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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das Recht der Frau nach dein bürgerlichen Gesetzbuch

gewesen sei, daß die vielen erfahrnen und einsichtigen Mitglieder der verschiednen
Gesetzgebungskommissionen und Behörden an so offenbarer Billigkeit vorbei-
gcsehen haben -- er ahnt nicht, daß alle diese Erwägungen bei der Abfassung
des Gesetzes eingehend und sorgsam geprüft und nur deshalb nicht berück¬
sichtigt worden sind, weil ihnen andre ebenso gewichtige und gewichtigere
Gründe entgegenstehen, die der Tadler vorsichtig verschwiegen hat.

Das zweite ist eine Frage der juristischen Technik. Das bürgerliche
Gesetzbuch hat es in einer wahrhaft vornehm zu nennenden Weise verschmäht,
an seine Spitze große Worte und leere Allgemeinheiten zu stellen, die keine
unmittelbare, praktische Anwendbarkeit beanspruchen könnten, sondern höchstens
dazu dienen würden, den heutigen Rechtszustand mit dem gehörigen Gepränge
von der "Barbarei" früherer Zeiten abzuheben und damit böswilligen, leicht¬
fertigen und oberflächlichen Angriffen die Spitze abzubrechen.

Gleich den obersten Grundsatz, auf dem unser ganzes Frauenrecht beruht,
deu Grundsatz der unbedingten und unbeschränkten Gleichheit beider Geschlechter
auf dem Gebiete des Vermögensrechts wird man im Gesetze als besondern Para¬
graphen vergeblich suchen; er ist lediglich dadurch verwirklicht, daß das Gesetz von
einem Unterschiede schweigt und Eigentum, Erbrecht und Schuldverhältnisse ohne
jede Rücksicht darauf behandelt, ob sie einem Manne oder einem Weibe zustehen.
Im Familienrecht ist es anders; auch hier sind aber nur die einzelnen Rechts¬
sätze ausgeprägt, ihren innern Zusammenhang und ihre grundsätzliche Be-
deutuug muß man sich aus ihrer unmittelbaren Wirksamkeit selber zurechtlegen.
Es ist deshalb sehr leicht, durch eine einseitige Auswahl und absichtliche
Gruppirung aus einzelnen Sätzen des bürgerlichen Gesetzbuchs ein Frauenrecht
zusammenzustellen, vor dem jeder Frau bange werden kann. Man nehme etwa
folgeichc Bestimmungen: § 1354: Dem Manne steht die Entscheidung in allen
das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er be¬
stimmt insbesondre Wohnort und Wohnung. -- 8 1356, Abs. 2: Zu Arbeiten
im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau verpflichtet, soweit
eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben,
üblich ist. -- § 1363: Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung
der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes
Gut). Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, das die Frau
während der Ehe erwirbt. -- 1373: Der Manu ist berechtigt, die zum ein¬
gebrachten Gute gehörenden Sachen in Besitz zu nehmen. -- § 1376: Ohne
Zustimmung der Frau kann der Mann über Geld und andre verbrauchbare
Sachen der Frau verfügen.... -- s 1377, Abs. 3: Andre verbrauchbare Sachen
(nämlich außer dem Gelde) darf der Mann auch für sich veräußer" oder ver¬
brauchen. -- § 1383: Der Mann erwirbt die Nutzungen des eingebrachten Gutes
in derselben Weise und in demselben Umfange, wie ein Nießbraucher. -- § 1395:
Die Frau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes Gut der Einwilligung des


Das Recht der Frau nach dein bürgerlichen Gesetzbuch

gewesen sei, daß die vielen erfahrnen und einsichtigen Mitglieder der verschiednen
Gesetzgebungskommissionen und Behörden an so offenbarer Billigkeit vorbei-
gcsehen haben — er ahnt nicht, daß alle diese Erwägungen bei der Abfassung
des Gesetzes eingehend und sorgsam geprüft und nur deshalb nicht berück¬
sichtigt worden sind, weil ihnen andre ebenso gewichtige und gewichtigere
Gründe entgegenstehen, die der Tadler vorsichtig verschwiegen hat.

Das zweite ist eine Frage der juristischen Technik. Das bürgerliche
Gesetzbuch hat es in einer wahrhaft vornehm zu nennenden Weise verschmäht,
an seine Spitze große Worte und leere Allgemeinheiten zu stellen, die keine
unmittelbare, praktische Anwendbarkeit beanspruchen könnten, sondern höchstens
dazu dienen würden, den heutigen Rechtszustand mit dem gehörigen Gepränge
von der „Barbarei" früherer Zeiten abzuheben und damit böswilligen, leicht¬
fertigen und oberflächlichen Angriffen die Spitze abzubrechen.

