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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das Recht der Frau nach dein bürgerlichen Gesetzbuch

wieder abzuschaffen. Gerade hier, auf dem rechtlichen Gebiete, ist es nicht
leicht, vor einer breitern Öffentlichkeit ungerechten Forderungen und schiefen
Urteilen entgegenzutreten; nirgends findet man so wie hier die unglaublichsten
Behauptungen und gröblichsten Entstellungen des wirklichen Rechtszustandes,
die offenbar darauf rechnen, von einem harmlosen Leserkreise willig für bare
Münze genommen zu werden. Da liest man z. B. in einer ernsthaften Berliner
Tageszeitung*!: "Seit unvordenklichen Zeiten beruht die Stellung des weib¬
lichen Geschlechts auf dem Grundsatz, daß das Weib als eine Sache, nicht als
eine Persönlichkeit betrachtet werden müsse. ... In dem Entwurf eines bürger¬
lichen Gesetzbuchs wird die Frau nach wie vor als Sache, nicht als Person
behandelt. Als Ehefrau steht sie unter der Gewalt des Eheherrn. . . . Sie
ist dem Manne zu persönlichem Gehorsam verpflichtet und hat nicht das Recht,
in die Verhältniße des täglichen Lebens, sowie in die Schicksale minderjähriger
Kinder bestimmend einzugreifen. Ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen wird,
wenn man von einem geringen Vorbehaltsgut absieht, der Verwaltung und
Nutznießung des Mannes unterworfen, und sie muß auch der sinnlosesten Ver¬
schwendung des eingebrachten Gutes hilflos zusehen, da die für diesen Fall
vorgesehene gesetzliche Klausel (?) sich nur in vereinzelten Fällen als praktisch
wirksam erweist. . . ." Die armen Frauen! Wenn an derselben Stelle un¬
mittelbar darauf dem Sittengesetze der heutigen Gesellschaft nachgesagt wird,
daß es "das weibliche Geschlecht auf die Stufe eines tändelnden Kindes oder
Idioten stelle," so wird der urteilsfähige Leser dafür nur ein mitleidiges Kopf¬
schütteln übrig haben; aber die Begriffe weiterer Kreise von der Gesetzgebung
unsrer Zeit werden durch solche freundlichen Ausstreuungen mehr beeinflußt, als
mau denkt.

Zweierlei kommt dazu, einer übelwollenden Beurteilung des bürgerlichen
Gesetzbuchs die Wege zu bahnen. Der Gesetzgeber konnte das Recht der
Frauen nicht ausschließlich nach ihren besondern Vorteilen gestalten; seine Auf¬
gabe war hier wie überall, die widerstreitenden Interessen mit einander aus¬
zugleichen und jeder gesellschaftlichen Gruppe den Platz anzuweisen und zu be¬
grenzen, der ihr nach ihrem eigentlichen Wesen gebührt, dem gleichberechtigten
Vorteil andrer Gruppen nicht zu nahe kommt und die Lebensbedingungen
der Gesamtheit nicht gefährdet. An diese Rücksichten, die im Gesetze natürlich
nicht ausgesprochen sind, ist der einseitige Tadler nicht gebunden; ihn hindert,
nichts, nur die Lage und den Vorteil seiner Partei, also etwa der Frauen ins
Auge zu fassen, ihre Beschränkungen und Nachteile mit grellen Farben hervor¬
zuheben und daraus ein Schauergemälde. der Ungerechtigkeit zu machen. Der
harmlose Leser fragt sich dann wohl verwundert, wie es denn nur möglich



*) In Ur. Mi! der Rundschau, Unterhaltungsbeilage der Deutschen Zeitung vom 31, Oktober
Z897, allerdings "trotz mancher Bedenken" der Redaktion.
Das Recht der Frau nach dein bürgerlichen Gesetzbuch

wieder abzuschaffen. Gerade hier, auf dem rechtlichen Gebiete, ist es nicht
leicht, vor einer breitern Öffentlichkeit ungerechten Forderungen und schiefen
Urteilen entgegenzutreten; nirgends findet man so wie hier die unglaublichsten
Behauptungen und gröblichsten Entstellungen des wirklichen Rechtszustandes,
die offenbar darauf rechnen, von einem harmlosen Leserkreise willig für bare
Münze genommen zu werden. Da liest man z. B. in einer ernsthaften Berliner
Tageszeitung*!: „Seit unvordenklichen Zeiten beruht die Stellung des weib¬
lichen Geschlechts auf dem Grundsatz, daß das Weib als eine Sache, nicht als
eine Persönlichkeit betrachtet werden müsse. ... In dem Entwurf eines bürger¬
lichen Gesetzbuchs wird die Frau nach wie vor als Sache, nicht als Person
behandelt. Als Ehefrau steht sie unter der Gewalt des Eheherrn. . . . Sie
ist dem Manne zu persönlichem Gehorsam verpflichtet und hat nicht das Recht,
in die Verhältniße des täglichen Lebens, sowie in die Schicksale minderjähriger
Kinder bestimmend einzugreifen. Ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen wird,
wenn man von einem geringen Vorbehaltsgut absieht, der Verwaltung und
Nutznießung des Mannes unterworfen, und sie muß auch der sinnlosesten Ver¬
schwendung des eingebrachten Gutes hilflos zusehen, da die für diesen Fall
vorgesehene gesetzliche Klausel (?) sich nur in vereinzelten Fällen als praktisch
wirksam erweist. . . ." Die armen Frauen! Wenn an derselben Stelle un¬
mittelbar darauf dem Sittengesetze der heutigen Gesellschaft nachgesagt wird,
daß es „das weibliche Geschlecht auf die Stufe eines tändelnden Kindes oder
Idioten stelle," so wird der urteilsfähige Leser dafür nur ein mitleidiges Kopf¬
schütteln übrig haben; aber die Begriffe weiterer Kreise von der Gesetzgebung
unsrer Zeit werden durch solche freundlichen Ausstreuungen mehr beeinflußt, als
mau denkt.

