Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das schwarze Zeitalter

Kauflust und Überreizung des Geschmacks durch einen unablässigen Wechsel in
"letzten Neuheiten/' ebenso werden die Schaufenster der Buchhändler und die
Lesesäle der Klubs mit neuen Erscheinungen überschwemmt, die zwar selten
mit wertvollen Inhalt, um so häufiger aber mit zugkräftigen Aushängeschildern
versehen sind. Als solche dienen je nachdem der Name eines Modeautors
^ gab es seit Erschaffung der Welt ein widersinnigeres Gebilde als den
Modeautvr? --, ein verblüffender Titel oder ein koketter Einband. Eine ganz
berechtigte Sitte in einer Zeit, die mehr und mehr dazu neigt, auch die Früchte
des Geistes als Handelsartikel zu betrachten. Es ist nichts dagegen ein¬
zuwenden, wenn ein Buch gelesen wird, die Hauptsache bleibt aber, daß es
getauft wird. Nicht damit es gelesen, sondern damit es gekauft werde, hat
es den mühevollen Weg aus den Gehirnkammern des Verfassers auf den
Ladentisch des Sortimentsbuchhäudlers zurückgelegt. Ein starker Bruchteil
aller Druckschriften bezweckt nicht die Belehrung der Leser, sondern die Er¬
nährung der Verfasser, nicht die Unterhaltung vieler, sondern den Unterhalt
weniger.

Es ist also mit einem Wort der Kampf ums Dasein, der sich auch der
litterarischen Produktion bemächtigt und mit ihr die hier geschilderten Zustände
erzeugt hat. Die für den Druck schreiben, sind auch die, die am meisten Ge¬
drucktes lesen. So entsteht durch stumme Übereinkunft, gewissermaßen eine
Versicherung auf Gegenseitigkeit. Ohne von einander zu wissen, helfen sich
A, V und C gegenseitig ernähren: drei Stunden am Tage schreiben sie, und
zwei Stunden lesen sie, was die andern geschrieben haben. Dergestalt wendet
jeder von ihnen den beiden andern einen Teil des Einkommens zu, das ihm
aus dem Gesamtertrage seiner Thätigkeit zufließt.

Für die Menschheit bleibt dieses Versicherungsverhältnis in den meisten
Füllen ziemlich unfruchtbar. Ihr wäre wahrscheinlich besser gedient, wenn sich
A, B und C darauf verlegten, unbebaute Ländereien in Äcker und Wiesen
oder unbenutzte Rohstoffe in wertvolle Gebrauchsgegenstände umzugestalten.
Aber die alten Kulturländer sind übervölkert, und die modernen europäischen
Staaten mit ihren ausgebildeten Einrichtungen haben sich -- allenfalls mit
Ausnahme Englands -- bisher unfähig gezeigt, eine Kolonisation großen
Stils ins Leben zu rufen, wie sie im Mittelalter einer urwüchsigen Volkskraft
trotz unfertiger Staatsformen so glänzend gelang. Unter solchen Umständen
ist die Entstehung ungesunder Verhältnisse, ist insbesondre die Herabwürdigung
des geistigen Schaffens zum Erwerbsmittel unausbleiblich. Jeder fristet sein
Dasein, so gut er kann.

Vor hundert Jahren ekelte den jungen Schiller vor dem tintenklecksenden
Sükulum. Mit welchem Namen würde er wohl unser Zeitalter belegen?
Man hat es zweiten das papierne genannt, auch wohl das eiserne. Von
Rechts wegen sollte es das schwarze Zeitalter heißen. Der moderne Kultur-


Das schwarze Zeitalter

Kauflust und Überreizung des Geschmacks durch einen unablässigen Wechsel in
«letzten Neuheiten/' ebenso werden die Schaufenster der Buchhändler und die
Lesesäle der Klubs mit neuen Erscheinungen überschwemmt, die zwar selten
mit wertvollen Inhalt, um so häufiger aber mit zugkräftigen Aushängeschildern
versehen sind. Als solche dienen je nachdem der Name eines Modeautors
^ gab es seit Erschaffung der Welt ein widersinnigeres Gebilde als den
Modeautvr? —, ein verblüffender Titel oder ein koketter Einband. Eine ganz
berechtigte Sitte in einer Zeit, die mehr und mehr dazu neigt, auch die Früchte
des Geistes als Handelsartikel zu betrachten. Es ist nichts dagegen ein¬
zuwenden, wenn ein Buch gelesen wird, die Hauptsache bleibt aber, daß es
getauft wird. Nicht damit es gelesen, sondern damit es gekauft werde, hat
es den mühevollen Weg aus den Gehirnkammern des Verfassers auf den
Ladentisch des Sortimentsbuchhäudlers zurückgelegt. Ein starker Bruchteil
aller Druckschriften bezweckt nicht die Belehrung der Leser, sondern die Er¬
nährung der Verfasser, nicht die Unterhaltung vieler, sondern den Unterhalt
weniger.