Gleich den obersten Grundsatz, auf dem unser ganzes Frauenrecht beruht,
deu Grundsatz der unbedingten und unbeschränkten Gleichheit beider Geschlechter
auf dem Gebiete des Vermögensrechts wird man im Gesetze als besondern Para¬
graphen vergeblich suchen; er ist lediglich dadurch verwirklicht, daß das Gesetz von
einem Unterschiede schweigt und Eigentum, Erbrecht und Schuldverhältnisse ohne
jede Rücksicht darauf behandelt, ob sie einem Manne oder einem Weibe zustehen.
Im Familienrecht ist es anders; auch hier sind aber nur die einzelnen Rechts¬
sätze ausgeprägt, ihren innern Zusammenhang und ihre grundsätzliche Be-
deutuug muß man sich aus ihrer unmittelbaren Wirksamkeit selber zurechtlegen.
Es ist deshalb sehr leicht, durch eine einseitige Auswahl und absichtliche
Gruppirung aus einzelnen Sätzen des bürgerlichen Gesetzbuchs ein Frauenrecht
zusammenzustellen, vor dem jeder Frau bange werden kann. Man nehme etwa
folgeichc Bestimmungen: § 1354: Dem Manne steht die Entscheidung in allen
das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er be¬
stimmt insbesondre Wohnort und Wohnung. — 8 1356, Abs. 2: Zu Arbeiten
im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau verpflichtet, soweit
eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben,
üblich ist. — § 1363: Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung
der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes
Gut). Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, das die Frau
während der Ehe erwirbt. — 1373: Der Manu ist berechtigt, die zum ein¬
gebrachten Gute gehörenden Sachen in Besitz zu nehmen. — § 1376: Ohne
Zustimmung der Frau kann der Mann über Geld und andre verbrauchbare
Sachen der Frau verfügen.... — s 1377, Abs. 3: Andre verbrauchbare Sachen
(nämlich außer dem Gelde) darf der Mann auch für sich veräußer» oder ver¬
brauchen. — § 1383: Der Mann erwirbt die Nutzungen des eingebrachten Gutes
in derselben Weise und in demselben Umfange, wie ein Nießbraucher. — § 1395:
Die Frau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes Gut der Einwilligung des


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[0211] Das Recht der Frau nach dein bürgerlichen Gesetzbuch gewesen sei, daß die vielen erfahrnen und einsichtigen Mitglieder der verschiednen Gesetzgebungskommissionen und Behörden an so offenbarer Billigkeit vorbei- gcsehen haben — er ahnt nicht, daß alle diese Erwägungen bei der Abfassung des Gesetzes eingehend und sorgsam geprüft und nur deshalb nicht berück¬ sichtigt worden sind, weil ihnen andre ebenso gewichtige und gewichtigere Gründe entgegenstehen, die der Tadler vorsichtig verschwiegen hat. Das zweite ist eine Frage der juristischen Technik. Das bürgerliche Gesetzbuch hat es in einer wahrhaft vornehm zu nennenden Weise verschmäht, an seine Spitze große Worte und leere Allgemeinheiten zu stellen, die keine unmittelbare, praktische Anwendbarkeit beanspruchen könnten, sondern höchstens dazu dienen würden, den heutigen Rechtszustand mit dem gehörigen Gepränge von der „Barbarei" früherer Zeiten abzuheben und damit böswilligen, leicht¬ fertigen und oberflächlichen Angriffen die Spitze abzubrechen. Gleich den obersten Grundsatz, auf dem unser ganzes Frauenrecht beruht, deu Grundsatz der unbedingten und unbeschränkten Gleichheit beider Geschlechter auf dem Gebiete des Vermögensrechts wird man im Gesetze als besondern Para¬ graphen vergeblich suchen; er ist lediglich dadurch verwirklicht, daß das Gesetz von einem Unterschiede schweigt und Eigentum, Erbrecht und Schuldverhältnisse ohne jede Rücksicht darauf behandelt, ob sie einem Manne oder einem Weibe zustehen. Im Familienrecht ist es anders; auch hier sind aber nur die einzelnen Rechts¬ sätze ausgeprägt, ihren innern Zusammenhang und ihre grundsätzliche Be- deutuug muß man sich aus ihrer unmittelbaren Wirksamkeit selber zurechtlegen. Es ist deshalb sehr leicht, durch eine einseitige Auswahl und absichtliche Gruppirung aus einzelnen Sätzen des bürgerlichen Gesetzbuchs ein Frauenrecht zusammenzustellen, vor dem jeder Frau bange werden kann. Man nehme etwa folgeichc Bestimmungen: § 1354: Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er be¬ stimmt insbesondre Wohnort und Wohnung. — 8 1356, Abs. 2: Zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau verpflichtet, soweit eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist. — § 1363: Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, das die Frau während der Ehe erwirbt. — 1373: Der Manu ist berechtigt, die zum ein¬ gebrachten Gute gehörenden Sachen in Besitz zu nehmen. — § 1376: Ohne Zustimmung der Frau kann der Mann über Geld und andre verbrauchbare Sachen der Frau verfügen.... — s 1377, Abs. 3: Andre verbrauchbare Sachen (nämlich außer dem Gelde) darf der Mann auch für sich veräußer» oder ver¬ brauchen. — § 1383: Der Mann erwirbt die Nutzungen des eingebrachten Gutes in derselben Weise und in demselben Umfange, wie ein Nießbraucher. — § 1395: Die Frau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes Gut der Einwilligung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/211>, abgerufen am 17.06.2024.