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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

nur daß dem Türken der Deutsche ganz besonders lieb und wert ist -- wie
oft bin ich selbst von diesen Leuten unter das Kinn gefaßt und mit einer
Mischung von Achtung und vertraulicher Zuneigung Bruder und deutscher
Bruder genannt worden --, mit dem Instinkte des Naturkindes fühlt er auch
die Interessengemeinschaft, die uns zusammenhält, und sucht, von Norden be¬
drängt durch Nußland, von Süden belauert durch England, die Anlehnung
an das mächtige Deutschland und das mit ihm verbundne Österreich-Ungarn,
dem er mit seinem Reiche dagegen die Brücke nach Asien zwischen jenen beiden
ihm feindlichen Weltmächten hindurch zu schlagen vermag.

Wie der Deutsche selbst mit Achtung und Freundschaft aufgenommen
werden wird, so wird er auch den Türken nur schätzen lernen, der, ein Edel¬
mann in seinem Wesen und Benehmen, gewinnt, je näher man ihn kennen
lernt. Der bedeutendste Forscher über das Türkenvolk, Vambery, sagt vom
Osmanen: "Ob in seinen Gesichtszügen und im körperlichen Habitus dem
Griechen, Armenier oder Cirkassier ähnlich, ob das bunteste Gemisch eines
ethnischen Amalgams repräsentirend, wird der Osmane in seinem Blick und
Austreten immer den Stocktürken verraten. Er ist schwerfällig und behäbig,
von eiskaltem Ernst und von einer Gesetztheit, die wir nur beim Zeltbewohner
auf der Wüste Jnnerasiens antreffen . . . nach feinen Begriffen von Mannes¬
würde und Tugend ist lachen, singen, springen, tanzen, schreien, sich eilen oder
ereifern und besonders das Vielreden als höchst unschicklich bezeichnet oder gar
verpönt. Mit dieser Auffassung Hand in Hand geht der echte Biedersinn und
die Redlichkeit, worin der Osmane -- ausgenommen die in Erbschaft des
Byzantinismus getretne Esfendiklasfe Konstantinopels -- in ganz Vorderasien
und auch in Europa ohnegleichen dasteht. Das herrliche und entzückend schöne
Bild eines anatolischen Landmanns, der fleißig seine Äcker bestellt, der mit
Lammesgeduld die Injurien einer verkommnen Beamtcnklasse ertrüge, der seit
Jahrhunderten ohne Murren Gut und Blut für Fürst und Glauben opfert,
der, sanft und bescheiden am häuslichen Herde, auf dem Schlachtfeld den Ruf
"des besten Soldaten der Welt" sich erworben; ja das Bild dieses ana¬
tolischen Landmanns -- und ihm gleich ist der rumeliotische Muhcnnmedaner --,
der mit seiner Nüchternheit selbst dem auf seine Kultur so stolzen Abendländer
zum Muster dienen kann, steht im muslimischen Asien unvergleichlich da. . . .
Wie gern, sagt Vambery, erinnere ich mich an die Gastfreundschaft, die ich auf
meinen Reisen bei Türken in Anatolien genossen! Mit stiller und inniger
Freundschaft empfangen, wird der Reisende mit Ehren überhäuft, was gut und
teuer ist, wird auf den Tisch gestellt, jung und alt ereifert sich, dem Gaste
gefällig zu sein, und nur wenn man am nächsten Morgen das wohlgefütterte
und gesattelte Pferd besteigt, tritt der Hausherr mit der schüchternen Frage
heran: Wer bist du, woher kommst du, und wohin gehst du? Ein Entgelt
für das Genossene anzubieten wird für die größte Beleidigung gehalten."


Makedonien

nur daß dem Türken der Deutsche ganz besonders lieb und wert ist — wie
oft bin ich selbst von diesen Leuten unter das Kinn gefaßt und mit einer
Mischung von Achtung und vertraulicher Zuneigung Bruder und deutscher
Bruder genannt worden —, mit dem Instinkte des Naturkindes fühlt er auch
die Interessengemeinschaft, die uns zusammenhält, und sucht, von Norden be¬
drängt durch Nußland, von Süden belauert durch England, die Anlehnung
an das mächtige Deutschland und das mit ihm verbundne Österreich-Ungarn,
dem er mit seinem Reiche dagegen die Brücke nach Asien zwischen jenen beiden
ihm feindlichen Weltmächten hindurch zu schlagen vermag.

