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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

Pächters preisgegeben; wird er nicht einig mit ihnen, so kann er zusehen, wie
sein Korn draußen auf dem Felde ausfällt und verfault. Aber obwohl dieser
Druck des Bauern, bei dem der Staat erst noch arm bleibt, denn der Müllerin
betrügt ihn natürlich ebenso wie den Bauern, im Jahre 1875 zum Ausbruch
des Aufstandes in Bosnien und der Herzegowina geführt hat, der den Verlust
dieser Gebiete und mittelbar auch deu von Bulgarien zur Folge hatte, ist man
doch in der Türkei noch nicht imstande gewesen, Abhilfe zu schaffen. "O,
fränkischer Effendi, sagte einmal ein Bosniake zu einem Europäer, der das
Land bereiste, glaub mir, dieses Land ist schön und könnte auch schön sein für
die Menschen; aber jetzt ist es hier anders; jetzt werden hier nur die Flöhe
fett, aber die Hunde, auf denen sie leben, magern ab und krcpiren."

Entsprechend niedrig ist der Stand der Industrie trotz der Billigkeit des
Lebens, und trotz der brauchbaren Arbeiter, die das Land böte. Freilich fehlt
ihm eine gute Steinkohle, was dann namentlich in der Nähe größerer An-
siedlungen -- mit der Zigeunerwirtschaft zusammen -- durch das Brennen von
Holzkohlen zur Entwaldung führt. Aber auch die herrlichen Wasserkräfte des
Landes, dessen Flüsse abwechselnd durch weite Ringbecken und dann wieder
durch enge Bergpüsse fließen, in denen ihr Gefälle natürlich sehr stark ist, sind
fast ungenützt. Bei einer elektrischen Anlage der Strecke von Üsküb nach
Salonik wäre wahrscheinlich der Wardar allein vollauf ausreichend, mit seiner
Kraft auch den stärksten Betrieb zu versorgen.

Man sieht, es ist ein Land, worin man keine Schätze zu grabe" braucht,
und zwar deshalb, weil sie schon offen daliegen. Vielleicht nirgends in der
Welt wäre ein günstigerer Platz für eine im großen angelegte deutsche Kolo¬
nisation zu finden, als gerade hier in Makedonien. Eras berechnete für die
gesamte Balkanhalbinsel mit einem Flächeninhalt von einer halben Million
Quadratkilometer eine Bevölkerung von 18'/g Millionen Einwohner, was auf
den Quadratkilometer sechsunddreißig Einwohner ergiebt gegen siebenundachtzig
in Deutschland und zweiundsiebzig in Frankreich. Es ist kaum daran zu
zweifeln, daß von der türkischen Regierung einer starken, gut organisirten
deutschen Einwanderung nicht nur nichts in den Weg gelegt, sondern im
Gegenteil alle Wege geebnet und den Kolonisten besonders die Möglichkeit er¬
öffnet werden würde, in einer Weise ihre Grundbesitzrechte und ihre Abgaben
zu ordnen, daß sie gegen jede übelwollende oder gewinnsüchtige Beamten¬
bedrückung und Steuerbelästigung sicher gestellt wären. Wird auf diese Kolo¬
nisation an der ganzen Bahnlinie von Üsküb bis nach Salonik von deutscher
Seite und mit kräftiger Unterstützung der deutscheu Negierung hingearbeitet,
so können dort noch Millionen deutscher Mitbürger vorteilhaft angesiedelt
werden. Und gerade im engen Zusammenschluß mit dem Osmanen dort, der
dem Protestanten mit seiner Gottesverehrung ohne Heilige und Mittelsmänner
besonders leicht wird, würden diese Ansiedler schnell vorwärts kommen. Nicht


Grenzboten III 1898 21
Makedonien

Pächters preisgegeben; wird er nicht einig mit ihnen, so kann er zusehen, wie
sein Korn draußen auf dem Felde ausfällt und verfault. Aber obwohl dieser
Druck des Bauern, bei dem der Staat erst noch arm bleibt, denn der Müllerin
betrügt ihn natürlich ebenso wie den Bauern, im Jahre 1875 zum Ausbruch
des Aufstandes in Bosnien und der Herzegowina geführt hat, der den Verlust
dieser Gebiete und mittelbar auch deu von Bulgarien zur Folge hatte, ist man
doch in der Türkei noch nicht imstande gewesen, Abhilfe zu schaffen. „O,
fränkischer Effendi, sagte einmal ein Bosniake zu einem Europäer, der das
Land bereiste, glaub mir, dieses Land ist schön und könnte auch schön sein für
die Menschen; aber jetzt ist es hier anders; jetzt werden hier nur die Flöhe
fett, aber die Hunde, auf denen sie leben, magern ab und krcpiren."

Entsprechend niedrig ist der Stand der Industrie trotz der Billigkeit des
Lebens, und trotz der brauchbaren Arbeiter, die das Land böte. Freilich fehlt
ihm eine gute Steinkohle, was dann namentlich in der Nähe größerer An-
siedlungen — mit der Zigeunerwirtschaft zusammen — durch das Brennen von
Holzkohlen zur Entwaldung führt. Aber auch die herrlichen Wasserkräfte des
Landes, dessen Flüsse abwechselnd durch weite Ringbecken und dann wieder
durch enge Bergpüsse fließen, in denen ihr Gefälle natürlich sehr stark ist, sind
fast ungenützt. Bei einer elektrischen Anlage der Strecke von Üsküb nach
Salonik wäre wahrscheinlich der Wardar allein vollauf ausreichend, mit seiner
Kraft auch den stärksten Betrieb zu versorgen.