Es ist also mit einem Wort der Kampf ums Dasein, der sich auch der
litterarischen Produktion bemächtigt und mit ihr die hier geschilderten Zustände
erzeugt hat. Die für den Druck schreiben, sind auch die, die am meisten Ge¬
drucktes lesen. So entsteht durch stumme Übereinkunft, gewissermaßen eine
Versicherung auf Gegenseitigkeit. Ohne von einander zu wissen, helfen sich
A, V und C gegenseitig ernähren: drei Stunden am Tage schreiben sie, und
zwei Stunden lesen sie, was die andern geschrieben haben. Dergestalt wendet
jeder von ihnen den beiden andern einen Teil des Einkommens zu, das ihm
aus dem Gesamtertrage seiner Thätigkeit zufließt.

Für die Menschheit bleibt dieses Versicherungsverhältnis in den meisten
Füllen ziemlich unfruchtbar. Ihr wäre wahrscheinlich besser gedient, wenn sich
A, B und C darauf verlegten, unbebaute Ländereien in Äcker und Wiesen
oder unbenutzte Rohstoffe in wertvolle Gebrauchsgegenstände umzugestalten.
Aber die alten Kulturländer sind übervölkert, und die modernen europäischen
Staaten mit ihren ausgebildeten Einrichtungen haben sich — allenfalls mit
Ausnahme Englands — bisher unfähig gezeigt, eine Kolonisation großen
Stils ins Leben zu rufen, wie sie im Mittelalter einer urwüchsigen Volkskraft
trotz unfertiger Staatsformen so glänzend gelang. Unter solchen Umständen
ist die Entstehung ungesunder Verhältnisse, ist insbesondre die Herabwürdigung
des geistigen Schaffens zum Erwerbsmittel unausbleiblich. Jeder fristet sein
Dasein, so gut er kann.