Wie der Deutsche selbst mit Achtung und Freundschaft aufgenommen
werden wird, so wird er auch den Türken nur schätzen lernen, der, ein Edel¬
mann in seinem Wesen und Benehmen, gewinnt, je näher man ihn kennen
lernt. Der bedeutendste Forscher über das Türkenvolk, Vambery, sagt vom
Osmanen: „Ob in seinen Gesichtszügen und im körperlichen Habitus dem
Griechen, Armenier oder Cirkassier ähnlich, ob das bunteste Gemisch eines
ethnischen Amalgams repräsentirend, wird der Osmane in seinem Blick und
Austreten immer den Stocktürken verraten. Er ist schwerfällig und behäbig,
von eiskaltem Ernst und von einer Gesetztheit, die wir nur beim Zeltbewohner
auf der Wüste Jnnerasiens antreffen . . . nach feinen Begriffen von Mannes¬
würde und Tugend ist lachen, singen, springen, tanzen, schreien, sich eilen oder
ereifern und besonders das Vielreden als höchst unschicklich bezeichnet oder gar
verpönt. Mit dieser Auffassung Hand in Hand geht der echte Biedersinn und
die Redlichkeit, worin der Osmane — ausgenommen die in Erbschaft des
Byzantinismus getretne Esfendiklasfe Konstantinopels — in ganz Vorderasien
und auch in Europa ohnegleichen dasteht. Das herrliche und entzückend schöne
Bild eines anatolischen Landmanns, der fleißig seine Äcker bestellt, der mit
Lammesgeduld die Injurien einer verkommnen Beamtcnklasse ertrüge, der seit
Jahrhunderten ohne Murren Gut und Blut für Fürst und Glauben opfert,
der, sanft und bescheiden am häuslichen Herde, auf dem Schlachtfeld den Ruf
»des besten Soldaten der Welt« sich erworben; ja das Bild dieses ana¬
tolischen Landmanns — und ihm gleich ist der rumeliotische Muhcnnmedaner —,
der mit seiner Nüchternheit selbst dem auf seine Kultur so stolzen Abendländer
zum Muster dienen kann, steht im muslimischen Asien unvergleichlich da. . . .
Wie gern, sagt Vambery, erinnere ich mich an die Gastfreundschaft, die ich auf
meinen Reisen bei Türken in Anatolien genossen! Mit stiller und inniger
Freundschaft empfangen, wird der Reisende mit Ehren überhäuft, was gut und
teuer ist, wird auf den Tisch gestellt, jung und alt ereifert sich, dem Gaste
gefällig zu sein, und nur wenn man am nächsten Morgen das wohlgefütterte
und gesattelte Pferd besteigt, tritt der Hausherr mit der schüchternen Frage
heran: Wer bist du, woher kommst du, und wohin gehst du? Ein Entgelt
für das Genossene anzubieten wird für die größte Beleidigung gehalten."


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[0170] Makedonien nur daß dem Türken der Deutsche ganz besonders lieb und wert ist — wie oft bin ich selbst von diesen Leuten unter das Kinn gefaßt und mit einer Mischung von Achtung und vertraulicher Zuneigung Bruder und deutscher Bruder genannt worden —, mit dem Instinkte des Naturkindes fühlt er auch die Interessengemeinschaft, die uns zusammenhält, und sucht, von Norden be¬ drängt durch Nußland, von Süden belauert durch England, die Anlehnung an das mächtige Deutschland und das mit ihm verbundne Österreich-Ungarn, dem er mit seinem Reiche dagegen die Brücke nach Asien zwischen jenen beiden ihm feindlichen Weltmächten hindurch zu schlagen vermag. Wie der Deutsche selbst mit Achtung und Freundschaft aufgenommen werden wird, so wird er auch den Türken nur schätzen lernen, der, ein Edel¬ mann in seinem Wesen und Benehmen, gewinnt, je näher man ihn kennen lernt. Der bedeutendste Forscher über das Türkenvolk, Vambery, sagt vom Osmanen: „Ob in seinen Gesichtszügen und im körperlichen Habitus dem Griechen, Armenier oder Cirkassier ähnlich, ob das bunteste Gemisch eines ethnischen Amalgams repräsentirend, wird der Osmane in seinem Blick und Austreten immer den Stocktürken verraten. Er ist schwerfällig und behäbig, von eiskaltem Ernst und von einer Gesetztheit, die wir nur beim Zeltbewohner auf der Wüste Jnnerasiens antreffen . . . nach feinen Begriffen von Mannes¬ würde und Tugend ist lachen, singen, springen, tanzen, schreien, sich eilen oder ereifern und besonders das Vielreden als höchst unschicklich bezeichnet oder gar verpönt. Mit dieser Auffassung Hand in Hand geht der echte Biedersinn und die Redlichkeit, worin der Osmane — ausgenommen die in Erbschaft des Byzantinismus getretne Esfendiklasfe Konstantinopels — in ganz Vorderasien und auch in Europa ohnegleichen dasteht. Das herrliche und entzückend schöne Bild eines anatolischen Landmanns, der fleißig seine Äcker bestellt, der mit Lammesgeduld die Injurien einer verkommnen Beamtcnklasse ertrüge, der seit Jahrhunderten ohne Murren Gut und Blut für Fürst und Glauben opfert, der, sanft und bescheiden am häuslichen Herde, auf dem Schlachtfeld den Ruf »des besten Soldaten der Welt« sich erworben; ja das Bild dieses ana¬ tolischen Landmanns — und ihm gleich ist der rumeliotische Muhcnnmedaner —, der mit seiner Nüchternheit selbst dem auf seine Kultur so stolzen Abendländer zum Muster dienen kann, steht im muslimischen Asien unvergleichlich da. . . . Wie gern, sagt Vambery, erinnere ich mich an die Gastfreundschaft, die ich auf meinen Reisen bei Türken in Anatolien genossen! Mit stiller und inniger Freundschaft empfangen, wird der Reisende mit Ehren überhäuft, was gut und teuer ist, wird auf den Tisch gestellt, jung und alt ereifert sich, dem Gaste gefällig zu sein, und nur wenn man am nächsten Morgen das wohlgefütterte und gesattelte Pferd besteigt, tritt der Hausherr mit der schüchternen Frage heran: Wer bist du, woher kommst du, und wohin gehst du? Ein Entgelt für das Genossene anzubieten wird für die größte Beleidigung gehalten."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/170>, abgerufen am 05.06.2024.