur in der Einbildungskraft lebte, ich gäbe gern meinen
kvmbinirten, kalten Verstand dafür, denn durch diesen entdecke ich nur die
Illusion der lieblichen Tochter der Morgenröte und der stillen Nacht." 1799
(an Nicvlovins): "Überhaupt sind die deutschen Schriftsteller, wie sie jetzt
meistens kantisch und ästhetisch verzerrt sind, Gesellen, die nicht mehr das
Lachen allein erregen. Zum Beweise las ich letzters in Schlegels Athenais
einige saubere Stellen, da heißt es aphoristisch: Wilhelm Meisters und Fichtes
Wissenschaftslehre und die großen wilden Begebenheiten des Jahrhunderts sind
die Haupttendenzen unsrer Zeit. Was soll man bei solchem Unsinn thun und
sagen? Und wie kann unser Goethe ertragen, daß solche Leute nun Bücher
schreiben, um ihn zu loben!" 1798 (an denselben): "Wie konnte Goethe auf
den unglücklichen Einfall kommen, etwas zu machen, wo ein andrer ein Muster


Grenzboten IV 1897 l>
Aus Maximilian Klingers Leben

beseitigen gesucht und freute sich herzlich, als die Angelegenheit der bevor¬
stehenden Vermählung der Großfürstin Marie mit dem Erbprinzen von Weimar
Abgesandte zwischen beiden Höfen hin und her führte, plötzlich den jungen Voigt
mit einem kleinen Empfehlungsbillet Goethes bei sich eintreten zu sehen.
Daraus folgten Grüße, Briefe, litterarische Zusendungen hin und wieder, aber
von Klingcrs Seite kommt alles schneller und stets mehr, und alles ist herz¬
licher, während von Goethe nur ein einziger warm gehaltner Brief (1824)
vorhanden ist. zufällig aus demselben Jahre, in das jene klassische Äußerung
über die Jugendfrenndschaft gehört. Zu einem Wiedersehen, das Klinger in
den ersten Jahren nach der Annäherung ernstlich hoffte, Goethe wenigstens zu
wünschen behauptete, kam es nicht, zum Glück sür beide, namentlich für Klinger,
für den die Enttäuschung wohl am größten gewesen wäre. Inzwischen ließ
sich Goethe über Klingers neuere Schriften unterrichten, die er für die Fort¬
setzung von Dichtung und Wahrheit lesen müsse (1814), aber er las sie nicht,
und es blieb bei dem Denkmal, das er dem Jugendgenossen kurz vorher im
dritten Teil des Werkes gesetzt hatte. Klinger empfand die Abkühlung auf
der andern Seite mit Verstimmung, er giebt dem manchmal einen köstlich
sarkastischen Ausdruck, aber seine Bewunderung gewinnt immer wieder die
Oberhand, es zieht ihn immer wieder hin zu Goethe, und es ist wenigstens
gut für den endlichen Abschluß des Verhältnisses, daß ja Goethe, als Klinger
uicht lange vor ihm starb, die Nachricht mit einer aufrichtigen Anerkennung
des Verstorbnen aufnahm.

Sie waren weit aus einander gekommen seit jenen Tagen, wo Goethe
Klinger, den tüchtigen, armen Kameraden, mit einem herzlichen Empfehlungs¬
brief auf die Universität Gießen zu Höpfner schickte. Klingers Briefe an die
verschiedensten Empfänger sagen hier mit wenigen Worten alles. Wir wollen
diese Chronik selbst reden lassen. 1790 (an Schleiermacher in Darmstadt):
«Hüte dich vor Apathie, sie ist das Grab des Herzens, des Geistes und end¬
lich des Körpers; je mehr Bilder vor unserm Geist, je mehr Dasein. Glück¬
liche Zeit, da ich nur in der Einbildungskraft lebte, ich gäbe gern meinen
kvmbinirten, kalten Verstand dafür, denn durch diesen entdecke ich nur die
Illusion der lieblichen Tochter der Morgenröte und der stillen Nacht." 1799
(an Nicvlovins): „Überhaupt sind die deutschen Schriftsteller, wie sie jetzt
meistens kantisch und ästhetisch verzerrt sind, Gesellen, die nicht mehr das
Lachen allein erregen. Zum Beweise las ich letzters in Schlegels Athenais
einige saubere Stellen, da heißt es aphoristisch: Wilhelm Meisters und Fichtes
Wissenschaftslehre und die großen wilden Begebenheiten des Jahrhunderts sind
die Haupttendenzen unsrer Zeit. Was soll man bei solchem Unsinn thun und
sagen? Und wie kann unser Goethe ertragen, daß solche Leute nun Bücher
schreiben, um ihn zu loben!" 1798 (an denselben): „Wie konnte Goethe auf
den unglücklichen Einfall kommen, etwas zu machen, wo ein andrer ein Muster