Man sieht, es ist ein Land, worin man keine Schätze zu grabe» braucht,
und zwar deshalb, weil sie schon offen daliegen. Vielleicht nirgends in der
Welt wäre ein günstigerer Platz für eine im großen angelegte deutsche Kolo¬
nisation zu finden, als gerade hier in Makedonien. Eras berechnete für die
gesamte Balkanhalbinsel mit einem Flächeninhalt von einer halben Million
Quadratkilometer eine Bevölkerung von 18'/g Millionen Einwohner, was auf
den Quadratkilometer sechsunddreißig Einwohner ergiebt gegen siebenundachtzig
in Deutschland und zweiundsiebzig in Frankreich. Es ist kaum daran zu
zweifeln, daß von der türkischen Regierung einer starken, gut organisirten
deutschen Einwanderung nicht nur nichts in den Weg gelegt, sondern im
Gegenteil alle Wege geebnet und den Kolonisten besonders die Möglichkeit er¬
öffnet werden würde, in einer Weise ihre Grundbesitzrechte und ihre Abgaben
zu ordnen, daß sie gegen jede übelwollende oder gewinnsüchtige Beamten¬
bedrückung und Steuerbelästigung sicher gestellt wären. Wird auf diese Kolo¬
nisation an der ganzen Bahnlinie von Üsküb bis nach Salonik von deutscher
Seite und mit kräftiger Unterstützung der deutscheu Negierung hingearbeitet,
so können dort noch Millionen deutscher Mitbürger vorteilhaft angesiedelt
werden. Und gerade im engen Zusammenschluß mit dem Osmanen dort, der
dem Protestanten mit seiner Gottesverehrung ohne Heilige und Mittelsmänner
besonders leicht wird, würden diese Ansiedler schnell vorwärts kommen. Nicht


Grenzboten III 1898 21
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[0169] Makedonien Pächters preisgegeben; wird er nicht einig mit ihnen, so kann er zusehen, wie sein Korn draußen auf dem Felde ausfällt und verfault. Aber obwohl dieser Druck des Bauern, bei dem der Staat erst noch arm bleibt, denn der Müllerin betrügt ihn natürlich ebenso wie den Bauern, im Jahre 1875 zum Ausbruch des Aufstandes in Bosnien und der Herzegowina geführt hat, der den Verlust dieser Gebiete und mittelbar auch deu von Bulgarien zur Folge hatte, ist man doch in der Türkei noch nicht imstande gewesen, Abhilfe zu schaffen. „O, fränkischer Effendi, sagte einmal ein Bosniake zu einem Europäer, der das Land bereiste, glaub mir, dieses Land ist schön und könnte auch schön sein für die Menschen; aber jetzt ist es hier anders; jetzt werden hier nur die Flöhe fett, aber die Hunde, auf denen sie leben, magern ab und krcpiren." Entsprechend niedrig ist der Stand der Industrie trotz der Billigkeit des Lebens, und trotz der brauchbaren Arbeiter, die das Land böte. Freilich fehlt ihm eine gute Steinkohle, was dann namentlich in der Nähe größerer An- siedlungen — mit der Zigeunerwirtschaft zusammen — durch das Brennen von Holzkohlen zur Entwaldung führt. Aber auch die herrlichen Wasserkräfte des Landes, dessen Flüsse abwechselnd durch weite Ringbecken und dann wieder durch enge Bergpüsse fließen, in denen ihr Gefälle natürlich sehr stark ist, sind fast ungenützt. Bei einer elektrischen Anlage der Strecke von Üsküb nach Salonik wäre wahrscheinlich der Wardar allein vollauf ausreichend, mit seiner Kraft auch den stärksten Betrieb zu versorgen. Man sieht, es ist ein Land, worin man keine Schätze zu grabe» braucht, und zwar deshalb, weil sie schon offen daliegen. Vielleicht nirgends in der Welt wäre ein günstigerer Platz für eine im großen angelegte deutsche Kolo¬ nisation zu finden, als gerade hier in Makedonien. Eras berechnete für die gesamte Balkanhalbinsel mit einem Flächeninhalt von einer halben Million Quadratkilometer eine Bevölkerung von 18'/g Millionen Einwohner, was auf den Quadratkilometer sechsunddreißig Einwohner ergiebt gegen siebenundachtzig in Deutschland und zweiundsiebzig in Frankreich. Es ist kaum daran zu zweifeln, daß von der türkischen Regierung einer starken, gut organisirten deutschen Einwanderung nicht nur nichts in den Weg gelegt, sondern im Gegenteil alle Wege geebnet und den Kolonisten besonders die Möglichkeit er¬ öffnet werden würde, in einer Weise ihre Grundbesitzrechte und ihre Abgaben zu ordnen, daß sie gegen jede übelwollende oder gewinnsüchtige Beamten¬ bedrückung und Steuerbelästigung sicher gestellt wären. Wird auf diese Kolo¬ nisation an der ganzen Bahnlinie von Üsküb bis nach Salonik von deutscher Seite und mit kräftiger Unterstützung der deutscheu Negierung hingearbeitet, so können dort noch Millionen deutscher Mitbürger vorteilhaft angesiedelt werden. Und gerade im engen Zusammenschluß mit dem Osmanen dort, der dem Protestanten mit seiner Gottesverehrung ohne Heilige und Mittelsmänner besonders leicht wird, würden diese Ansiedler schnell vorwärts kommen. Nicht Grenzboten III 1898 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/169>, abgerufen am 05.06.2024.