Vor hundert Jahren ekelte den jungen Schiller vor dem tintenklecksenden
Sükulum. Mit welchem Namen würde er wohl unser Zeitalter belegen?
Man hat es zweiten das papierne genannt, auch wohl das eiserne. Von
Rechts wegen sollte es das schwarze Zeitalter heißen. Der moderne Kultur-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226283"/>
          <fw type="header" place="top"> Das schwarze Zeitalter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_112" prev="#ID_111"> Kauflust und Überreizung des Geschmacks durch einen unablässigen Wechsel in<lb/>
«letzten Neuheiten/' ebenso werden die Schaufenster der Buchhändler und die<lb/>
Lesesäle der Klubs mit neuen Erscheinungen überschwemmt, die zwar selten<lb/>
mit wertvollen Inhalt, um so häufiger aber mit zugkräftigen Aushängeschildern<lb/>
versehen sind. Als solche dienen je nachdem der Name eines Modeautors<lb/>
^ gab es seit Erschaffung der Welt ein widersinnigeres Gebilde als den<lb/>
Modeautvr? &#x2014;, ein verblüffender Titel oder ein koketter Einband. Eine ganz<lb/>
berechtigte Sitte in einer Zeit, die mehr und mehr dazu neigt, auch die Früchte<lb/>
des Geistes als Handelsartikel zu betrachten. Es ist nichts dagegen ein¬<lb/>
zuwenden, wenn ein Buch gelesen wird, die Hauptsache bleibt aber, daß es<lb/>
getauft wird. Nicht damit es gelesen, sondern damit es gekauft werde, hat<lb/>
es den mühevollen Weg aus den Gehirnkammern des Verfassers auf den<lb/>
Ladentisch des Sortimentsbuchhäudlers zurückgelegt. Ein starker Bruchteil<lb/>
aller Druckschriften bezweckt nicht die Belehrung der Leser, sondern die Er¬<lb/>
nährung der Verfasser, nicht die Unterhaltung vieler, sondern den Unterhalt<lb/>
weniger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_113"> Es ist also mit einem Wort der Kampf ums Dasein, der sich auch der<lb/>
litterarischen Produktion bemächtigt und mit ihr die hier geschilderten Zustände<lb/>
erzeugt hat. Die für den Druck schreiben, sind auch die, die am meisten Ge¬<lb/>
drucktes lesen. So entsteht durch stumme Übereinkunft, gewissermaßen eine<lb/>
Versicherung auf Gegenseitigkeit. Ohne von einander zu wissen, helfen sich<lb/>
A, V und C gegenseitig ernähren: drei Stunden am Tage schreiben sie, und<lb/>
zwei Stunden lesen sie, was die andern geschrieben haben. Dergestalt wendet<lb/>
jeder von ihnen den beiden andern einen Teil des Einkommens zu, das ihm<lb/>
aus dem Gesamtertrage seiner Thätigkeit zufließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_114"> Für die Menschheit bleibt dieses Versicherungsverhältnis in den meisten<lb/>
Füllen ziemlich unfruchtbar. Ihr wäre wahrscheinlich besser gedient, wenn sich<lb/>
A, B und C darauf verlegten, unbebaute Ländereien in Äcker und Wiesen<lb/>
oder unbenutzte Rohstoffe in wertvolle Gebrauchsgegenstände umzugestalten.<lb/>
Aber die alten Kulturländer sind übervölkert, und die modernen europäischen<lb/>
Staaten mit ihren ausgebildeten Einrichtungen haben sich &#x2014; allenfalls mit<lb/>
Ausnahme Englands &#x2014; bisher unfähig gezeigt, eine Kolonisation großen<lb/>
Stils ins Leben zu rufen, wie sie im Mittelalter einer urwüchsigen Volkskraft<lb/>
trotz unfertiger Staatsformen so glänzend gelang. Unter solchen Umständen<lb/>
ist die Entstehung ungesunder Verhältnisse, ist insbesondre die Herabwürdigung<lb/>
des geistigen Schaffens zum Erwerbsmittel unausbleiblich. Jeder fristet sein<lb/>
Dasein, so gut er kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_115" next="#ID_116"> Vor hundert Jahren ekelte den jungen Schiller vor dem tintenklecksenden<lb/>
Sükulum. Mit welchem Namen würde er wohl unser Zeitalter belegen?<lb/>
Man hat es zweiten das papierne genannt, auch wohl das eiserne. Von<lb/>
Rechts wegen sollte es das schwarze Zeitalter heißen.  Der moderne Kultur-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] Das schwarze Zeitalter Kauflust und Überreizung des Geschmacks durch einen unablässigen Wechsel in «letzten Neuheiten/' ebenso werden die Schaufenster der Buchhändler und die Lesesäle der Klubs mit neuen Erscheinungen überschwemmt, die zwar selten mit wertvollen Inhalt, um so häufiger aber mit zugkräftigen Aushängeschildern versehen sind. Als solche dienen je nachdem der Name eines Modeautors ^ gab es seit Erschaffung der Welt ein widersinnigeres Gebilde als den Modeautvr? —, ein verblüffender Titel oder ein koketter Einband. Eine ganz berechtigte Sitte in einer Zeit, die mehr und mehr dazu neigt, auch die Früchte des Geistes als Handelsartikel zu betrachten. Es ist nichts dagegen ein¬ zuwenden, wenn ein Buch gelesen wird, die Hauptsache bleibt aber, daß es getauft wird. Nicht damit es gelesen, sondern damit es gekauft werde, hat es den mühevollen Weg aus den Gehirnkammern des Verfassers auf den Ladentisch des Sortimentsbuchhäudlers zurückgelegt. Ein starker Bruchteil aller Druckschriften bezweckt nicht die Belehrung der Leser, sondern die Er¬ nährung der Verfasser, nicht die Unterhaltung vieler, sondern den Unterhalt weniger. Es ist also mit einem Wort der Kampf ums Dasein, der sich auch der litterarischen Produktion bemächtigt und mit ihr die hier geschilderten Zustände erzeugt hat. Die für den Druck schreiben, sind auch die, die am meisten Ge¬ drucktes lesen. So entsteht durch stumme Übereinkunft, gewissermaßen eine Versicherung auf Gegenseitigkeit. Ohne von einander zu wissen, helfen sich A, V und C gegenseitig ernähren: drei Stunden am Tage schreiben sie, und zwei Stunden lesen sie, was die andern geschrieben haben. Dergestalt wendet jeder von ihnen den beiden andern einen Teil des Einkommens zu, das ihm aus dem Gesamtertrage seiner Thätigkeit zufließt. Für die Menschheit bleibt dieses Versicherungsverhältnis in den meisten Füllen ziemlich unfruchtbar. Ihr wäre wahrscheinlich besser gedient, wenn sich A, B und C darauf verlegten, unbebaute Ländereien in Äcker und Wiesen oder unbenutzte Rohstoffe in wertvolle Gebrauchsgegenstände umzugestalten. Aber die alten Kulturländer sind übervölkert, und die modernen europäischen Staaten mit ihren ausgebildeten Einrichtungen haben sich — allenfalls mit Ausnahme Englands — bisher unfähig gezeigt, eine Kolonisation großen Stils ins Leben zu rufen, wie sie im Mittelalter einer urwüchsigen Volkskraft trotz unfertiger Staatsformen so glänzend gelang. Unter solchen Umständen ist die Entstehung ungesunder Verhältnisse, ist insbesondre die Herabwürdigung des geistigen Schaffens zum Erwerbsmittel unausbleiblich. Jeder fristet sein Dasein, so gut er kann. Vor hundert Jahren ekelte den jungen Schiller vor dem tintenklecksenden Sükulum. Mit welchem Namen würde er wohl unser Zeitalter belegen? Man hat es zweiten das papierne genannt, auch wohl das eiserne. Von Rechts wegen sollte es das schwarze Zeitalter heißen. Der moderne Kultur-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/51>, abgerufen am 17.06.2024.