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[0041] Aus Maximilian Klingers Leben beseitigen gesucht und freute sich herzlich, als die Angelegenheit der bevor¬ stehenden Vermählung der Großfürstin Marie mit dem Erbprinzen von Weimar Abgesandte zwischen beiden Höfen hin und her führte, plötzlich den jungen Voigt mit einem kleinen Empfehlungsbillet Goethes bei sich eintreten zu sehen. Daraus folgten Grüße, Briefe, litterarische Zusendungen hin und wieder, aber von Klingcrs Seite kommt alles schneller und stets mehr, und alles ist herz¬ licher, während von Goethe nur ein einziger warm gehaltner Brief (1824) vorhanden ist. zufällig aus demselben Jahre, in das jene klassische Äußerung über die Jugendfrenndschaft gehört. Zu einem Wiedersehen, das Klinger in den ersten Jahren nach der Annäherung ernstlich hoffte, Goethe wenigstens zu wünschen behauptete, kam es nicht, zum Glück sür beide, namentlich für Klinger, für den die Enttäuschung wohl am größten gewesen wäre. Inzwischen ließ sich Goethe über Klingers neuere Schriften unterrichten, die er für die Fort¬ setzung von Dichtung und Wahrheit lesen müsse (1814), aber er las sie nicht, und es blieb bei dem Denkmal, das er dem Jugendgenossen kurz vorher im dritten Teil des Werkes gesetzt hatte. Klinger empfand die Abkühlung auf der andern Seite mit Verstimmung, er giebt dem manchmal einen köstlich sarkastischen Ausdruck, aber seine Bewunderung gewinnt immer wieder die Oberhand, es zieht ihn immer wieder hin zu Goethe, und es ist wenigstens gut für den endlichen Abschluß des Verhältnisses, daß ja Goethe, als Klinger uicht lange vor ihm starb, die Nachricht mit einer aufrichtigen Anerkennung des Verstorbnen aufnahm. Sie waren weit aus einander gekommen seit jenen Tagen, wo Goethe Klinger, den tüchtigen, armen Kameraden, mit einem herzlichen Empfehlungs¬ brief auf die Universität Gießen zu Höpfner schickte. Klingers Briefe an die verschiedensten Empfänger sagen hier mit wenigen Worten alles. Wir wollen diese Chronik selbst reden lassen. 1790 (an Schleiermacher in Darmstadt): «Hüte dich vor Apathie, sie ist das Grab des Herzens, des Geistes und end¬ lich des Körpers; je mehr Bilder vor unserm Geist, je mehr Dasein. Glück¬ liche Zeit, da ich nur in der Einbildungskraft lebte, ich gäbe gern meinen kvmbinirten, kalten Verstand dafür, denn durch diesen entdecke ich nur die Illusion der lieblichen Tochter der Morgenröte und der stillen Nacht." 1799 (an Nicvlovins): „Überhaupt sind die deutschen Schriftsteller, wie sie jetzt meistens kantisch und ästhetisch verzerrt sind, Gesellen, die nicht mehr das Lachen allein erregen. Zum Beweise las ich letzters in Schlegels Athenais einige saubere Stellen, da heißt es aphoristisch: Wilhelm Meisters und Fichtes Wissenschaftslehre und die großen wilden Begebenheiten des Jahrhunderts sind die Haupttendenzen unsrer Zeit. Was soll man bei solchem Unsinn thun und sagen? Und wie kann unser Goethe ertragen, daß solche Leute nun Bücher schreiben, um ihn zu loben!" 1798 (an denselben): „Wie konnte Goethe auf den unglücklichen Einfall kommen, etwas zu machen, wo ein andrer ein Muster Grenzboten IV 1897 l>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/41>, abgerufen am 26.05.2024.