Zweierlei kommt dazu, einer übelwollenden Beurteilung des bürgerlichen
Gesetzbuchs die Wege zu bahnen. Der Gesetzgeber konnte das Recht der
Frauen nicht ausschließlich nach ihren besondern Vorteilen gestalten; seine Auf¬
gabe war hier wie überall, die widerstreitenden Interessen mit einander aus¬
zugleichen und jeder gesellschaftlichen Gruppe den Platz anzuweisen und zu be¬
grenzen, der ihr nach ihrem eigentlichen Wesen gebührt, dem gleichberechtigten
Vorteil andrer Gruppen nicht zu nahe kommt und die Lebensbedingungen
der Gesamtheit nicht gefährdet. An diese Rücksichten, die im Gesetze natürlich
nicht ausgesprochen sind, ist der einseitige Tadler nicht gebunden; ihn hindert,
nichts, nur die Lage und den Vorteil seiner Partei, also etwa der Frauen ins
Auge zu fassen, ihre Beschränkungen und Nachteile mit grellen Farben hervor¬
zuheben und daraus ein Schauergemälde. der Ungerechtigkeit zu machen. Der
harmlose Leser fragt sich dann wohl verwundert, wie es denn nur möglich



*) In Ur. Mi! der Rundschau, Unterhaltungsbeilage der Deutschen Zeitung vom 31, Oktober
Z897, allerdings „trotz mancher Bedenken" der Redaktion.
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[0210] Das Recht der Frau nach dein bürgerlichen Gesetzbuch wieder abzuschaffen. Gerade hier, auf dem rechtlichen Gebiete, ist es nicht leicht, vor einer breitern Öffentlichkeit ungerechten Forderungen und schiefen Urteilen entgegenzutreten; nirgends findet man so wie hier die unglaublichsten Behauptungen und gröblichsten Entstellungen des wirklichen Rechtszustandes, die offenbar darauf rechnen, von einem harmlosen Leserkreise willig für bare Münze genommen zu werden. Da liest man z. B. in einer ernsthaften Berliner Tageszeitung*!: „Seit unvordenklichen Zeiten beruht die Stellung des weib¬ lichen Geschlechts auf dem Grundsatz, daß das Weib als eine Sache, nicht als eine Persönlichkeit betrachtet werden müsse. ... In dem Entwurf eines bürger¬ lichen Gesetzbuchs wird die Frau nach wie vor als Sache, nicht als Person behandelt. Als Ehefrau steht sie unter der Gewalt des Eheherrn. . . . Sie ist dem Manne zu persönlichem Gehorsam verpflichtet und hat nicht das Recht, in die Verhältniße des täglichen Lebens, sowie in die Schicksale minderjähriger Kinder bestimmend einzugreifen. Ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen wird, wenn man von einem geringen Vorbehaltsgut absieht, der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen, und sie muß auch der sinnlosesten Ver¬ schwendung des eingebrachten Gutes hilflos zusehen, da die für diesen Fall vorgesehene gesetzliche Klausel (?) sich nur in vereinzelten Fällen als praktisch wirksam erweist. . . ." Die armen Frauen! Wenn an derselben Stelle un¬ mittelbar darauf dem Sittengesetze der heutigen Gesellschaft nachgesagt wird, daß es „das weibliche Geschlecht auf die Stufe eines tändelnden Kindes oder Idioten stelle," so wird der urteilsfähige Leser dafür nur ein mitleidiges Kopf¬ schütteln übrig haben; aber die Begriffe weiterer Kreise von der Gesetzgebung unsrer Zeit werden durch solche freundlichen Ausstreuungen mehr beeinflußt, als mau denkt. Zweierlei kommt dazu, einer übelwollenden Beurteilung des bürgerlichen Gesetzbuchs die Wege zu bahnen. Der Gesetzgeber konnte das Recht der Frauen nicht ausschließlich nach ihren besondern Vorteilen gestalten; seine Auf¬ gabe war hier wie überall, die widerstreitenden Interessen mit einander aus¬ zugleichen und jeder gesellschaftlichen Gruppe den Platz anzuweisen und zu be¬ grenzen, der ihr nach ihrem eigentlichen Wesen gebührt, dem gleichberechtigten Vorteil andrer Gruppen nicht zu nahe kommt und die Lebensbedingungen der Gesamtheit nicht gefährdet. An diese Rücksichten, die im Gesetze natürlich nicht ausgesprochen sind, ist der einseitige Tadler nicht gebunden; ihn hindert, nichts, nur die Lage und den Vorteil seiner Partei, also etwa der Frauen ins Auge zu fassen, ihre Beschränkungen und Nachteile mit grellen Farben hervor¬ zuheben und daraus ein Schauergemälde. der Ungerechtigkeit zu machen. Der harmlose Leser fragt sich dann wohl verwundert, wie es denn nur möglich *) In Ur. Mi! der Rundschau, Unterhaltungsbeilage der Deutschen Zeitung vom 31, Oktober Z897, allerdings „trotz mancher Bedenken" der Redaktion.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/210>, abgerufen am 26.05.2024.